Oliver Bierhoff im Interview

Fußball wird berechenbar

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

„Dann können wir die Frage beantworten: Wie sieht der optimale Stürmer aus?“

Was bedeutet die schöne neue Datenwelt für die Spieler?
Bierhoff: Für die Spieler bedeutet das mehr Sicherheit und Klarheit. Wenn die Zeitungen schreiben, dass jemand eine schlechte Phase hat, dann können wir belegen, der Spieler läuft genauso gut und schnell wie zuvor, oder aber wir können wirklich nachweisen, dass er weniger oder die falschen Wege läuft. Das sind wichtige Feedbacks. Man belügt sich gerne selbst, gerade in schwächeren Phasen. Jetzt können sich die Spieler jedoch immer weniger herauswinden, wenn konkrete Zahlen vorliegen.

Enzieht sich mit seinen spontanen Eingebungen vermutlich jeder Big-Data-Analyse: Nationalstürmer Thomas Müller.
Enzieht sich mit seinen spontanen Eingebungen vermutlich jeder Big-Data-Analyse: Nationalstürmer Thomas Müller.
Foto: Herbert Kratky, Shutterstock.com

Die Spieler können also auch selbst mit den Daten spielen?
Bierhoff: Wir haben für die Mannschaft ein Communication-Tool entwickelt. Das haben wir während der WM der kompletten Mannschaft zur Verfügung gestellt – über iPhone beziehungsweise iPad. Hier haben wir verschiedene Räume für einzelne Mannschaftsteile, aber auch für Einzelspieler eingerichtet. Da kommt schon mal eine Initiative von Seiten der Spieler, zum Beispiel von Manuel Neuer: Gib mir mal die Elfmeterstatistik von den Chilenen. Ich gehe davon aus, dass auch andere Spieler nachziehen werden und zum Beispiel nach ihren Sprintwerten fragen – vor allem wohl dann, wenn es aus Sicht des Spielers gut gelaufen ist. Wenn es schlecht läuft, werden wir das wohl aktiv nachreichen müssen (lacht). Wir wollen die Spieler aber nicht an den Ohren ziehen.

Welche Informationen könnten die Spieler denn sonst noch bekommen?
Bierhoff: Unsere Scouts müssen einen Manuel Neuer oder einen Per Mertesacker auch mit Daten und Informationen aus deren Ligen versorgen oder über den nächsten Gegner in der Champions League – ohne natürlich in die Arbeit eines FC Bayern oder FC Arsenal einzugreifen. Zum Beispiel: Hier sind die drei gefährlichsten Aktionen von Ibrahimovic – das ist für einen Manuel Neuer sicher nicht verkehrt.

Momentan stellen die Spieler Fragen, die dann Ihre Experten mit Hilfe von Analysen beantworten. Wird es irgendwann so sein, dass sich die Spieler selbst über ein eigenes Dashboard die gewünschten Analysen zusammenstellen können?
Bierhoff: Das wäre das Ziel. Wenn heute eine Information eintrifft, dann verarbeitet der Trainer sie. Aber diese Information könnte auch direkt zum Spieler kommen. Allerdings steckt da schon ein gewisser Aufwand dahinter, gerade um bestimmte Dinge miteinander zu verbinden. Aber das Gute ist: Wir haben jetzt eine einheitliche Plattform, auf der das möglich ist. Das ist schon einmal eine wichtige Grundlage für mich. Vorher war das nicht möglich. Heute haben wir eine Plattform, auf der wir alles schnell bedienen können.

Wie wichtig ist für Sie die Geschwindigkeit?
Bierhoff: Schnelligkeit ist extrem wichtig. Wenn ich dem Spieler seine Daten drei Tage nach einem Spiel gebe, dann hat er kein Interesse mehr daran. Er muss die Infos direkt nach dem Spiel bekommen. Wenn sich dann auch noch ein gewisser Automatismus einstellt, der Spieler also schon damit rechnet, dass diese Informationen kommen, dann fühlt er sich auch nicht auf den Schlips getreten, wenn es mal schlechter läuft. Nach dem Motto: Das Feedback – ob gut oder schlecht – gehört einfach dazu. Dazu kann der Spieler auch noch eine Art Benchmark bekommen, mit dem er sich zum Beispiel mit den Besten der Champions League vergleichen kann.

Wie haben Sie die Spieler in den Entwicklungsprozess eingebunden?
Bierhoff: In dem Designprozess mit SAP gab es auch zwei Interview-Sessions mit den Spielern. Das war wichtig – schließlich ist das eine ganz andere Generation von Spielern, mit denen wir es jetzt zu tun haben. Hier dreht sich viel um iPhone, iPad und andere Mobilgeräte.

