Midlife-Crisis im Job

14.09.2006
Sie erwischt Männer und Frauen Ende 30 und bringt sie dazu, sichere Stellen für vermeintliche Traumjobs zu kündigen. Im Interview mit ComputerPartner warnt die Wirtschaftspsychologin Madeleine Leitner vor den Folgen der beruflichen Midlife-Crisis.

Von Marzena Fiok

Besonders gefährdet: Frauen und Männer Ende 30. In einer Art Midlife-Crisis erliegen sie dem Mythos, dass man jenseits des 40. Lebensjahrs "nichts mehr ändern" könne. Nach dem Motto "Das kann doch nicht alles gewesen sein" kündigen sie ihre Jobs und fangen etwas Neues an - nicht selten mit verheerenden Folgen. Diese Erfahrung macht auch die Münchener Wirtschaftspsychologin und Karriereberaterin Madeleine Leitner immer wieder bei der Arbeit mit ihren Klienten und warnt vor den Folgen der beruflichen Torschlusspanik.

Sie bestärken die Teilnehmer ihrer Seminare darin, sich nicht nur einen "guten Beruf" zu suchen, sondern vor allem auch darauf zu achten, ob er ihrer "Berufung" entspricht. Zugleich warnen Sie allerdings auch davor, eine sichere Stelle für den vermeintlichen Traumjob zu kündigen. Wie passt das zusammen?

Madeleine Leitner: "Berufung" ist ein missverständlicher Begriff. Wenn man einen Beruf hat, in dem man seine "Berufung" ausleben kann, ist das ein großes Privileg. Mir geht es auch um ganz einfache Dinge: Man ist dann in einem Job gut, wenn man die dafür nötigen Fähigkeiten besitzt und diese auch noch gerne ausübt. Wenn man heutzutage im Job "nur" Mittelmaß bringt, steht die Beschäftigungsfähigkeit nur auf wackligen Füßen. Man ist heutzutage ganz schnell weg vom Fenster. Bei meiner Arbeit unterstütze ich Menschen dabei, genau das herauszufinden und sich damit in ihrem eigenen Interesse strategisch gut aufzustellen.

Sie sprechen in Ihrer Frage auch von "vermeintlichen Traumjobs". Ich kann nur sagen: Nicht alles, was gut klingt, ist auch toll! Würden Sie kopfüber in einen See springen, wenn Sie nicht wissen, wie tief er ist? Dabei hat sich schon mancher eine Querschnittlähmung zugezogen. Was bedeutet das? Bevor Sie etwas ändern, sollten Sie unbedingt vorher recherchieren, wie die "wirkliche Wirklichkeit" ist. Mancher vermeintliche Traumjob ist nämlich ein verkappter Albtraum.

Woher weiß ich denn, ob es besser ist zu gehen oder zu bleiben?

Leitner: Ganz entscheidend ist immer, in welcher jobtechnischen Position man sich befindet: Manche Menschen würden sich heute froh und glücklich schätzen, überhaupt einen Job zu haben. Andere haben so viele gute Optionen, dass die Wahl zur Qual wird. Heutzutage ist ein "sicherer Job" - auch wenn ich nicht wirklich daran glaube, dass es heute wirklich noch sichere Jobs gibt - oft schon ein Privileg. Die Menschen gewöhnen sich aber schnell an positive Aspekte und nehmen diese nicht mehr wahr, sondern sehen nur die Dinge, die ihnen nicht gefallen. Manchen Menschen geht es auch einfach zu gut.

Eigentlich neigen eher junge, unerfahrene Leute zu unüberlegten Schnellschüssen. Warum sind gerade Männer und Frauen Ende 30 besonders gefährdet, eine falsche Entscheidung für ihre berufliche Zukunft zu treffen?

Leitner: Das ist eine Tatsache, die durch Forschungen aus der Sozialpsychologie mit dem Ansatz der kognitiven Dissonanz erklärbar ist. Die Angst vor der magischen "40", nach der angeblich "nichts mehr geht", führt zu einem Spannungszustand. Die Veränderung, die man später vermeintlich nicht mehr haben wird, wird attraktiv, sie wird psychologisch aufgewertet, obwohl die objektiven Fakten gar nicht so sein müssen.

Firmen schreiben in ihren Stellenanzeigen natürlich nichts von einem schlechten Arbeitsklima oder möglichen finanziellen Problemen. Habe ich als Außenstehender überhaupt eine Chance zu erkennen, ob es sich bei der Position um einen echten Traumjob oder eher einen kommenden Albtraum handelt?

Leitner: Natürlich. Wer kennt denn die Fakten über die "wirkliche Wirklichkeit"? Das sind Menschen, die mit der Firma schon einmal zu tun hatten: Menschen, die dort arbeiten oder frühere Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Wettbewerber ... Glauben Sie bloß nicht den Hochglanzbroschüren oder PR-Artikeln!

Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Angestellten keinen Spaß an ihrem Job hat. Wie man weiter weiß, kann dieser Dauerfrust auch gesundheitliche Schäden nach sich ziehen. Ist es da nicht sinnvoller, sich möglichst schnell aus dieser Situation zu befreien, statt jahrelang nur davon zu träumen?

