Mehr Handy fürs Volk

13.07.2006
Wer glaubt, der Mobilfunkmarkt würde eine Sättigungsgrenze erreichen, der täuscht sich. Dank UMTS, neuen Gerätegenerationen und weiteren Einsatzmöglichkeiten scheint unbegrenztes Wachstum möglich.

Von Dr. Thomas Hafen

Der Mensch hat zwei Hände - und bald in jeder ein Handy. Nach einer Prognose des European Information Technology Observatory (EITO) gibt es bereits 2007 in Deutschland mehr Mobilfunkverträge als Einwohner - Tendenz steigend.

Das scheinbar grenzenlose Wachstum hat viele Ursachen - und nicht alle bereiten dem Handel Freude. Beispielsweise führt der Billigtarif-Boom zu so mancher Karteileiche: "Durch Discount-Angebote sind Kunden heute wesentlich schneller bereit, ihre alte SIM-Karte aus dem Handy zu nehmen, wegzuwerfen und die eines neuen Anbieters einzusetzen", sagt Ralf-Peter Simon, Vorsitzender der Geschäftsführung bei The Phone House (TPH). In der Statistik des alten Anbieters würden diese Kunden dann teilweise noch über ein Jahr geführt.

Neben dem Wechsel zum Billiganbieter führt der Wunsch nach einem neuen Handy oft zur Doppel- und Dreifach-Versorgung: "Die Kunden schließen eines Gerätes willen lieber einen neuen Vertrag ab, als das Gerät frei zu kaufen", sagt Jörg Herweck, Vorstand der Herweck AG.

Aber es gibt auch die echten Doppelnutzer mit privater und geschäftlicher SIM-Karte, Alltags- und Wochenendhandy, Normalversion und Outdoor-Gerät. Eine lukrative Zielgruppe, wie Axel Grellhorst, Vorstand NT plus AG, weiß: "Kunden, die ein derartiges Verhalten an den Tag legen, sind auch offener für zusätzliches beziehungsweise höherwertiges Zubehör."

Die Chancen stehen gut, dass dieser Trend anhält, denn die Aufrüstung der Endgeräte mit immer neuen Funktionen schreitet unaufhörlich voran. Um 43 Prozent legte der Markt für so genannte "Converged Devices", besser bekannt als "Smartphones", laut IDC im ersten Quartal 2006 in Westeuropa gegenüber dem Vorjahr zu. Der Anteil am Gesamtmarkt stieg von fünf auf sieben Prozent.

Microsoft setzt auf E-Mail-Push

Ein Grund für die steigende Beliebtheit dieser Tausendsassas ist die Möglichkeit, mit ihnen mobil auf E-Mail-Postfächer zugreifen zu können. Dabei beherrschen praktisch alle Smartphones das so genannte "Pull"-Verfahren, bei dem das Gerät die Nachrichten von einem POP-3-Server abholt. Das ist allerdings ineffektiv, da sich das Gerät in regelmäßigen Abständen am Mail-Server anmeldet - auch wenn gar keine neuen E-Mails vorliegen. Gibt es neue Nachrichten, tauchen diese außerdem nicht sofort auf dem Smartphone auf, sondern erst beim nächsten Synchronisieren.

So genannte "Push-Lösungen", bei denen der Mail-Server E-Mails sofort nach deren Eingang auf das Device schickt, sind komfortabler. Vor allem die "Blackberry"-Lösung von Research in Motion (RIM) ist bei mittleren bis großen Unternehmen beliebt.

Doch nun bekommt RIM Konkurrenz von Microsoft. Im Unterschied zu Blackberry benötigt der "Direct Push E-Mail" genannte Dienst von Microsoft keine zusätzliche Serversoftware im Backend, sondern arbeitet mit dem Messaging-System des Anwenders zusammen - vorausgesetzt, es handelt sich dabei um den Exchange Server 2003, der mit dem Service Pack 2 um die Wireless-Features erweitert wurde.