Über Cristiano Ronaldo weiß man viel, über seine Übersteiger und seine Schnelligkeit auch. Ob CR7 allerdings mit Big-Data-Analysen besser in den Griff zu bekommen ist, weiß noch niemand.
Über Cristiano Ronaldo weiß man viel, über seine Übersteiger und seine Schnelligkeit auch. Ob CR7 allerdings mit Big-Data-Analysen besser in den Griff zu bekommen ist, weiß noch niemand.
Foto: Alexandre Araujo, Shutterstock.com

„Ich bin immer der etwas kritische Geist in unserer Truppe.“

Wie war das Feedback, das Sie von den jüngeren Spielern aus der Digital-Native-Generation bekommen haben?
Bierhoff: Sehr gut – aber es ist natürlich klar, dass man in einem Kader von 23 Spielern nicht immer alle gleich erwischen kann. Der eine ist technikaffiner als der andere. Wir haben neun Spieler ausgewählt, die dann sofort sehr angetan waren.

Welche Spieler waren das?
Bierhoff: Darunter waren Manuel Neuer, Per Mertesacker, Julian Draxler. Als er das gesehen hat, hat Roman Weidenfeller gesagt, er möchte das auch haben. Das ist auch so ein Effekt: Wenn wir das Tool direkt auf alle 23 Spieler aufgesetzt hätten, hätte bestimmt der eine oder andere etwas auszusetzen gehabt. So nutzen das zunächst nur ein paar wenige. Die anderen fragen dann: Wieso hab ich das nicht? Was machen die denn da? Was kriegen die für Informationen? Das erzeugt natürlich Neugier und Interesse.

Was ist Ihr Job dabei?
Bierhoff: Ich bin immer der etwas kritische Geist in unserer Truppe. Es gibt viele Menschen, die wollen Spielzeuge – nach dem Motto: Um fitter zu werden, brauche ich ein tolles Fitness-Gerät. Das steht dann eine Woche da und wird schnell wieder uninteressant. Hier liegt es an uns, die Plattform mit Leben zu füllen. Natürlich gibt es da auch mal einen lockeren Spruch zu lesen, aber selbstverständlich finden sich auch viele wertvolle Informationen.

Wie soll sich das Ganze aus Ihrer Sicht weiterentwickeln?
Bierhoff: Das Ganze kann man wesentlich weiter denken, zum Beispiel für alle Jugend-Nationalspieler. Die könnten hier eine spezielle App bekommen, die es nicht zu kaufen gibt, und sehen damit zum Beispiel die besten Aktionen von Philipp Lahm – das ist super. Was man darüber hinaus auch sehen muss: Wir haben 26.000 Vereine beim DFB. Momentan ist es so, dass viele Informationen einfach verloren gehen. Wenn ich weiß, Philipp Lahm hat das beste Abwehrverhalten, dann muss ich das doch in der Fläche verbreiten. Ich muss das in die Trainerausbildung einspielen, an die Vereine herausgeben. Schließlich interessiert das auch den Trainer der C-Mannschaft im Dorfverein. Momentan geht das aber nicht, weil das Material nur auf der Festplatte im Rechner meines Scouts liegt.

Das ändert sich jetzt aber mit der Zusammenarbeit mit SAP?
Bierhoff: Es ist schon sehr interessant, wie weit das Ganze gehen kann. Die meisten haben durch die aktuellen Beispiele immer nur die Spielanalyse im Kopf: Wie schnell ist ein Spieler gelaufen, wohin ist er gelaufen? Wir haben jedoch wesentlich mehr Daten, die dann aber auch jemand verarbeiten können muss. Zurzeit haben wir das Problem, dass die Informationen aus verschiedenen Ecken kommen. Da habe ich aber gelernt, dass dies bei SAP HANA offenbar kein Problem ist. Dazu kommt: Wir müssen die Daten dann schnell verarbeiten können. Doch das können wir derzeit in weiten Teilen gar nicht – verschiedenste Dateien müssen erst hin- und hergereicht werden. Jetzt haben wir aber die entsprechenden Möglichkeiten mit den Systemen von SAP.
Wir planen, beim DFB ein Kompetenzzentrum aufzubauen, also ein festes Leistungszentrum. Wenn wir hier die Daten dann über einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren sammeln und analysieren, können wir Fragen beantworten wie zum Beispiel: Wie sieht der optimale Stürmer aus, beziehungsweise wie haben sich möglicherweise die Stürmerkriterien geändert im Laufe der Jahre?

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