Pro und Contra

CW-Redakteure zur Nokia-Übernahme durch Microsoft

Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Microsoft kauft die Handy-Sparte des angeschlagenen finnischen Telekommunikationskonzerns Nokia für 5,44 Milliarden Euro. Die CW-Redakteure Manfred Bremmer und Jürgen Hill diskutieren das Für und Wider dieser Übernahme.

Im Zukunftsmarkt Mobile hatte Microsoft in letzter Zeit ein eher unglückliches Händchen: Trotz Partnerschaft mit dem Handy-Schwergewicht Nokia lagen Smartphones mit Windows-Betriebssystem wie Blei im Regal. Im Vergleich zu den Überfliegern von Android und Apple bewegen sich die Verkaufszahlen im einstelligen Prozentbereich. Und die lukrativen Zusatzgeschäfte mit Büchern, Videos oder Musik wie auf Google Play oder im Apple App Store waren in der Windows-Welt bisher eher marginal.

Während die einen deshalb in der Akquisition von Nokia durch Microsoft nur einen logischen Schritt nach der bisherigen Partnerschaft zwischen beiden Konzernen sehen, bewerten andere die Übernahme als eine Hochzeit der Verlierer. Für CW-Redakteur Jürgen Hill spricht dennoch vieles für eine Übernahme, während CW-Redakteur Manfred Bremmer den Kauf eher kritisch sieht.

Wie Android war Windows Phone bislang ein offenes Öko-System, droht jetzt das Modell Apple?

CW-Redakteur Jürgen Hill argumentiert für die Übernahme.
CW-Redakteur Jürgen Hill argumentiert für die Übernahme.
Foto: Joachim Wendler

PRO: Wieso drohen? Microsoft kann nur hoffen, dass es nun gelingt, ein einheitliches Öko-System aus Hardware, Software und Content sowie Services zu schnüren. Schließlich haben die letzten zehn Jahre mit Windows im Mobile Bereich gezeigt, dass ein offenes Öko-System nicht funktioniert. Und daran war nicht nur Microsoft als Betriebssystem-Hersteller schuld - meist lag das Scheitern einer Windows-Mobile-Variante schlicht am Unvermögen der sogenannten Partner, die adäquate, leistungsfähige Hardware zu verbauen.

Und die fehlende Bereitschaft der Hardware-Hersteller selbst für ihre teuren High-end-Geräte nach einem Jahr ein Update zu liefern, taten ihr Übriges, um die Kunden zu vergraulen. Alles Probleme, auf die die Android-Welt derzeit zurennt. Deshalb scheint ein geschlossenes Öko-System wie es Apple verfolgt der bequemere Weg zu sein.

CW-Redakteur Manfred Bremmer ist skeptisch, was die Ziele der Übernahme betrifft.
CW-Redakteur Manfred Bremmer ist skeptisch, was die Ziele der Übernahme betrifft.

CONTRA: Auf dem Papier war Windows Phone zwar offen, in der Praxis hatte Microsoft aber eine ähnliche Kontrolle wie Apple, wenn man von Teile der Hardware einmal absieht. Hier gibt es dafür strenge Vorschriften über die Spezifikationen bis hin zur Wahl des Prozessors. So gesehen wird sich hier also - leider - fast nichts ändern.

Was spricht für Hardware und Betriebssystem aus einer Hand?

PRO: Für den Anwender spricht vieles für ein Smartphone-System aus einer Hand. Er kann sich darauf verlassen, dass alle Komponenten vom Betriebssystem über die Geräte-Hardware bis hin zum Zubehör miteinander harmonisieren. Ebenso steigt seine Chance, noch Updates für seine teure Hardware zu bekommen. Windows-Mobile-User, aber auch die Käufer von Samsungs Galaxy-Smartphones können davon ein Lied singen, wenn die mehrere hundert Euro teure Hardware nach einem Jahr für den Hersteller nur noch zum alten Eisen zählt, das er nicht mehr supporten will. Gleichzeitig lässt sich mit Hardware und Betriebssystem die Fragmentierung einer Plattform vermeiden, wie sie gerade bei Android zu beobachten ist.