Leitner: Auch hier gilt wieder: Es kommt darauf an! Die Frage ist, ob man Optionen hat und ob diese tragfähig sind. Wenn die Alternative zu einem frustrierenden Job ist, dass man gar keinen hat und dann erst recht unter Frust und gesundheitlichen Schäden leidet, ist das natürlich nicht besonders erstrebenswert. Außerdem sind diese Menschen auch besonders gefährdet, irgendwann doch ihren Job zu verlieren, weil sie weniger effektiv sind, als sie es wären, wenn sie ihren Job gerne ausübten.

Aber bei vielen Menschen ist auch mehr möglich, als sie denken. Viele haben sich mit Frust abgefunden, ohne nach Alternativen Ausschau zu halten. Wenn man die Alternativen einmal wirklich objektiv prüft, kann man im optimalen Fall Alternativen finden - die es angeblich gar nicht gab. Oder man stellt fest, dass man tatsächlich keine Alternativen hat. Einer meiner Klienten hat nach jahrelangem Frust endlich angefangen, aktiv auf Jobsuche zu gehen, erhält auch viele Einladung zu Vorstellungsgesprächen und stellt fest, dass viele Jobangebote viel schlechter sind als das, was er jetzt macht. Das rückt seinen vermeintlich frustrierenden Job auch wieder in ein anderes Licht, sodass er dort viel lieber wieder hingeht.

In Ihren Seminaren gewinnen die Teilnehmer ja häufiger die Erkenntnis, dass sie schon jetzt einen guten Job haben. Wann und warum wird man als Arbeitnehmer "betriebsblind" gegenüber den Annehmlichkeiten in der eigenen Firma?

Leitner: Das ist ein psychologisches Phänomen. Die Menschen gewöhnen sich am schnellsten an Privilegien und nehmen diese nicht mehr wahr. 30 Tage Urlaub, ein planbares Einkommen, genügend Aufträge mit relativer Sicherheit für die Arbeitnehmer werden selbstverständlich. Mit dem, was nicht gut ist, werden wir hingegen jeden Tag konfrontiert, sodass dieser Aspekt des Jobs dann unverhältnismäßig deutlich wird. Wir ärgern uns zum Beispiel jeden Tag über mangelnde Absprachen und unproduktives Chaos, Überstunden oder die launische Sekretärin.

Eine der größten Ängste der Deutschen ist die vor der Arbeitslosigkeit. Sollte da die Tatsache, dass man eine sichere Stelle hat und mit den Kollegen einigermaßen klarkommt, nicht schon motivierend genug sein?

Leitner: Arbeitslosigkeit ist für die meisten Menschen tatsächlich sehr belastend. Vor allem zieht sie sich heute oft viel länger hin als früher. Wenn die Situation so ist wie von Ihnen beschrieben, ist das schon einmal eine gute Basis. Aber wenn man andere Optionen aus Resignation gar nicht mehr überprüft, könnte man auch Chancen übersehen.

Nehmen wir an, ich komme auch nach reiflicher Überlegung und Analyse zu der Erkenntnis, dass meine jetzige Stelle nicht die richtige für mich ist. Wie finde ich einen Beruf und eine Firma, bei der die Arbeit noch nach Jahren Spaß macht?

Leitner: Der größte Fehler wäre, jetzt in blinden Aktionismus zu verfallen und sich "irgendeinen Job" zu suchen, von dem Sie meinen, dass er eine Verbesserung darstellen könnte.

Sie fangen erst einmal bei sich selbst an, indem Sie versuchen, eine klare Vorstellung von dem zu bekommen, was Sie überhaupt suchen. Ich arbeite zum Beispiel mit dem Ansatz des amerikanischen Autors Richard Nelson Bolles, der ein Modell für eine umfassende Standortbestimmung gemacht hat. Dabei werden auch Aspekte wie die "Chemie" zu Chefs, Kollegen und den Kunden, Arbeitsbedingungen, Werte sowie zentrales Motiv reflektiert. Erst einmal gilt es herauszufinden, worin eigentlich Ihre Unzufriedenheit begründet ist. Glauben Sie mir: Man kann sich auch verschlechtern!

Der zweite Schritt besteht in einer genauen Recherche, um zu überprüfen, wie es in dem Bereich oder in der Firma, die Sie interessiert, wirklich zugeht. Hier können Sie viele spätere Bruchlandungen vermeiden.

Erst zuletzt geht es darum, wie Sie den entsprechenden Job finden. Nachdem sich mittlerweile herumgesprochen hat, dass die meisten Jobs nicht über Stellenausschreibungen und Bewerbungen besetzt werden, sollte man an seiner Sichtbarkeit arbeiten und auf dem verdeckten Stellenmarkt aktiv werden.

Auch hierzu finden Sie viele Anregungen in dem Weltbestseller zum Thema von Richard Nelson Bolles "Durchstarten zum Traumjob".

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