Tipps für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

EuGH: Wegezeit ist Arbeitszeit



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass für Arbeitnehmer ohne festen Arbeitsort die Fahrt zwischen ihrem Wohnort und dem ersten sowie dem letzten Kunden zur Arbeitszeit gehört. Armin Rudolf nennt Details zum Urteil.

Dem Urteil vom 10. September 2015 zum Aktenzeichen C-266/14 lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem ein in den meisten Provinzen Spaniens tätiger Arbeitgeber seine Arbeitnehmer mit der Installation und Wartung von Sicherheitssystemen zur Verhinderung von Diebstählen beschäftigte. Nachdem das Unternehmen seine Regionalbüros geschlossen hatte, wies es alle Angestellten dem Zentralbüro in Madrid zu.

Die bei dem Unternehmen beschäftigten Techniker, die Sicherheitsvorrichtungen in Privathäusern sowie industriellen und gewerblichen Einrichtungen in dem ihnen zugewiesenen Gebiet installierten, hatten nie einen festen Arbeitsort. Sie starteten vor der Schließung der Regionalbüros von dort aus ihre ihnen zuvor zugewiesenen Touren. Nach der Schließung der Regionalbüros fuhren sie mit dem ihnen zur Verfügung gestellten Firmenfahrzeug von ihrem Wohnort zu den verschiedenen Arbeitsorten und am Ende des Tages vom letzten Kunden aus wieder zurück nach Hause.

Arbeitgeber verliert Prozess vor dem EuGH

Der Arbeitgeber erkannte die täglichen Fahrten zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und dem Standort des ersten und des letzten Kunden nicht als Arbeitszeit an. Dieser Auffassung hat der EuGH mit dem vorzitierten Urteil eine deutliche Absage erteilt.

Bei Fahrten zwischen dem Wohnort und dem Standort eines Kunden nimmt der EuGH an, dass des Arbeitnehmer während der Fahrzeit seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit ausübt.
Bei Fahrten zwischen dem Wohnort und dem Standort eines Kunden nimmt der EuGH an, dass des Arbeitnehmer während der Fahrzeit seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit ausübt.
Foto: antimartina - Fotolia.com

Nach der Ansicht des EuGH ist bei Arbeitnehmern, die sich in einer solchen Situation befinden, anzunehmen, dass sie während der gesamten Fahrzeit ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit ausüben. Die Fahrten der Arbeitnehmer zu den von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden sind nach Auffassung des EuGH das notwendige Mittel, um an den Standorten dieser Kunden technische Leistungen erbringen zu können.

Die Arbeitnehmer stehen dem Arbeitgeber während der Fahrzeiten zur Verfügung. Während dieser Fahrten unterstehen sie nämlich seinen Weisungen, da er die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen kann. Während der erforderlichen Fahrzeit, die sich zumeist nicht verkürzen lässt, haben die Arbeitnehmer somit nicht die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen. Deshalb ist es nach Auffassung des EuGH gerechtfertigt, zu sagen, dass bei einem Arbeitnehmer, der keinen festen Arbeitsort (mehr) hat und der seine Aufgaben während der Fahrt zu oder von einem Kunden wahrnimmt, dieser während der Fahrt arbeitet.

Tipp für Arbeitnehmer:

In der Praxis werden die Wegezeiten von Mitarbeitern häufig nicht als Arbeitszeit gewertet. Dies wirkt sich oftmals nachteilig auf die Vergütung von Beschäftigten aus. Davon betroffene Arbeitnehmer sollten daher rechtlich überprüfen lassen, ob sie zutreffend für ihre Tätigkeit entlohnt werden. Dabei ist stets ein besonderes Augenmerk auf eventuell zu beachtende Ausschluss- bzw. Verfallfristen zu richten, die zwischen den Arbeitsvertragsparteien schnell für Rechtssicherheit sorgen und verhindern sollen, dass Arbeitnehmer noch weit in der Vergangenheit liegende Vergütungsansprüche geltend machen und notfalls gerichtlich durchsetzen.

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