CONTRA: Hier zeichnen sich theoretisch Vorteile ab. Ohne ernstzunehmende externe Hardwarepartner fällt jedoch der Druck für Microsoft weg, seine Software schneller weiterzuentwickeln und Funktionen zu integrieren, die die Plattform wettbewerbsfähiger machen. Ein schwerfälliger Dampfer wird nicht über Nacht zum Schnellboot. Selbst schnelle Updates und damit eine geringe Fragmentierung sind nur bedingt möglich, da bei Windows Phone anders als bei iOS Carrier-Branding gestattet ist. Neue Betriebssystemversionen werden nicht direkt aufgespielt, sondern müssen erst von den Partnern angepasst und freigegeben werden.

Welche Auswirkungen hat die Übernahme für den Consumer?

PRO: Auf den ersten Blick wird sich für den Consumer sicherlich die Auswahl verringern, denn Hersteller wie HTC, Huawei oder Samsung dürften jetzt Windows Phone den Rücken kehren. Allerdings sollte dies für den Verbraucher keinen herben Verlust darstellen. Von Nokia abgesehen war das Bekenntnis der anderen Hersteller zu Windows Phone eher halbherzig. Mittelfristig könnte das zu einem stabileren Preisniveau führen, so dass Windows-Phones künftig ähnlich wertstabil sind wie heute iPhones. Ferner könnte nun in der mobilen Windows-Welt vielleicht ein Marktplatz entstehen, der sich mit Apples Store messen kann.

CONTRA: Wenn Microsoft nicht sehr sensibel vorgeht, werden andere Player, zuletzt waren das immerhin noch HTC, Huawei und Samsung, wohl das letzte Interesse daran verlieren, eigene Windows Phones zu bauen. Die Auswahl geht zurück, gleichzeitig kann Microsoft noch als bisher stärker vorschreiben, was den Anwendern zu gefallen hat. Interessant könnten allerdings die Pakete werden, die Microsoft schnürt, um sich Marktanteile zu kaufen. Ähnlich wie bei der Xbox ist gut vorstellbar, dass man schon bald zu jedem gekauften Windows-Tablet oder -Ultrabook ein Smartphone gratis dazubekommt.

Können die Nutzer künftig attraktivere Endgeräte erwarten?

PRO: Ja, denn jetzt hat Microsoft Betriebssystem und Hardware in der Hand und kann so entsprechende Pflichtenhefte für neue Modelle definieren, ohne auf Hardware-Partner Rücksicht zu nehmen. Dass dies funktioniert hat Apple ja bereits bewiesen.

CONTRA: Nokia hat es nach langer Übung jetzt weitgehend geschafft, trotz Microsoft-Software und den strikten Vorgaben attraktive Geräte zu bauen. Der große Durchbruch ist ihnen damit aber auch nach gut zwei Jahren noch nicht gelungen. Windows Phone verbucht zwar steigende Marktanteile, das Wachstum wird aber primär durch billige Einsteigermodelle erzielt, die kaum Marge abwerfen.

Nach der Übernahme ist kaum Besserung zu erwarten, eher eine Verschlimmerung. So hilft gutes Hardwaredesign allein kaum, wenn das Grundkonzept eines Produkts falsch ist und man am Anwender vorbei entwickelt - man denke nur an die Anfänge von Windows Phone und zuletzt die Tablets mit Windows RT. Nur zur Erinnerung: Microsoft hat bereits 2008 mit Danger einen Hersteller von Mobiltelefonen übernommen, auch die resultierenden Kin-Geräte sprechen nicht gerade für Microsofts Geschick mit Hardware.

Zudem stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, was mit dem Feature Phones der Asha-Marke passiert. Microsoft hat auf diesem Gebiet keine Erfahrung, der Bereich verzeichnet zwar einen allmählichen Rückgang bei den Marktanteilen, ist jedoch gleichzeitig ein wichtiges Standbein von Nokia und besonders in Schwellenländern sehr bekannt.

Und was dürfen die Business-Kunden erwarten?

