Soll frühzeitg informiert gewesen sein

In Siemens-Schmiergeldaffäre kommt Ex-Chef von Pierer in Bedrängnis

14.04.2008
In der Schmiergeldaffäre bei Siemens bringen angebliche frühe Hinweise auf schwarze Kassen nach Medienberichten den früheren Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer in Bedrängnis.

Im Vorfeld der nächsten Siemens-Aufsichtsratssitzung am 29. April berichtete der "Spiegel" von neu aufgetauchten Unterlagen des Konzerns aus dem Jahr 2004. Vermerke des ehemaligen Justiziars und Anti-Korruptionsbeauftragten Albrecht Schäfer wiesen darauf hin, dass Pierer und andere Vorstände schon damals über mögliche systematische Korruptionspraktiken im Konzern informiert worden seien. Gleichzeitig berichteten die "Süddeutsche Zeitung" und ihr Onlineportal "sueddeutsche.de", Schäfer habe als Zeuge bei der Münchner Staatsanwaltschaft den damaligen Siemens-Zentralvorstand, einschließlich von Pierer, schwer belastet und ausgesagt, er habe schon im November 2003 diesen über Hinweise auf schwarze Kassen und Schmiergeldzahlungen informiert.

In dem Siemens-Skandal geht es nach derzeitigem Stand um rund 1,3 Milliarden Euro an dubiosen Zahlungen, die vermutlich größtenteils als Schmiergeld im Ausland eingesetzt wurden. Ein Sprecher der Münchner Anklagebehörde sagte der Deutschen Presse-Agentur dpa am Samstag, die Staatsanwaltschaft mache keine Angaben über Zeugenaussagen in dem Ermittlungskomplex und äußere sich nicht zu entsprechenden Medienberichten. Pierer hat wiederholt bestritten, von Schmiergeldsystemen bei Siemens gewusst zu haben. Ein Siemens-Sprecher sagte am Samstag der dpa zu den Schmiergelduntersuchungen, das Unternehmen kommentiere laufende Ermittlungen nicht, unterstütze aber wie bekannt die Behörden bei ihren Untersuchungen.

Zu den bislang unbekannten, angeblich auch Pierer belastenden Unterlagen gehört laut "Spiegel" unter anderem ein Bericht Schäfers, in dem dieser am 3. Mai 2004 Pierer und weitere Mitglieder des Zentralvorstands über den Beschluss eines Mailänder Ermittlungsrichters in Kenntnis gesetzt habe. Vor dem Hintergrund eines Bestechungsskandals in Italien, bei dem Siemens mit Schmiergeld den Verkauf von Turbinen an den Stromerzeuger Enel sichergestellt haben sollte, habe der Antikorruptionsbeauftragte Schäfer dem "Spiegel" zufolge aus einer Anordnung des Ermittlungsrichters zitiert. Darin heiße es, "insbesondere die ... Existenz schwarzer Kassen bei Siemens zeigt, dass die von Siemens praktizierte Aufsicht völlig ineffizient war und das Unternehmen Schmiergeldzahlungen zumindest als mögliche Unternehmensstrategie ansah". Der Vermerk führe im Verteiler nach der Formulierung "zur Kenntnis" auch den Namen Pierer auf.

Nach Informationen von "SZ" und "sueddeutsche.de" teilte Schäfer den Münchner Strafverfolgern mit, ein Mailänder Gericht habe schon 2003 auf Schwarzgeldkonten verwiesen und das in der Kraftwerkssparte vorgefundene System als "siemenstypisch" bezeichnet. Die Existenz dieser Konten habe nach Darstellung des Gerichts die Untätigkeit der Organe belegt, die im Konzern dafür zuständig gewesen seien, die Einhaltung der Vorschriften zu überprüfen. Die Information darüber habe er bereits im November 2003 an die Vorstände verteilt, sagte Schäfer den Angaben zufolge aus.

Nach Angaben der Anwältin Schäfers hatte ihr Mandant bereits Anfang 2007 umfassend den internen Siemens-Ermittlern sein Wissen eröffnen wollen. Allerdings habe noch in der ersten Jahreshälfte 2007 "kein Interesse an seinen Aussagen" bestanden, schreibt der "Spiegel". Die gerichtliche Aufarbeitung der Siemens-Schmiergeldaffäre beginnt Ende Mai mit dem Untreue-Prozess gegen einen ersten, geständigen Beschuldigten. Ein ehemaliger Manager der Siemens-Festnetzsparte ICN muss sich vom 26. Mai an vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I wegen Untreue in Mittäterschaft in 58 Fällen verantworten. Auch Ex-Chef von Pierer soll als Zeuge aussagen.

Die Affäre ist für Siemens deshalb so brisant, da sich wegen der US-Börsennotierung die besonders scharf durchgreifende US-Börsenaufsicht (SEC) eingeschaltet hat, wobei die Gefahr milliardenhoher Strafgelder droht. Um die SEC zu besänftigen, ist ein Großteil der alten Siemens-Führungsriege gegangen. Die amerikanische Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton, die Siemens selbst zur Untersuchung der Affäre im eigenen Haus beauftragt hat, soll laut "Spiegel" für die Aufsichtsratssitzung Ende April einen Zwischenbericht ausarbeiten. (dpa/tc)

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