Misch- oder Mistkalkulation

28.08.2006
In unserer neuen Serie "Geschichten aus dem Channel" erzählt Herbert Lefering von einer Marketingaktion des ehemaligen Distributors CHS, die zwar gut gemeint war, aber voll nach hinten los ging.

Zum Zeitpunkt dieser Geschichte stand ich in Diensten der Tobit Software AG in Ahaus. Tobit ist groß geworden mit dem Produkt "FaxWare", einer serverbasierten Faxlösung. Tobit hat seine Produkte zur damaligen Zeit über ein klar definiertes Vertriebssystem verkauft: Tobit verkauft an den Distributor, der bedient die Händler und die verkaufen es letztendlich an die Endkunden. Zurzeit dieser Anekdote hatte Tobit insgesamt fünf Distributoren in Deutschland autorisiert: Computer 2000 (heute Tech Data), Macrotron (jetzt Ingram Micro), Compu-Shack (verschwunden und in Ingram Micro integriert), Actebis und die CHS Deutschland. Letztgenannter Distributor existiert heute gar nicht mehr. Die nachfolgende Geschichte kann zumindest ansatzweise erklären, warum das nicht nur Zufall gewesen sein kann.

Tolle Ideen und das Bauchgefühl

Zur damaligen Zeit war ich als Distribution Sales Manager bei Tobit für die Aquise und Betreuung der Distribution weltweit verantwortlich. CHS war seinerzeit relativ neu auf unserer Liste, aufgrund internationaler "Notwendigkeiten" ("Du willst mit uns in Frankreich was machen, dann bekommen wir dafür in Deutschland auch einen Vertrag") hatten wir mit CHS einen Europavertrag geschlossen. Ich hatte bereits mehrere Besuche in Fürstenfeldbruck (bei München) in der Deutschlandzentrale von CHS hinter mir, irgendwie war es nicht anders als bei anderen Distributoren auch. Es wurden tolle Marketingpläne vorgelegt und diskutiert, die erst einmal wenig mit Umsatzsteigerungen oder Wachstum des Herstellers zu tun hatten. Die üblichen Spielchen halt. Aber trotzdem "glänzte" CHS immer wieder mit außergewöhnlichen Ideen. Wir bei Tobit haben außergewöhnliche Ideen mit gewisser angebrachter Skepsis "beäugt" nach dem Motto: Was sagt dir persönlich dein Bauchgefühl? Wenn das eher negativ war, haben wir auch gerne mal Nein gesagt.

Irgendwann hat mich die damalige Marketingleiterin von CHS Deutschland dann angerufen und nach einem Okay für eine "aus ihrer Sicht" einzigartige Idee ersucht. CHS wollte die FaxWare zum Händlerpreis von 700 DM für zwei Wochen verkaufen, wobei der Einkaufspreis von CHS bei Tobit Software bei 745 DM lag.

Trick 17 mit Selbstüberlistung

Der Trick war aus CHS-Sicht ganz einfach: Mit einer FaxWare allein kann der Händler ja nichts anfangen. Er braucht für einen funktionierenden Faxserver mit FaxWare mindestens folgende Komponenten: Hardware (sprich einen Server), Novell NetWare als Betriebssystem, Kommunikationshardware (zum Beispiel ein Modem oder eine ISDN-Karte) und am besten noch einen zahlungskräftigen Kunden. So wurde eine Marketingkampagne mit FaxWare im Zentrum erarbeitet, bei der alle "Randprodukte" ein wenig teurer als "normal" waren. Im Rahmen einer Mischkalkulation hatte man eine Gesamtmarge von acht Prozent kalkuliert (kein Witz, das war damals niedrig!), rechnete aber mit einem Umsatzsprung von zirka 150 bis 250 Prozent. Man wollte sich hier ganz klar Marktanteile "kaufen".

Unter einer einzigen Bedingung habe ich der Aktion zugestimmt: Ich würde den anderen Distributoren vorab eine Information zukommen lassen, dass CHS eine Sonderaktion mit FaxWare machen würde (ohne Details zu nennen) und dass Tobit hier keine Sondereinkaufspreise an CHS (auch in Form von späteren Boni) gewähren würde. Das war okay, Tobit war sauber, und zwei Wochen später starteten die ganzen Marketingaktionen von CHS.

Das Ergebnis für CHS war "berauschend". Insgesamt wurden in zwei Wochen mehr FaxWare-Pakete über CHS abgesetzt als in den zwölf Monaten zuvor. Sogar unsere anderen autorisierten Distributoren deckten sich (direkt oder teilweise über eng verbundene Händler) mit großen Stückzahlen für ein ganzes Quartal ein. Warum? Ganz klar: Auf der einen Seite sparten sie beim Einkauf (45 DM pro Paket), und auf der anderen Seite fügten sie mit jedem gekauften Paket einem ihrer Mitbewerber einen Schaden zu. Zudem schlugen hier andere Distributoren, denen wir die Direktdistribution verweigert hatten, gnadenlos zu. Von den "Mischprodukten" hat CHS übrigens in der Zeit relativ wenig abgesetzt. Zwei Gründe gab es dafür: Zum einen hatte seinerzeit fast jeder Händler mindestens zwei Distributoren als Lieferanten und hat somit die "Mischprodukte" günstiger bei seinem anderen Distributor ordern können. Zudem haben die anderen Distributoren als Reaktion genau in dem Zeitraum von zwei Wochen die Margen für die "Mischprodukte" schnellstens gen null gesetzt, um hier CHS noch mehr zu schaden.

Ich habe CHS schon vorher gesagt, dass ich ein "schlechtes Bauchgefühl" hätte und dass die Mischkalkulation für mich eine "Mistkalkulation" sei und die Sache in die Hose gehen werde. Aber man war sich seiner Sache dort bei CHS so sicher, dass man das unbedingt durchziehen wollte.

Bei uns gab es damals das geflügelte Wort: "Der beste Händler ist nicht der, der am meisten verkauft, sondern der, der am meisten einkauft." Für einen kurzen Zeitraum war CHS seinerzeit für uns der beste Distributor! Dafür gibt es die anderen (zumindest größtenteils) heute noch.

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