Wer keinen eigenen Exchange-Server betreibt, kann ein Hosting-Angebot nutzen, wie es beispielsweise Arvato, Cortado, Schlund + Partner oder Vodafone anbieten. Auch die Auswahl an mobilen Endgeräten ist größer als beim Blackberry. Es kommen alle Smartphones in Frage, die auf Windows Mobile 5.0 basieren und mit dem Messaging & Security Feature Pack (MSFP) ausgestattet sind.

Bei der Microsoft-Lösung handelt es sich allerdings nicht um eine echte Push-Lösung. Tatsächlich besteht eine ständige HTTPS-Verbindung zwischen Server und Handheld. Das Gerät pingt den Server in regelmäßigen Abständen an, um diese Verbindung aufrechtzuerhalten. Gehen neuen Nachrichten ein, informiert der Server das Endgerät, dass neue Post vorliegt und in welchem Ordner sie sich befindet. Das Device holt sich die E-Mails dann dort ab.

Neben Blackberry und Microsoft sind noch weitere Lösungen am Markt, beispielsweise "Mobile Organizer" von Ericsson oder "Nokia Business Center", das zu einem offenen Standard entwickelt werden soll. Ebenfalls auf offene Standards setzt Synchronica mit dem "SyncML Gateway 2.1". Es arbeitet mit Microsoft Exchange und Sun Java Enterprise System (JES) zusammen und kann E-Mails auf SyncML-fähige Endgeräte pushen.

Das Handy als Wegweiser

Neben Kamera, Music Player und PDA-Funktionen warten neuerdings Geräte wie das "Benq Siemens P 51" oder der "Pocket Loox T830" von Fujitsu Siemens mit integrierten GPS-Empfängern auf. Endgeräte mit Symbian-Betriebssystem oder Windows Mobile 5.0 lassen sich außerdem durch einen externen GPS-Empfänger zum Navigationssystem aufrüsten.

Inwieweit diese Verschmelzung von Navigationsgerät und Mobiltelefon dem Handel nützt, darüber sind sich die Experten uneins. "Das Thema mobile Navigation im weiteren Sinn ist ein absolutes Boom-Segment, der Bedarf der Kunden ist sehr hoch", sagt NT-plus-Chef Grellhorst. "Der Handel sollte sich dringend mit diesen konvergenten Produkten bereits heute auseinander setzen und sein Portfolio entsprechend ergänzen", pflichtet ihm Alexander Maier, Senior Manager Mobility bei Ingram Micro, bei.

TPH-Boss Simon sieht die Zeit für "Navifone" dagegen noch nicht gekommen: "GPS hat für den Großteil der Kunden noch keine Relevanz." Im Mittelpunkt des Interesses stünden derzeit Mobile Music, Handys mit Kamera und faire Tarife.

UMTS kommt voran

Mit fairen Tarifen steht und fällt auch der Erfolg von UMTS. "Viele Kunden verbinden UMTS mit dem Attribut ,teuer‘, obwohl es inzwischen sehr gute Angebote gibt", sagt Simon. Das scheint sich so langsam herumzusprechen, denn der deutsche UMTS-Markt entwickelt sich positiv. Mit fünf Prozent Umsatzwachstum pro Jahr und einem Gesamtvolumen von 27,4 Milliarden Euro für 2007 rechnet beispielsweise Gartner. Laut Forrester werden 2010 bereits 60 Prozent der Nutzer ein UMTS-Handy besitzen.

Einen weiteren Schub dürfte UMTS durch die Einführung von HSDPA (High Speed Downlink Packet Access) bekommen. Das Verfahren erlaubt Datenraten von bis zu 1,8 Mbit/s im Download und ist bei T-Mobile im gesamten UMTS-Netz, bei Vodafone immerhin in den Ballungszentren verfügbar. O2 plant die Einführung erst für kommendes Jahr, E-Plus nennt kein Datum.

