FOKUS: Autozulieferer suchen nach der passenden Diversifikation

06.07.2009
Von Nico Schmidt DOW JONES NEWSWIRES

Von Nico Schmidt DOW JONES NEWSWIRES

FRANKFURT (Dow Jones)--Nicht nur die Automobilhersteller leiden unter der Nachfrageflaute, auch in den Bilanzen vieler Zulieferer hinterlässt die Krise tiefe Spuren. Um die Abhängigkeit von der kränkelnden Branche zu reduzieren, suchen Konzerne wie Bosch, Leoni und Kuka nach neuen Betätigungsfeldern in der Luftfahrt- und Energiebranche oder der Medizintechnik. Branchenexperten begrüßen diesen Trend, warnen aber vor dem damit verbundenen zeitlichen und finanziellen Aufwand sowie den Risiken.

Zu den möglichen Problemen bei der Diversifizierung zählen Branchenexperten unter anderem die Wahl des "richtigen" neuen Betätigungsfeldes und das passende Timing. Angesichts der langen Vorlaufkosten müssten beide Faktoren analysiert werden, sagt etwa Götz Klink von der Unternehmensberatung A.T.Kearney. "Die Diversifizierung muss strategisch durchdacht sein, dass heißt fit mit dem bisherigen Geschäft".

Andernfalls lohnten sich unter Umständen die hohen Anlaufkosten nicht, die in Zeiten der Krise aufgebracht werden müssen, warnt Bankhaus-Metzler-Analyst Jürgen Pieper: "Da muss ich gut kalkulieren, der Aufwand muss in weniger als zehn Jahren zurückfließen".

Die weltweite Automobilindustrie steckt in ihrer schwersten Krise seit dem zweiten Weltkrieg. Auf fast allen wichtigen Märkten schrumpfen Nachfrage und Absätze seit fast einem Jahr unaufhaltsam zusammen. Den Autobauern sprangen die Regierungen vieler Länder zur Seite und setzten staatliche Kaufanreize, um die Kunden wieder in die Verkaufshäuser zu locken.

Die Zulieferer hatten jedoch kaum etwas von den Verschrottungsprämien. Denn die Hersteller verkauften zuletzt vor allem Autos aus dem Hofbestand - und die sind schon lange produziert, die Teile der Zulieferer also längst verbaut und verbucht.

In dieser Situation lautet das Zauberwort für viele Unternehmen "Diversifikation" - gerade in der als besonders zyklisch eingestuften Automobilindustrie. Einige wenige Unternehmen, die es sich leisten können, wagen dabei durch Zukäufe den Sprung in völlig neue Geschäftsfelder.

Die finanzstarke Robert Bosch GmbH etwa versucht sich nach dem Erwerb des Solarunternehmens Ersol im Jahr 2008 verstärkt im Bereich Umwelttechnologie. Aber nicht jedes Unternehmen kann auf eine so starke Kapitalausstattung zurückgreifen wie der größte Zulieferer der Welt.

Andere wie die Leoni AG, ein Spezialist für Draht-, Kabel- und Bordnetz-Systeme, suchen dagegen eher nach Möglichkeiten, vorhandene Produkte mit möglichst geringem Aufwand in neuen Bereichen an den Kunden zu bringen. So wird beispielsweise das Know-how aus der Fertigung für die Automobilindustrie auf die Produktion für die Luftfahrt und für Züge übertragen. In leicht abgeänderter Form finden so etwa Audiokabel aus Autos auch in Zügen Anwendung.

Die Abhängigkeit des Nürnberger Konzerns von der kriselnden Autobranche stieg nach der Übernahme der Bordnetz-Sparte des französischen Konkurrenten Valeo im Jahr 2007 drastisch an. Aktuell erwirtschaftet der MDAX-Konzern rund 70% seines Umsatzes im Geschäft mit der Autoindustrie. Durch eine Expansion in den Bereichen Luftfahrt und Medizintechnik sowie die Verkabelung bei Infrastrukturprojekten soll dieser Anteil mittelfristig auf unter 60% eingedampft werden. Eine konkrete Zeitvorgabe für dieses Ziel gibt es nicht.

Der Weg von Leoni scheint gut gewählt: "Leoni hat geprüft, in welchen Bereichen außerhalb der Autoindustrie sie das vorhandene Know-how einsetzen können", so etwa Analyst Marc-Rene Tonn von M.M.Warburg. Die definierten Zukunftsbranchen seien hinsichtlich des Kriteriums Übertragbarkeit gut ausgewählt. Daher sieht Tonn die Nürnberger auf einem guten Weg, die Abhängigkeit von der schwächelnden Branche zu reduzieren. Da Wachstum durch Zukäufe aufgrund der finanziellen Restriktionen für Leoni aber nur bedingt möglich sei, wird es laut dem Analysten eine gewisse Zeit dauern, bis die Bemühungen Früchte tragen.

