Freiberuflich oder scheinselbstständig?

11.06.2004
Bezüglich der Rentenversicherungspflicht ist bei Selbstständigen entscheidend, ob sie nur "einen Auftraggeber" haben. Was man darunter zu verstehen hat, beschäftigte jetzt erstmals auch die Gerichte. Rechtsanwalt Dr. Benno Grunewald analysiert den aktuellen Fall.

Eine Vorbemerkung: Trotz verschiedener Änderungen im Bereich der Scheinselbstständigkeit und einer damit verbundenen Entschärfung der Situation hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Rentenversicherungspflicht Selbstständiger keine Abstriche an der seit 1999 bestehenden Regelung gemacht.

Somit sind Selbstständige dann rentenversicherungspflichtig, wenn sie "im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400 Euro im Monat übersteigt und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind" (§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI).

Daher kommt nach wie vor der Frage, wann das Kriterium "ein Auftraggeber" erfüllt ist, entscheidende Bedeutung zu. Hierzu hat sich nunmehr zum ersten Mal ein Gericht im Falle eines selbstständigen IT-Beraters geäußert.

Der Fall

Der Berater war seit 1994 im IT-Bereich selbstständig. In den Jahren 1994 bis 1996 war er für drei verschiedene Firmen beratend tätig. 1997 übte er eine Tätigkeit als Dozent an einem Lehrinstitut aus. Von Ende 1997 bis September 2001 war der Berater ausschließlich für einen einzigen Auftraggeber tätig. Ab April 2001 hatte der Berater seinen Sohn als Arbeitnehmer eingestellt.

Die BfA (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) war der Meinung, dass der IT-Berater während der Zeit bei diesem einen Auftraggeber (1997 bis 2001) rentenversicherungspflichtig sei, und forderte nachträglich Beiträge in Höhe von rund 12.000 Euro.

Da die BfA den dagegen gerichteten Widerspruch zurückwies, erhob der Berater Klage vor dem zuständigen Sozialgericht in Aachen.

Die Entscheidung

Das Sozialgericht gab dem IT-Berater Recht. Es verneinte trotz der langen Tätigkeitsdauer für nur einen Auftraggeber eine Rentenversicherungspflicht.

Dies begründete das Gericht unter anderem damit, dass der Berater glaubhaft dargelegt habe, dass er nach seinem Unternehmenskonzept die Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern anstrebt und dies in der Vergangenheit auch bereits praktizierte. Außerdem seien auch branchenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen, die eine längere Tätigkeit für nur einen Auftraggeber notwendig machen können.

Hierzu führt das Sozialgericht Aachen unter anderem aus, dass die oben bereits erwähnte Regelung des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI "auf den Kopf gestellt würde, wenn gerade dann, wenn der Betroffene einen besonders lukrativen und umfangreichen Auftrag erhält, er der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt, während er in Zeiten, in denen er mehrere kleine Aufträge, die sich nebeneinander erledigen lassen, bearbeitet, er dieser Versicherungspflicht nicht unterliegt".

Und weiter heißt es im Urteil: "Wenn die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung in dem gemeinsamen Rundschreiben (vom 20.12.1999) ausführen, dass bei einer im Voraus begrenzten, lediglich vorübergehenden Tätigkeit für einen Auftraggeber nur dann keine Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit vorliegt, wenn die Begrenzung innerhalb eines Jahres liegt, fehlt dem die gesetzliche Grundlage" (Sozialgericht Aachen, Urteil vom 26.03.2004, Az. S 8 RA 87/03).

Kommentar

Das Sozialgericht Aachen macht mit seiner Entscheidung erfrischend lebensnah und juristisch gut begründet deutlich, dass die gesetzlichen Regelungen zur Frage der Rentenversicherungspflicht Selbstständiger auf rechtlich tönernen Füßen stehen.

Insbesondere der eigenmächtigen Interpretation der BfA hinsichtlich der Dauer der Tätigkeit wird ein entscheidender rechtlicher Riegel vorgeschoben.

Somit gibt diese erste gerichtliche Entscheidung zum Aspekt "Ein Auftraggeber" Mut und Argumentationshilfe auch für Auseinandersetzungen mit der BfA, die noch nicht bei Gericht anhängig sind. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die BfA in die Berufung geht.

Steckbrief

Rechtsanwalt Dr. Benno Grunewald, Bremen, ist Justitiar des Berufsverbandes Selbständige in der Informatik (BVSI). Die Schwerpunkte seiner rechtsberatenden Tätigkeit liegen unter anderem auf den Gebieten Gewerbesteuer, Scheinselbständigkeit und Electronic Commerce. Kontakt: www.dr-grunewald.de

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