Auf die Grundhaltung kommt es an

Agile Führung: Ist das wirklich neu?

Klaus Kissel ist einer von zwei Geschäftsführern des ifsm Institut für Sales & Managementberatung in Urbar bei Koblenz, das unter anderem Unternehmen im Prozess der Nachfolgeregelung unterstützt und begleitet. Kissel ist Mitautor des Buches "Das Prinzip der minimalen Führung".

Welcher Führungsstil ist angemessen?

Welcher Führungsstil beziehungsweise welches Führungsverhalten angemessen ist, hängt von der Führungssituation ab. Generell lassen sich vier Führungsstile unterscheiden:

Führungsstil 1: AGIEREN. Die Situation ist chaotisch, also ungewiss; die Führungskraft ist als expertenorientierter Leiter und Entscheider gefragt.

In chaotischen, also ungewissen Situationen geht es nicht so sehr darum, ob eine Führungskraft alle Fragen beantworten und entscheiden kann. Entscheidender ist: Die Situation erfordert eine rasche Entscheidung und ein entschiedenes Handeln. In solchen Situationen - also zum Beispiel Krisensituationen - ist eine direktive Führung nötig. Eine prozesshafte Führung wäre falsch. In solchen Situationen muss die Führungskraft das Ruder an sich reißen, rasch Entscheidungen treffen und klare Anweisungen erteilen.

Hierfür ein Beispiel: Am 11. September 2001, als die Türme des World Trade Center in New York einstürzten, war dieser Führungsstil gefragt. Deshalb wurde der entschieden und (scheinbar) autoritär handelnde Bürgermeister von New York zum Star. Seine (einsamen) Entscheidungen hätten jedoch auch falsch sein können, denn die Situation und ihre Auswirkungen waren ungewiss.

Dieses Risiko müssen Führungskräfte in solchen Situationen tragen: Sie können zum Helden oder Sündenbock werden. In ungewissen Situationen lautet die die entscheidende Frage, die sich Manager stellen sollten: "Wie viel Zeit hat das System beziehungsweise gewährt mir die Situation, um eine Lösung zu erarbeiten?" Abhängig von der Antwort müssen sie mehr oder weniger agil oder autoritär handeln.

Führungsstil 2: DELEGIEREN und LEHREN. Die Situation ist planbar. Die Führungskraft handelt entweder selbst als Experte oder delegiert die Verantwortung hierfür an einen Experten. Lehren meint: Die Führungskraft gibt die eigene Expertise als Mentor an Mitarbeiter weiter.

In der Einarbeitungsphase neuer Mitarbeiter oder wenn diese neue Aufgaben übernehmen, ist dieser Führungsstil meist angemessen. Dann gilt es den Mitarbeiter mit dem Wissen zu versorgen, das er zum Erledigen seiner Aufgaben braucht. Die Führungskraft fungiert in dieser Situation als Mentor oder Coach des Mitarbeiters. Sie definiert die Ziele und gibt Feedback.

Und wenn der Mitarbeiter über das nötige Wissen und Können verfügt? Dann delegiert sie auch die Verantwortung für die Aufgabe an ihn. In vielen Führungstrainings in den zurückliegenden Jahrzehnten wurde der Eindruck vermittelt, dieser Führungsstil sei in fast allen Führungssituationen - außer Krisensituationen - angebracht. Im Betriebsalltag gibt es jedoch auch viele Routineprozesse, die schlicht gemanagt werden müssen.

Führungsstil 3: MANAGEN. Die Situation ist überschau- und planbar. Die Führungskraft führt prozesshaft, um die Mitarbeiter mitzunehmen und deren Intelligenz zu nutzen.

Eine Situation ist überschaubar, wenn aufgrund der äußeren Einflussfaktoren ein klares Ziel definiert werden kann. Je klarer das Ziel bestimmt werden kann, umso stärker greifen Elemente des Projektmanagements. Die Führungskraft agiert teilweise wie ein Projektmanager und managt den Prozess zur Zielerreichung - unter anderem, indem sie mit ihrem Team Meilensteine auf dem Weg zum Ziel definiert und deren Erreichen feiert.

Führungsstil 4: AGI. Die Situation ist unklar und ungewiss. Die Führungskraft führt prozesshaft.

Dieser Führungsstil ist angesagt, wenn in einer Situation weder das Ziel noch der richtige Weg dorthin von der Führungskraft oder anderen Experten beschrieben werden kann - zum Beispiel aufgrund der vielen Einflussfaktoren oder komplexen Ausgangslage. Statt zu versuchen, alle Einflussfaktoren zu erfassen und die Komplexität mit Hilfe von Planung zu managen, ist es dann zielführender, im Agieren zu lernen - also zügig in die Umsetzung zu gehen und beim Gehen zu lernen.

Ein Lernen durch Ausprobieren, Scheitern, Reflektieren und Verbessern, praktizieren Kleinkinder, wenn sie lernen, aufzustehen. Wie dies genau geht, können wir Kindern in diesem Alter nicht wirklich erklären. Wir können sie bei diesem Lernprozess nur unterstützend, motivierend begleiten. Denn der Prozess des Aufstehens ist komplex, und es gibt Hunderte von Möglichkeiten, wie man vom Boden in eine Standposition kommen kann. Wichtig ist das Ergebnis und nicht der Weg.

Agiles Führen macht Sinn, wenn

  • es viele Einflussfaktoren gibt, die kaum zu berechnen sind,

  • es an der Zeit ist, die eigene Expertise für die Lösung zu hinterfragen,

  • die Führungskraft auf die Weisheit des Teams vertrauen darf und

  • Ausprobieren, Testen und Lernen eine gute Alternative zum Planen und Managen sind, um zu neuen, kreativen Ideen und Lösungen zu gelangen.

Überträgt man das oben erwähnte Kleinkind-Beispiel auf die Haltung einer agilen Führungskraft, hat sie zahlreiche Möglichkeiten, ihr Team in Bewegung zu bringen. Sie sollte dabei

  • klar machen, dass sie das Team in Bewegung bringen möchte,

  • einen Rahmen (zeitlich, themenzentriert etc.) für das Entwickeln einer Lösung setzen und

  • am Ende entscheiden oder eine Entscheidung herbeiführen.

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