Test der Woche

Nokia 5700 Xpress Music

29.10.2007
Lange Zeit hat Marktführer Nokia nur tatenlos zugesehen, wie die Musikhandys der Konkurrenz den Markt aufrollten. Den jüngsten Retro-Spross, das Nokia "5700 Xpress Music", haben wir uns genauer angesehen.

Von Hermann Apfelböck, PC-Welt

Lieferumfang / Verarbeitung

Während Samsung und Co. in der gehobenen Liga der UMTS-Handys auf glänzendes Hightech-Material setzen, schaltet Nokia einen Gang zurück und präsentiert das "5700 Xpress Music" in bewährtem Kunststoff: Das 5700 überrascht mit mutigem Retro-Design, das man in dieser Form bei keinem anderen Hersteller findet. Die Zielgruppe wird damit allerdings stark eingeschränkt: Dass ein Krawattenträger Nokias Plastikbomber mit lockerem Lächeln auf dem Meeting-Tisch platziert, ist in etwa so wahrscheinlich wie eine Punkrock-Combo mit BlackBerrys in den zerschlissenen Hosentaschen.

Schon der Lieferumfang verdeutlicht, wen Nokia als Käufer anvisiert: Kabelfernbedienung und hochwertige Kopfhörer liegen in schickem iPod-Weiß neben einer 1 GB großen Micro-SD-Karte im Karton welcher Teenager kann da noch nein sagen? Einziges Handicap ist der fehlende 3,5-mm-Klinkenanschluss. Nokia setzt stattdessen auf eine wenig verbreitete 2,5-mm-Klinke. Konsequenz: Normale Kopfhörer können mangels mitgelieferten Adapters nur umständlich über die Fernbedienung angeschlossen werden. Als Alternative bieten sich Bluetooth-Stereo-Kopfhörer an, die vom 5700 problemlos unterstützt werden.

Einmal ans Ohr gehalten, sticht das klotzige Handy schon aus der Ferne ins Auge. Ein echter Hingucker ist das 5700 dennoch nicht mit dem glatt polierten Hartplastik, dem weichen Gummiüberzug und den rauen, grau-silbernen Bedien-elementen fühlt es sich leider genauso billig an, wie es aussieht. Schade, denn hinter der Plastikschale verbirgt sich ein Barren-Handy, das Telefon und Musikfunktionen in einer cleveren Kon-struktion zusammenführt. Ein halber Dreh der Tastaturunterseite aktiviert die seitlich eingelassene Kamera, ein kompletter Schwenk um 180 Grad lässt die Musiktasten zum Vorschein kommen. Auch der Akku-Deckel wurde clever in die Drehkonstruktion eingebunden: Er lässt sich nur abnehmen, wenn die Unterseite im rechten Winkel zum Gehäuse steht. Die Verarbeitung ist nicht besonders gut: Trotz der lobenswert unter einer Gummiklappe verstauten Gehäuseöffnungen gibt es ungleichmäßige und an vielen Stellen zu breite Spalten, die Staub und anderen Schmutz aufnehmen können.

Wer hätte gedacht, dass sich unter dem preiswerten Plastikmantel des 5700 ein Display verbirgt, das anspruchsvollste Multimedia-Standards bedient: 16,7 Millionen Farben, QVGA-Auflösung (240 x 320 Pixel), verteilt auf eine Bildschirmdiagonale von 5,7 Zentimetern. Scharfe Kontraste und glasklare Farbbrillanz sprechen zudem für mehr als nur gute Qualität. Dank transflektiver Beschichtung lässt sich der Inhalt auch bei starkem Außenlicht noch gut ablesen. Die Tastatur kann da kaum mithalten. Dank großflächiger Anordnung und präziser Druckpunkte steht einem flotten SMS-Tempo zwar nichts im Wege, die Tasten wackeln aber zu stark in der Einfassung. Die Anordnung der wichtigen Menütasten und der Löschen-Taste fällt unangenehm auf. Seitwärts in die flexible Kunststoffoberfläche eingelassen, fordern sie dem Daumen einen weiten Bewegungsradius ab und bieten wesentlich tiefere Druckpunkte als die benachbarten Tasten. Auch der weiß umrahmte Joystick verfügt nur über eine mangelhafte Präzision.

