Hohe Wartungspreise verärgern Kunden

Sage sagt leise Servus zur Classic Line

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Sage hat die Preise für die Wartung von Sage New Classic drastisch erhöht. Das bringt viele Anwender, die die Software teilweise schon seit Jahrzehnten einsetzen, auf die Barrikaden.

Viele Anwender der mittelständischen ERP-Lösung "Sage New Classic" (SNC) sind sauer. Aus ihrer Sicht stellt der britische Softwareanbieter die Entwicklung ein und lässt die über viele Jahre bewährte betriebswirtschaftliche Lösung langsam sterben. Zudem würden die Kunden massiv dazu gedrängt, auf die ebenfalls aus dem Hause Sage stammende Software "Sage 100" umzusteigen. Gleichzeitig sollen offenbar zum 1. Januar 2017 die Preise für die Wartung von SNC deutlich erhöht werden - um 45 Prozent, wie erboste Anwender berichteten.

"Wir fühlen uns als langjähriger Sage-Kunde massiv vor den Kopf gestoßen", klagt ein Anwender, der nach eigenen Angaben seit über 30 Jahren mit Sage New Classic (früher Sage Classic Line) arbeitet. "Und ich denke, dass wir da nicht die einzigen sind, die stinksauer über die Geschäftspraktiken von Sage sind."

Tatsächlich brodelt es bereits seit einiger Zeit in der Sage-Classic-Community - das betrifft Anwender wie auch Partner des Softwareherstellers. Die jüngsten Entscheidungen des Sage-Managements zur Zukunft des ERP-Produkts haben nun offensichtlich das Fass zum Überlaufen gebracht.

Preiserhöhung ist nicht fair

Die Erhöhung der Wartungspreise um 45 Prozent sei weder fair, noch stehe sie in irgendeiner Relation zur "Alt-Technologie-Pflege", schrieb ein Sage-Partner Anfang Dezember 2016 in einem Blog-Kommentar. Das Gebaren deute nicht darauf hin, dass die Briten ihre Kunden halten zu wollten, so an gleicher Stelle ein anderer Kunde. "Da müsste man schon etwas offener kommunizieren und fairer mit den Kunden und den kleineren Fachhändlern umgehen."

Etliche Anwender wurden von der neuen Produktstrategie überrascht. "Ich konnte mich fast nie beklagen, alles lief reibungslos", schrieb ein Kunde schon im Herbst 2015 im Netz und fragte sich: "Warum sollte mein Programm jetzt auf einmal veraltet sein?" Ein anderer wunderte sich ebenfalls, warum seine Software auf einmal für tot erklärt werde. "Warum hat mir das keiner gesagt?" Weder der betreuende Händler noch der Hersteller selbst hätten hier irgendeinen Hinweis gegeben.

Weiter gepflegt, aber nicht weiter entwickelt

Die Verantwortlichen von Sage sind derweil bemüht, die Wogen zu glätten. Die Entwicklung der Classic-Line ERP-Software werde nicht eingestellt, versichert Oliver Henrich, Leiter des Produkt-Marketings bei Sage in Deutschland. Er bestätigte aber im gleichen Atemzug die Preiserhöhung für den künftigen Support. Man werde auch in Zukunft Wartung und Pflege für die Software anbieten. Henrich nennt in diesem Zusammenhang das Einpflegen von gesetzlichen Änderungen sowie die Behebung von Softwarefehlern. Allerdings, so schränkt der Sage-Manager ein, würden sich die Support-Dienste auf diese Basisleistungen beschränken. Weiterentwicklungen hinsichtlich neuer Funktionen oder der Benutzerführung werde es für SNC aller Voraussicht nach nicht geben. Sage konzentriere seine Entwicklungsressourcen auf neuere Produkte wie beispielsweise "Sage 100".

Aus Sicht von Oliver Henrich, Leiter für das Produkt-Marketing bei Sage in Deutschland, habe der Softwarehersteller in den vergangenen Jahren klar und deutlich kommuniziert, dass rund New Classic keine größeren Entwicklungsaktivitäten mehr geplant seien.
Aus Sicht von Oliver Henrich, Leiter für das Produkt-Marketing bei Sage in Deutschland, habe der Softwarehersteller in den vergangenen Jahren klar und deutlich kommuniziert, dass rund New Classic keine größeren Entwicklungsaktivitäten mehr geplant seien.
Foto: Sage

Henrich macht unmissverständlich klar, dass eine Weiterentwicklung der Classic Linie strategisch nicht sinnvoll sei. Schließlich handele es sich dabei um das älteste Produkt des Softwarehauses. Sage hatte die Classic-Produktlinie mit der Akquisition von KHK im Jahr 1997 übernommen. 110 Millionen Mark hatten die Briten vor fast zwanzig Jahren für den deutschen Softwarehersteller auf den Tisch gelegt. Den Vorwurf, Sage stoße jetzt die Kunden vor den Kopf, will Henrich nicht gelten lassen. "Wir kommunizieren das regelmäßig seit Jahren. Dieser Schritt kommt nicht überraschend."

