"Linux ist Mainstream geworden"

20.11.2006
Die diesjährige Ausgabe der Messe Linuxworld zeigte: Die Messe, diesmal in Köln abgehalten, steht auf dem Prüfstand. Ob es daran liegt, dass die freie Software "so selbstverständlich wie jede andere Software geworden ist" (Ausstellerkommentar), konnte in Köln von 8.000 Besuchern nicht erschöpfend geklärt werden.

Von Wolfgang Leierseder

"Open Source wird als spezielles Phänomen verschwinden - weil sie bald ein natürlicher Bestandteil von Software sein wird." Mit diesem Ausblick träufelte Dave Dargo, Cheftechniker von Datenbankanbieter Ingres, vielen Besuchern der diesjährigen "Linuxworld" Balsam auf die Seele. Dass Linux beziehungsweise Open Source sich bei Unternehmen jeder Größe fest etabliert habe und insofern "Mainstream" geworden sei - dieses in Köln häufig zu hörende Mantra wurde nicht zuletzt dafür herangezogen, die ausgesprochen mäßigen Besucherzahlen von 8.000 Messebesuchern zu begründen.

"Linux ist Commodity", versicherte beispielsweise Davis Dennis, Marketingdirektor des auf das Management von Linux-Umgebungen spezialisierten Unternehmens Levanta. In den USA weise seiner Beobachtung nach die "Open Source Business Conference", die wie die Linuxworld vom US-Verlag IDG veranstaltet wird, den richtigen Weg: "Sie zeigt das Potenzial von Open Source in Unternehmen. Diese fragen: Was kann ich mit dieser Software anfangen? Und die Antwort lautet: Sehr viel."

Themenvielfalt von Open Source

Darauf wies vieles auch in Köln hin. Zum Beispiel die Virtualisierungskonferenz, zum Beispiel der Stand von Novell und seinen rund 20 Unterausstellern sowie die dort unter dem Motto "Linux im Büro" dargestellten Lösungen, etwa die von Red Hat, und ebenso die Anwesenheit kleinerer Open-Source-Anbieter, die eine Vielzahl von Lösungen zeigten.

Diese reichen von Bürosoftware, wie die auf Linux umgestiegene Stadt Wien zeigte, und CRM-Lösungen über Groupware, Storage- und Sicherheitslösungen bis hin zu Systemmanagement, Virtualisierung und Anwendungen im Maschinenbau und in der öffent- lichen Verwaltung. "Linux ist Pflicht geworden", sagte Holger Dyroff, bei Novell Vice President Produkt Management für Suse, gegenüber ChannelPartner. "Und sehen Sie sich die Möglichkeiten an, die sich Partnern bieten."

Insbesondere zeigte die zweitägige Virtualisierungskonferenz, auf der sich die Experten von fast allen IT-Größen, die im Open-Source-Markt eine Rolle spielen - AMD, Intel, HP, IBM und Sun, Red Hat, Suse und VMware und sogar Microsoft, Cisco sowie Hitachi - im Stundenturnus mit Vorträgen abwechselten, dass ein "hippes Thema" (Dirk Kissinger, Senior Manager EMEA Marketing) selbstverständlich ein Zugpferd ist, vor dem auch die Eintrittsgebühr von 390 Euro (vorregistriert) bis zu 490 Euro vor Ort nicht abschrecken konnte.

Auf dieser Konferenz wurde die "Zukunft von Open Source" (Dyroff) dargestellt: einer quelloffenen Software, die, angetrieben von freien und zunehmend angestellten Entwicklern, sich an Vorläufern wie Unix orientiert, doch ohne die Unix-Altlasten Einzug in Rechenzentren und auf Unternehmensservern hält.

Zwar wandte Dirk Hohndel, Direktor Linux und Open-Source-Strategie bei Intel, auf seiner "Keynote"-Rede ein, dass Linux weit entfernt davon sei, in Rechenzentren selbstverständlich eingesetzt zu werden. Es fehle an Integrationswerkzeugen, Infrastruktursoftware und Menschen, die für diese anspruchsvolle Aufgabe ausgebildet seien. So bezeichnete er derzeit als Obergrenze für Linux-Server "ein paar hundert Server".

Doch seine Stimme brachte in Köln niemand davon ab, sich mit Rechenzentren- und Datencenter-Szenarien zu beschäftigen.

Öffentliche Verwaltung und Open Source

Ebenso ein großes Thema in Köln war "Öffentliche Verwaltung und Open Source". Dazu hatten IBM und Novell das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation mit einer Studie beauftragt, und außerdem beschäftigte sich ein eigenes Forum mit diesem Thema.

Das Ergebnis der Studie "Open-Source-Software: Strukturwandel oder Strohfeuer?" lautet: Etwas mehr als die Hälfte der 115 öffentlichen Einrichtungen, die antworteten, beschäftigen sich seit mehr als drei Jahren mit dem Thema Open-Source-Software. "Für fast 60 Prozent", so Studienleiter Jochen Günther, "ist die Umstellung auf Open Source Teil einer mittel- oder langfristigen IT-Gesamtstrategie mit dem Ziel, systematisch betriebskritische Teile der IT-Landschaft auf Open Source zu migrieren."

Des Weiteren zeige die Studie, dass vor allem Kostenersparnisse die finanziell notorisch klammen öffentlichen Einrichtungen anleiteten: "47 Prozent der Teilnehmer gehen von Kostensenkungen von mehr als 50 Prozent aus", sagte Günther. "Die meisten neu eingeführten Open-Source-Lösungen entfallen auf den Bereich der Fachverfahren, die verstärkt mit Hilfe Open-Source-basierter Middleware realisiert werden." Dies harmonierte deutlich mit den skeptischen Ausführungen Hohndels zum Thema "Linux auf dem Desktop".

Die Studie ergab ferner, dass die meisten Aufträge öffentlicher Einrichtungen bei Open-Source-Projekten an kleine regionale oder nationale IT-Unternehmen vergeben werden. Deren Anteil bezifferte Günther mit rund 83 Prozent der Beauftragungen.

Dass damit das Thema Linux beziehungsweise Open Source einen Channel-Ritterschlag Erster Klasse erhalten hat, bezweifelte in Köln niemand. Insofern mutet auch die Ankündigung von Novell-Manager Dyroff, Novell werde in Partner, in lokale Systemhäuser und in alle Willigen "deutlich investieren", als klare Bestätigung dieser Marktentwicklung.

Doch was in Köln nicht beantwortet wurde, war die Frage: Wenn Linux im Markt angekommen ist, warum "leider nicht in Köln?", wie ein Aussteller in Halle 11 drastisch formulierte.

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