Angesichts der Krise in der Autoindustrie startete Leoni bereits 2008 ein umfassendes Sparprogramm, das zu Jahresbeginn verschärft wurde. Unter anderem kündigte Vorstandsvorsitzender Klaus Probst im Frühjahr an, Akquisitionsprojekte würden auf Eis gelegt. "Große Akquisitionen, die uns dem Ziel näher bringen, den Umsatz mit der Automobilindustrie auf 60% zu senken, wird es in diesem Jahr nicht geben", erklärte ein Leoni-Sprecher in diesem Zusammenhang.

Auch der Roboter- und Anlagenbauer Kuka, der sich als Pionier der "Mechatronik" - also dem minutiösen Zusammenspiel von Software, Steuerung und Mechanik - versteht, will vorhandenes Know-how in andere Geschäftsfelder transferieren. Die Augsburger sehen dabei die Luftfahrtindustrie, die Medizintechnik sowie die Solarbranche als aussichtsreiche Betätigungsfelder für die Zukunft. Erst im Mai bekam das Unternehmen den Auftrag, Anlagen für die Flugzeugmontage zu bauen und eine Anlage zur Herstellung kristalliner Solarmodule zu entwickeln. Roboter, die heute noch Autos montieren, sollen in modifizierter Form schon bald in Vergnügungsparks für Unterhaltung sorgen.

"Kuka hat ein sehr breites Feld an Zukunftsbranchen und viele Richtungen, die eingeschlagen werden können", erklärt Eerik Budarz vom Bankhaus Metzler. Da es letztlich eine Sache der Programmierung sei, einen für die Autoindustrie konzipierten Roboter in einer anderen Branche einzusetzen, hält er den finanziellen Aufwand für überschaubar.

Allerdings bleibe das Engagement von Kuka in den auserkorenen Branchen noch recht klein, bemängelt Budarz. Medienberichten zufolge sorgte diese Tatsache bei Kuka hinter den Kulissen zuletzt sogar für Streit mit den Großaktionären, weil diesen der Strategiewechsel zu langsam voran kommt. Diesen Vorwurf wies Kuka als "nicht fundiert" zurück. Der im Geschäft mit der Autoindustrie erwirtschaftete Umsatzanteil soll durch den Ausbau alternativer Kundenkreise von aktuell rund 70% langfristig auf etwa 50% gedrückt werden.

Überraschend kommt der Trend zur Diversifizierung nicht: Nach neuesten Daten des Verbandes der Automobilindustrie brach der Umsatz der deutschen Zulieferindustrie im Zuge der Krise bereits 2008 um fast 10% auf gut 68 Mrd EUR ein, nachdem die Erlöse in den vergangenen fünf Jahren um insgesamt ein Drittel zulegt hatten. Ein Ende der Krise sieht der Branchenverband noch nicht gekommen und warnt vor weiteren Insolvenzen.

Auch auf globaler Ebene ist die Tendenz zur breiteren Diversifizierung zu bemerken. Das jüngste "Global Automotive Barometer" der Unternehmensberatung A.T.Kearney und des Marktforschungsunternehmens SupplierBusiness kommt zu dem Ergebnis, dass von rund 180 im Mai befragten Unternehmen aus der Zulieferbranche mehr als die Hälfte erwägt, sich ein Standbein außerhalb der Automobilindustrie aufzubauen.

Doch egal, welchen Weg die Autozulieferer letztlich gehen - unter dem Strich sieht Analyst Jürgen Pieper die deutschen Zulieferer trotz der aktuellen Krise und allen mit der Diversifikation möglicherweise verbundenen Problemen gut positioniert: "Aufgrund des hohen Drucks aus der Autoindustrie sind die Zulieferer sehr, sehr effizient geworden. (...) Das zeigt die Tatsache, dass einige Zulieferer höhere Margen haben als mancher Hersteller".

Webseiten: http://www.bosch.com http://www.kuka-ag.de http://www.leoni.com http://www.supplierbusiness.com http://www.atkearney.de -Von Nico Schmidt, Dow Jones Newswires, +49 - (0)69 297 25 114; nico.schmidt@dowjones.com DJG/ncs/kgb/brb

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