FOKUS: Abgang von Pierers könnte Konzernumbau beschleunigen

20.04.2007

Von Alexander Becker und Joon Knapen

Dow Jones Newswires

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rücktritt von Heinrich von Pierer könnte den vom Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld betriebenen Konzernumbau nach Einschätzung von Analysten und Investoren deutlich beschleunigen. Kleinfeld wird durch den für die kommende Woche angekündigten Rückzug wohl mehr operative Freiheiten erhalten und die Reorganisation des Konzerns nach einhelliger Meinung von Analysten weiter vorantreiben. Mittelfristig rechnen Investoren und Analysten daher mit grundlegenden Änderungen der aktuellen Konzernstruktur. Kurzfristig könnte sich der Rücktritt bereits beim geplanten Börsengang der Automobilzuliefersparte VDO auswirken.

Am Aktienmarkt notierte die Aktie gegen Mittag in einem insgesamt festeren Marktumfeld um 3.8% höher bei 90,52 EUR. Händlern zufolge ist das Plus zumindest teilweise auf den Rücktritt von Pierers zurückzuführen. Fundamental könnte nach Händlerangaben auch eine Meldung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stützen, der zufolge alle Geschäftsbereiche im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2006/07 ihre Margenziele erreicht haben und die Analystenerwartungen übertroffen wurden.

Heinrich von Pierer hatte am Donnerstagabend die Konsequenz aus den zahlreichen Affären bei Siemens gezogen, die weitgehend in seine Zeit als Vorstandsvorsitzender des Münchener Elektronikkonzerns fielen. In der nächsten Woche will er sein Amt als Vorsitzender des Aufsichtsrates niederlegen. Seine Nachfolge soll zunächst Aufsichtsratsmitglied Gerhard Cromme antreten, der bereits den Prüfungsausschuss im Siemens-Aufsichtsrat zur Aufklärung der Schmiergeldaffäre führt.

Als "grundsätzlich positiv" bewertet Christoph Niesel, Fondsmanager bei Union Investment, den Rücktritt von Pierers, da "jetzt jemand Verantwortung für die Ereignisse übernimmt, die sich in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender ereignet haben". Der Abgang von Pierers zeige, "dass Kleinfeld nun die Zügel in der Hand hält und sich von von Pierer emanzipiert hat." Das Verhältnis zwischen den beiden sei offenbar ohnehin nicht so gut gewesen wie erwartet, sagt Dresdner-Kleinworth-Analyst James Stettler. "Von Pierer war offenbar der Meinung, dass Kleinfeld zu schnell und zu aggressiv vorgegangen ist."

"Der Rücktritt von Pierers kommt nicht unerwartet", meint daher auch Theo Kitz, Analyst bei Merck Finck & Co. Damit erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass die von Kleinfeld geplanten Restrukturierungsmaßnahmen nun schneller umgesetzt würden, so Kitz. Dazu gehören der Verkauf von Enterprise Networks und der Börsengang von Siemens VDO Automotive. Auch Fondsmanager Niesel erwartet nun ein forciertes Tempo beim Umbau des Konzerns. Es sei zu erwarten, dass "Kleinfeld die Dinge bei Siemens jetzt schneller angehen kann und auch wird".

Nach dem Rücktritt von Pierers dürfte vor allem die strategische Neuausrichtung des Konzerns schneller vorangetrieben werden. So hätte von Pierer bei der Trennung von VDO Automotive wohl eine langsamere Gangart bevorzugt, sagt Niesel. Mit Kleinfeld und Finanzvorstand Joe Kaeser sei nun "mehr Zug drin". Auch ein Komplettverkauf statt eines IPO von VDO könnte nun stärker verfolgt werden.

Dresdner-Kleinworth-Analyst Stettler sieht in der jetzt anstehenden Entscheidung über einen Börsengang oder alternativ einen Verkauf der Sparte einen Indikator für die künftige Strategie bei Siemens. "Von Pierer wollte niemals irgendetwas verkaufen, es sei denn er fühlte sich dazu genötigt," so Stettler, der wie die meisten anderen Analysten einen Verkauf von VDO bevorzugen würde.

Ende Januar hatte Siemens angekündigt, den Automobilzulieferer eventuell an die Börse zu bringen. Siemens werde in einem solchen Falle die Mehrheit bei VDO Automotive behalten, hieß es seinerzeit. Siemens-Vorstandsvorsitzender Klaus Kleinfeld bevorzugt eine Lösung, nach der 25% bis 49% von VDO an die Börse gebracht wird. Allerdings hat Kleinfeld auch Alternativen zu einer Börsennotierung nicht ausgeschlossen.

Fondsmanager Niesel verweist zudem darauf, dass es "noch eine Reihe von Baustellen im Konzern" gibt. So wäre Siemens IT Solutions and Services (SIS) - wenn die Sparte denn die Margenziele im zweiten Quartal erreicht - ein Kandidat, der mittelfristig zur Disposition stehen würde. Generell könnten künftig alle Bereich auf den Prüfstand gestellt werden, die die Zielvorgaben des Gesamtkonzerns nicht erfüllen können, so der Fondsmanager weiter. Dazu gehören Teile der Sparten I&S, Transportations Systems (TS) und SBT. Hier sei allerdings kurzfristig nicht mit konkreten Ankündigungen zu rechnen.

Auch in der Management-Struktur könnte sich künftig einiges verändern. Davon könnten sowohl der Vorstand als auch der Aufsichtsrat betroffen sein. Für JP-Morgan-Analyst Andreas Willi stellt der Rückritt von Pierers das Ende einer Ära dar, nach der es zu größeren Veränderungen kommen werde. Er erwartet im kommenden Januar verstärkt externe Besetzungen im Aufsichtsrat. Daraus könnte auch eine Neuausrichtung des Zentralvorstands folgen. So würde das Unternehmen von einer Verkleinerung des Gremiums und direkteren Verantwortlichkeiten der Mitglieder profitieren.

Auch Fondsmanager Niesel sieht die Chance, dass sich der Konzern auch personell neu aufstellt. So werde Cromme wohl eine Interimslösung sein, bis der neue Aufsichtsrat im Januar kommenden Jahres gewählt wird. Hier dürfte es dann zu weiteren Änderungen im Aufsichtsgremium kommen, da drei Mitglieder bereits über 70 Jahre alt sind und Platz für neue Mitglieder machen dürften. Mit einem neuen Aufsichtsrat sollte auch der Zentralvorstand mehr operative Verantwortung erhalten.

Webseite: http://www.siemens.de

- Von Alexander Becker und Joon Knapen, Dow Jones Newswires,

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