Hardware und Betriebssystem in einer Hand. Dürfen Anwender nun auf regelmäßige Updates hoffen?
Hardware und Betriebssystem in einer Hand. Dürfen Anwender nun auf regelmäßige Updates hoffen?
Foto: Nokia

PRO: Für Business-Kunden besteht die Hoffnung, dass Microsoft endlich aufwacht und in die Bresche springt, die Nokia hinterlassen hat: Eine durchdachte Plattform zu offerieren, die vom Backend inklusive Mobile Management, bis hin zum Frontend reicht und Business-Anwendern endlich eine sichere Benutzung unternehmenskritischer Anwendung erlaubt. Diese Klientel hatte Microsoft in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt. Bei Hintergrundgesprächen auf dem Mobile World Congress beschwor das Topmanagement gegenüber der COMPUTERWOCHE zwar immer wieder, mit dem nächsten Release entsprechende Business-Features nachzureichen - allein, die Taten folgten nicht.

Dies könnte sich nun ändern. Gleichzeitig könnte eine Microsoft, die nun ihre mobilen Business-Kunden wieder ernst nimmt, eine Signalwirkung auf andere Enterprise-IT-Anbieter haben, neben iOS- und Android-Apps auch das entsprechende Windows-Phone-Pedant anzubieten.

CONTRA: Sicher wird Microsoft versuchen, die Business-Karte noch stärker als bisher zu spielen und letztendlich hier Blackberry auf die hinteren Ränge zu verbannen. Auf längere Sicht könnte die Strategie aufgehen, kurz- und mittelfristig wird die Company damit aber wohl kaum Erfolg haben. Zum einen hinkt Windows Phone, was die erforderlichen Enterprise-Features anbelangt, noch immer stark der Konkurrenz hinterher.

Zum anderen ist der Softwareriese aus dem PC-Geschäft die Position des dominierenden Marktführers gewöhnt. In Zeiten von ByoD und der weiten Verbreitung von Android und speziell iOS im Business muss sich Microsoft allerdings mehr einfallen lassen als bisher.

Letztlich wird Nokia ja zerschlagen in eine Handy- und Netzwerksparte (inkl. Kartendienste). Verliert der Konzern nicht Know how?

PRO: Nein. In der IT-Industrie gibt es genügend Beispiele, wo große Konzerne nach ihrer Zerschlagung wieder effizienter arbeiteten, weil sie sich auf ihre Kernkompetenzen fokussierten. Jüngstes Beispiel hierfür ist die ausgegliederte Handy-Sparte von Motorola.

CONTRA: Definitiv. Für den Bau von Mobiltelefone sind etwa Kenntnisse im Mobilfunk- und Netzwerkbereich enorm wichtig, man denke nur an Apples frühere Missgeschicke bei der Platzierung der Antennen im iPhone 4. Mit einer Netzwerktochter können auch neue Übertragungstechniken schneller integriert werden und einen Wettbewerbsvorteil bringen. Was den Kartendienst anbelangt, darf man nicht vergessen, dass Windows Phone künftig eines der wenigen Alleinstellungsmerkmale verliert, wenn das "neue" Nokia HERE auch für iOS und Android anbieten kann.

Was bedeutet die Übernahme für das Image von Nokia?

PRO: Gehässig formuliert, kann Nokia in Deutschland in Sachen Image nur noch gewinnen. Nach dem peinlichen Schauspiel um die Werksschließung in Bochum, nur weil es in Rumänien lukrativere Staatssubventionen gab, hat der Konzern bei vielen Deutschen kein gutes Image mehr. Hinzu kam eine teilweise veraltete Produktpalette, die ebenfalls am Nimbus der Marke kratzte. Zieht man dann noch die Entwicklung von Nokia Siemens Networks ins Kalkül, bleibt vom einst strahlenden Image der Finnen nicht mehr viel übrig. Microsoft war deshalb sicherlich gut beraten, zumindest bei den Smartphones die Marke Nokia komplett zu streichen.

CONTRA: Mit den vorangegangen Massenentlassungen, dem Wechsel von Symbian auf Windows Phone ist der Ruf von Nokia ohnehin bereits angeknackst, nicht nur im Heimatland Finnland. Nach dem damit verbundenen Kunden-Exodus kann sich gut vorstellen, dass nun die letzte Attraktivität der Marke verloren geht. Und wenn auf den Geräte nur noch Microsoft steht, ist es mit der Sexiness endgültig vorbei.

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