Ausstattung

Die verbaute Kamera ist leistungsfähig. Zwei Megapixel löst die Optik maximal auf, die Bilder sind trotz relativ blasser Farben und sichtbarer Helligkeitssprünge in Ordnung.

Wo "XpressMusic" draufsteht, sollte auch musikalisch einiges drinstecken. Beim 5700 werden die Erwartungen nicht enttäuscht: Dank Micro-SD-Steckplatz und der mitgelieferten 1-GB-Speicherkarte (bis zu 2 GB werden laut Hersteller unterstützt) schluckt das Handy auch umfangreiche Musiksammlungen im MP3-, AAC- oder WMA-Format. Der multitasking-fähige Musik-Player erinnert entfernt an die iPod-Bedienlogik, die auch Sony Ericssons Walkman-Phones adaptieren einzig die Optik wirkt auf dem 5700 weit weniger peppig. Nokias Listen gewährleisten zwar gute Übersicht, jegliche "Hingucker", etwa schnelle Fading-oder Überlagerungseffekte, vermisst man jedoch.

Funktional bietet Nokias Musik-handy dagegen alles, was auch einen normalen MP3-Player auszeichnet. Der Nutzer kann seine Songs gezielt nach Interpreten, Alben, Genres oder Komponisten durchforsten, sich Wiedergabelisten anzeigen lassen, völlig frei selbst erstellen oder einfach alle auf dem Telefon beziehungsweise der Speicherkarte abgelegten Songs auflisten.

Die reichhaltige Playlist-Verwaltung erlaubt die Anpassung der Titelreihenfolge, darüber hinaus werden Cover-Arts im JPG-Format souverän erkannt beziehungsweise können wie ID3-Tags auch selbst festgelegt werden.

Die Soundqualität kann locker mit Sony Ericssons Walkmännern mithalten. Der Fünf-Band-Equalizer ermöglicht die individuelle Anpassung des Klangbildes. Wer keine Lust mehr auf die eigene Musiksammlung hat, kann auch aufs eingebaute UKW-Radio ausweichen.

Konnektivität

Zum Internet-Browsen kommt der systemtypische KHTML-Minimap-Browser zum Einsatz, der als einer der komfortabelsten und funktional umfangreichsten mobilen Web-Clients gilt und ursprünglich für die N-Series entwickelt wurde. Der Seitenaufbau geht ziemlich flott vonstatten und wird spürbar vom Daten-Turbo UMTS beeinflusst. Mit Birdview und Visual History behält man die Übersicht, dank Feedreader bleibt man immer auf dem Laufenden. Vielfältig sind auch die Messaging-Möglichkeiten. Neben SMS/MMS versteht sich das 5700 auf Audiomessages (im Prinzip nichts anderes als eine MMS mit angehängter Sprachdatei) und natürlich E-Mails. Der Mail-Client kann auf POP3- und IMAP(idle)- basierte Postfächer zugreifen und holt Nachrichten bei Bedarf alle fünf Minuten automatisch ab. Das vertikale Display wird im Posteingang allerdings nicht besonders gut ausgenutzt; maximal vier Mail- beziehungsweise SMS-Überschriften passen untereinander auf den Schirm.

Für die Termin- und Kontaktverwaltung bietet das 5700 dank S60-Betriebssystem einen Funktionsumfang, der jeden Privatnutzer geradezu erschlägt: 46 Feldelemente können einem einzigen Kontakt zugewiesen werden. Namen trennt das 5700 praktischerweise in Vor- und Nachnamen das erleichtert die Synchronisation mit dem Adressbuch des PCs. Während die schnelle Bluetooth-2.0-Schnittstelle die Daten via mitgelieferter PC Suite nahtlos mit Outlook abgleicht, sollte man bei Musikdateien aufs mitgelieferte USB-2.0-Kabel zurückgreifen. Dank ihm wechselt ein Album in weniger als einer Minute aufs Handy.