HSDPA ist vor allem in Kombination mit einem Notebook interessant - schließlich bietet es ähnliche Datenraten wie DSL und ist deshalb eine gute Alternative zum Festnetzanschluss. Im Unterschied zu WLAN entfällt außerdem das lästige Einloggen am Hotspot. War bisher für das Mobilfunk-Surfen eine zusätzliche Datenkarte notwendig, haben Hersteller wie Acer, Fujitsu Siemens, HP und Lenovo nun Notebooks mit integriertem UMTS-Modul vorgestellt. Sowohl dem TK- als auch dem IT-Handel bieten diese Geräte neue Möglichkeiten für Zusatzgeschäft - allerdings erfordern sie auch die Bereitschaft, sich mit Themen wie Netzvermarktung und Tarifierung auseinander zu setzen. "Besonders IT-orientierte Händler aus dem Systemhausumfeld können hier Zusatzumsätze generieren, wenn die Prozesse für sie tauglich werden", sagt Sven Mohaupt, Leiter Product Management bei der Komsa AG. Die Herausforderung bestehe darin, solche Geräte sicher in ein Firmennetz einzubinden.

Kampf der Systeme

HSDPA könnte auch zur echten Gefahr für das Festnetz werden. Zwar bieten Mobilfunk-Netzbetreiber - allen voran O2 - schon seit längerem Tarife an, mit denen sich günstig von zu Hause aus per Handy telefonieren lässt und in denen man auch über eine Festnetznummer erreichbar ist. Mit solchen Angeboten ließ sich zwar das Festnetztelefon ersetzen, nicht aber der meist mit der Telefonleitung gekoppelte DSL-Anschluss. Über Mobilfunk zu surfen machte aber bisher wenig Spaß, bieten doch weder UMTS mit 384 Kbit/s noch GPRS mit mageren 52 bis 54 Kbit/s konkurrenzfähige Datenraten.

Doch nicht nur dem Festnetz drohen Umsätze wegzubrechen, auch die Mobilfunkbetreiber sehen sich bedroht. VoIP- und WLAN-fähige Endgeräte erlauben es beispielsweise, sich unterwegs in einen WLAN-Hotspot einzuloggen und statt teurer Mobilfunkgespräche preisgünstige IP-Telefonate zu führen. Zu Hause ermöglicht ein solches Dual-Mode-Phone IP-Telefonate per WLAN-Router und DSL-Anschluss und ersetzt so das Festnetztelefon (siehe auch "Handys mit VoIP und WLAN").

Die Telekom-Tochter T-Com hat aus dieser Entwicklung bereits Konsequenzen gezogen und will noch im Sommer dieses Jahres mit dem Dienst "T-One" starten. Er erlaubt es, über die erwähnten Dual-Mode-Handys per WLAN oder GSM zu telefonieren. Obwohl das Angebot demnächst auf den Markt kommen soll, schweigt sich der Anbieter über die Tarifstrukturen noch aus. Der Testlauf, den der Ex-Monopolist im Mai 2006 mit 1.000 Kunden startete, gibt allerdings einen Hinweis darauf, wie die Bedingungen für T-One aussehen könnten. Voraussetzung für die Testteilnahme waren ein T-Com-Festnetz- und ein T-DSL-Anschluss, eine Flatrate für DSL und Telefonie sowie ein Mobilfunkvertrag.

Guter Rat ist gefragt

Ob UMTS oder Fixed-Mobile Convergence - immer komplexere, leistungsfähigere und stärker integrierte Produkte erfordern auch immer mehr Beratung. Das ist gut für den Fachhandel, der so das Wegbrechen des reinen Voice-Geschäfts mehr als kompensieren kann. "Mit den neuen Möglichkeiten hat der Fachhandel die Chance, den Bereich der Möglichkeiten, die über das normale Telefongeschäft hinausgehen, als Umsatztreiber zu nutzen und zu forcieren", sagt Komsa-Manager Mohaupt. "Die zunehmende Konvergenz von Mobilfunkdiensten und IT-Hard-/Software stellt für den Fachhandel eine lukrative Ertragschance dar", pflichtet ihm Maier von Ingram Micro bei. Vor allem der B2B-Bereich bietet laut NT-plus-Chef Grellhorst eine hohe Zukunftssicherheit: "Jeder Händler hat die Möglichkeit, sich in das Geschäftskundensegment hineinzuentwickeln."

Zur Startseite