Tipps für Vorgesetzte

Mitarbeiterführung – Individualisten und Spezialisten



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Mitarbeiter "ticken" unterschiedlich

Im Betriebsalltag registriert man zudem bei Teams, die aus vielen selbstbewussten Mitarbeitern bestehen, immer wieder: Mit einigen Mitarbeitern haben die Führungskräfte eigentlich nie Probleme; in der Beziehung zu anderen tauchen aber fortwährend Konflikte auf, weshalb die betreffenden Mitarbei-ter von ihren Führungskräften gedanklich mit dem Etikett "schwierig" versehen werden.

Analysiert man die Ursachen hierfür, dann stellt man meist fest: Stimmt die Beziehung Führungskraft-Mitarbeiter, dann haben die Führungskräfte meist

  • ein ähnliches Wertesystem wie die Mitarbeiter, mit denen sie gut harmonieren, und/oder

  • ihre Verhaltenspräferenzen korrespondieren mit den Erwartungen, die die Mitarbeiter aufgrund ihres Wertesystems an ihre Führungskraft haben.

Anders ist dies bei den "schwierigen Mitarbeitern". Sie haben entweder ein anderes Wertesystem als ihre Führungskraft, weshalb ihnen bei der Arbeit (und im Leben) auch andere Dinge wichtig sind. Oder sie haben aufgrund ihres Wertesystems Erwartungen an ihre Führungskraft, die diese aufgrund ihrer Präferenzen nicht erfüllt.

Unterschiedliche Wertesysteme beachten

Die divergierenden Wertesysteme und Erwartungen bezüglich des Verhaltens wären im Betriebsalltag kein Problem, wenn diese den Führungskräften bewusst wären. Denn dann könnten sie sich hierauf einstellen. Viele Führungskräfte kennen aber ihr eigenes Wertesystem und ihre eigenen Verhaltenspräferenzen nicht. Und noch weniger kennen sie die Wertesysteme und die hieraus resultierenden Verhaltensmuster und Erwartungen ihrer Mitarbeiter. Dabei wird dies für das erfolgreiche Führen von Mitarbeitern immer wichtiger - nicht nur aufgrund der veränderten Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen. Hinzu kommt ein weiterer Punkt.

Darüber, ob die Menschen in den westlichen Industriestaaten heute individualistischer sind als vor 30, 40 Jahren, kann man streiten. Auf alle Fälle haben sich jedoch die Lebensstile in unserer Gesellschaft ausdifferenziert. Außerdem sind heute weniger Menschen bereit, fraglos irgendwelche nicht selbst gewählten Autoritäten zu akzeptieren. Zudem hat sich das Verhältnis der Berufstätigen zur Erwerbsarbeit verändert. Früher sahen die meisten Menschen in ihr ein notwendiges Übel, um den Lebensunterhalt zu sichern. Und die sogenannte "Selbstverwirklichung"? Sie erfolgte primär im privaten Bereich.

Anders ist dies heute - zumindest bei vielen hochqualifizierten Mitarbeitern. Für sie hat die Arbeit eine identitätsstiftende Funktion. Das heißt, sie wollen sich in ihrer Arbeit verwirklichen können und diese als sinnvoll erfahren. Sie stellen also höhere Anforderungen an ihre Arbeit und somit ihre Führungskräfte. Und die Führungskräfte? Sie stehen vor der Herausforderung, diese zu erfüllen, damit sich ihre Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren können und die gewünschte Leistung bringen.

Auf die individuellen Bedürfnisse angemessen reagieren

Das setzt voraus, dass die Führungskräfte ihr eigenes Wertesystem kennen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie ihre Werte-Messlatte bei allen anderen Menschen anlegen. Zudem können sie nur dann ermitteln, wo ihre "blinden Flecken" sind, weshalb sie zum Beispiel auf gewisse Verhaltensweisen ihrer Mitarbeiter allergisch reagieren.

Führungskräfte sollten, wenn sie ihre Mitarbeiter individuell, also ihren Bedürfnissen entsprechend, führen möchten, aber auch wissen:

  • Wie "tickt" mein Mitarbeiter?

  • Wie sieht die Welt durch seine "Brille" aus? Und:

  • Was braucht er, um seine Leistungsfähigkeit zu entfalten?

Denn nur dann können Führungskräfte ihr Führungsverhalten wirklich dem Gegenüber anpassen. Außerdem können sie nur dann mit jedem Mitarbeiter eine tragfähige Vereinbarung schließen, was dieser braucht, um seine Arbeit als befriedigend, weil sinnstiftend und mit seinem Wertesystem vereinbar, zu erfahren.

In vielen Unternehmen besteht ein Bedarf, die Kompetenz der Führungskräfte in diesem Bereich zu schulen - speziell solchen, die sich zu High-Performance-Organisationen entwickeln möchten. Denn dieses Ziel lässt sich nur mit hoch qualifizierten, selbstbewussten Mitarbeitern erreichen, die sich voll mit ihrer Arbeit und den Zielen des Unternehmens identifizieren. Und diese Mitarbeiter erwarten eine individuelle, also sie als Person wahrnehmende und wertschätzende Führung.

Kontakt und weitere Infos: Michael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens- und Arbeitspraxis (ilea), Esslingen (www.ilea-institut.de). Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit fast zwei Jahrzehnte als Führungskraft sowie Projektmanager in der (Software-)Industrie.

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