Neben der Musik bietet das 5700 auch spielerisch gute Voraussetzungen: Die hohe Java-Leistung des Handys lässt auch anspruchsvollere 3D-Games ruckelfrei übers Display gleiten.

Telefonfunktionen / Ausdauer

Abgesehen von einem trägen Aufbau der Vorschaubilder in der Mediengalerie reagieren S60-System und Applikationsprozessor schnell auf Nutzereingaben ein "Dreh" schaltet nahezu verzögerungsfrei zum Musik-Player um. Zu viel drehen sollte man allerdings nicht: Wir verzeichneten mitunter Abstürze beim Umschalten zwischen Kamera und Musikplayer.

Im Ausgangszustand sorgt der bewährte Active-Stand-by-Screen für die intelligente Befüllung des Startbildschirms mit aktuellen Informationen. So findet man hier ausführliche Informationen über die Termin- und Aufgabenlage oder die aktuelle Titelanzeige des MP3-Players. Ebenfalls schnell unverzichtbar: die am Kopfende des Menüs befindliche Shortcut-Leiste, die Verknüpfungen zu den wichtigsten Anwendungen bietet.

Es empfiehlt sich, sie schnell ans eigene Nutzungsverhalten anzupassen so umgeht man oftmals den langen Weg durchs Menü, wenn man nur schnell Bluetooth aktivieren oder das Radio einschalten möchte. Alle Symbole des Hauptmenüs lassen sich frei verschieben sowie in Ordner sortieren, und sie ändern je nach Themenwahl auch ihr Aussehen. Neu am 5700 ist die erweiterte Themen-Auswahl: Der Nutzer kann nicht nur ein globales Thema aktivieren, das die gesamte Optik des Betriebssystems nach einem vorgefertigten Schema ändert, sondern Menüs, Hintergründe oder Klingelverhalten unabhängig voneinander anpassen.

Die Antenne des 5700 bietet guten Empfang auch in schwächer abgedeckten Regionen und Problemzonen wie etwa Tiefgaragen. Die Sprachqualität des 5700 kann nicht ganz auf diesem Niveau mithalten, zu deutlich wird die Stimme vom Prozessor gefiltert, dementsprechend dumpf klingt die Stimme des Gegenübers. Ungeahnten Komfort bietet das UMTSHandy bei Videotelefonaten: Mit gedrehter Kamera stellt man das 5700 im Querformat vor sich auf den Tisch aufgrund der gewinkelten Tastatureinheit ist dafür keine extra Halterung erforderlich und steht seinem Gesprächspartner dann im Querformat auf dem großflächigen Display gegenüber.

Die Akku-Laufzeit ist gut: Bei täglich zirka einer halben Stunde Musik und einem "normalen" Telefonverhalten drei bis vier Gespräche ?† fünf Minuten , deaktiviertem Bluetooth und sporadischer Kameranutzung kam die PC-Welt auf zirka fünf Tage Nutzungsdauer.

Fazit

 Hightech in einer schlechten Verpackung: das Handy 5700 Xpress Music von Nokia
Hightech in einer schlechten Verpackung: das Handy 5700 Xpress Music von Nokia

Selten ist uns ein Handy untergekommen, bei dem Innen- und Außenwelt so weit auseinanderklaffen. Im cleveren Dreh-Slider-Gehäuse des 5700 stecken ein brillantes Display, UMTS-Connectivity, hervorragende Musik- und Java-Fähigkeiten, das bewährte Smartphone-Betriebssystem S60 3rd Edition und eine mittelprächtige Kamera. Leider wird das Hightech-Teil in einer schlechten Verpackung serviert; das auffällige Retro-Design wird vom Low-End-Material und seinen Verarbeitungsschwächen nahezu zerstört. Ein hakeliger Joystick und die unsinnige Anordnung der Navigationstasten überschatten die musikalischen Vorteile, die die Dreh-Slider-Bedienung bietet. Der Straßenpreis des Handys liegt bei zirka 250 Euro. BB

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