"Überwachung wie vor 70 Jahren"

Auch überspitzte Kritik an der Firma ist erlaubt



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Der Betriebsrat darf die betrieblichen Verhältnisse in seinem Unternehmen mit der Überwachung in der Nazi-Zeit vergleichen.

Übt ein Betriebsratsmitglied unter Bezugnahme auf das NS-Regime Kritik an einer geplanten Kontrolle der Mitarbeiter durch den Arbeitgeber, so rechtfertigt dies keine außerordentliche Kündigung, wenn die Äußerung darauf hinausläuft, einer Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse in diese Richtung vorzubeugen.

Kritik am Unternehmen kann rechtlich eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung sein.
Kritik am Unternehmen kann rechtlich eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung sein.
Foto: M. Schuppich - Fotolia.com

Darauf verweist der Bremer Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gewerblichen Rechtsschutz Klaus-Dieter Franzen, Landesregionalleiter "Bremen" des VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V., unter Hinweis auf einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 04. März 2016 (Az.:10 TaBV 102/15).

E-Mail mit Kritik verschickt

Der Mitarbeiter ist seit 1994 in einem Senioren- und Pflegezentrum tätig und gehört dem dortigen Betriebsrat seit 20 Jahren an. Zudem ist er Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Klinikgruppe, der sein Arbeitgeber angehört. Am 21. April 2015 verschickte er eine E-Mail an den Einrichtungsleiter und Aufsichtsratsmitglieder, von der auch der Geschäftsführer erfuhr. Darin hieß es wörtlich:

"…wie ich von mehreren Mitarbeitern erfahren habe, beabsichtigen Sie wöchentlich eine Überwachungskontrolle, mit technischen Gerätschaften, der Mitarbeiter in der Pflege durchzuführen. Es soll damit festgestellt werden, wie viel Zeit der Mitarbeiter benötigt, bis er dem Klingelruf des Mitarbeiters nachkommt. Hier findet eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers statt, die einen dringlichen Handlungsbedarf des Betriebsrats vorsieht gemäß einer einstweiligen Verfügung. Die Überwachung in einem totalitären Regime haben wir vor 70 Jahren hinter uns gebracht, auch wenn hier im Kleineren gehandelt wird, so ist dies der Anfang von dem was dann irgendwann aus dem Ruder laufen kann. ..."

Der Arbeitgeber ist der Auffassung, die E-Mail enthalte durch den Vergleich mit dem nationalsozialistischen Terrorregime eine grobe Ehrverletzung und forderte den Betriebsrat auf, der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitgliedes zuzustimmen. Diese wurde nicht erteilt. Der Arbeitgeber beantragte deshalb die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates.

Das LAG Düsseldorf wies wie das Arbeitsgericht zuvor den Antrag zurück.

Zwar sei ein Vergleich betrieblicher Verhältnisse mit dem nationalsozialistischen Terrorregime in der Regel ein Grund für eine außerordentliche Kündigung. Eine solche Gleichsetzung sei in der E-Mail aber nicht enthalten. Das Betriebsratsmitglied habe vielmehr vor einer möglichen künftigen Entwicklung warnen wollen. Es handele sich um eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung.

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