Stillstand in der Entwicklung

Nichtsdestotrotz ärgern sich die Classic-Anwender schon seit einiger Zeit über das immer kleiner werdende Entwicklungs-Engagement ihres Softwarelieferanten. Seit Jahren gebe es keine neuen Funktionen, und wenn, dann kostenpflichtig, monierte ein Kunde bereits vor einem Jahr. Aus Sicht eines KHK-Anwenders der ersten Stunde gleiche die Weiterentwicklung der letzten Jahre einem Stillstand. Und Thomas Lexa schreibt in seinem IT-Blog: "Nüchtern betrachtet sieht es für mich so aus, dass Sage hier nicht viel Energie für die Weiterentwicklung einer an und für sich sehr mittelstandskonformen ERP-Lösung aufbringt." ( Anm. d. Red.: Der IT-Experte Thomas Lexa hat sich eigenen Angaben zufolge vor einigen Jahren hauptberuflich mit den den Classic-Lösungen von Sage beschäftigt. In seinem Blog-Post äußert Lexa ausdrücklich seine persönliche Meinung.)

Angesichts dessen stößt den Kunden die saftige Preiserhöhung für die Wartung besonders sauer auf. Einige sprechen von "Geldmacherei" und "Abzocke", Sage-Kunden würden "nur noch gemolken". Zugleich ziehen die Unternehmen Konsequenzen. "Habe zum Glück meinen Wartungsvertrag fristgerecht zum Ende des Jahres gekündigt", berichtete ein Anwender. "Kommt ja eh keine Leistung mehr rüber." Ins gleiche Horn stößt ein anderer Kunde, der ebenfalls seinen Wartungsvertrag für SNC aufgekündigt hat. "Keine Leistung, kein Geld", machte er seine einfache Rechnung auf.

Weniger Kunden machen die Wartung teurer

Sage-Manager Henrich führt für die steigenden Wartungsrechnungen schlichtweg betriebswirtschaftliche Gründe an. Die Zahl der Classic-Anwender sinke kontinuierlich. Von etwa 30.000 vor 20 Jahren auf aktuell weniger als 5000. Immer mehr Kunden würden auf neuere modernere Lösungen von Sage umsteigen.

Das habe zur Folge, dass der Aufwand für die Pflege der Classic-Linie auf immer weniger Unternehmen verteilt werde. Infolgedessen müssten die Preise für die Wartung steigen. "Allerdings muss man auch die Kirche im Dorf lasse", mahnte Henrich. Im Durchschnitt bedeute der höhere Wartungssatz für die Anwenderunternehmen etwa 30 Euro Mehrkosten pro Monat. Darüber könne man sicherlich diskutieren, aber für eine bewährte funktionierende betriebswirtschaftliche Lösung sei dies durchaus gerechtfertigt.

Sage-Mann Henrich verweist zudem auf aus seiner Sicht attraktive Umstellungsangebote in Richtung Sage 100. Das Softwarehaus biete dafür Datenmigrationsservices sowie finanzielle Vergünstigungen an. Beispielsweise gebe es zeitlich gestaffelte Rabatte. Wer sich bis zum Jahresende für einen Umstieg entscheide, erhalte 80 Prozent Nachlass, danach werde es weniger. Anwender, die bis Ende März 2017 wechselten, erhielten zudem rückwirkend die Wartungserhöhung zurückerstattet. Henrich räumt allerdings ein, dass es an dieser Stelle wohl einige Missverständnisse gegeben haben könnte. Offenbar sei angesichts dieser im Markt durchaus üblichen gestaffelten Vergünstigungen der Eindruck entstanden, Sage dränge seine Kunden zum Umsteigen. Henrich betont jedoch, die Bedürfnisse der Kunden stünden im Mittelpunkt. Das Sage-Motto dafür lautet: "Customer for Life".

"Customer for Life" sieht anders aus

Doch dieser Slogan scheint zumindest bei der Classic-Klientel nicht mehr anzukommen. "Beständigkeit und das Bestreben 'Customer for Life' zu haben, sieht für mich persönlich anders aus", moniert ein enttäuschter Kunde. Viele Anwender wollen die Entscheidung über ihre Softwarezukunft nicht über das Knie brechen und haben durchaus auch Alternativen im Blick. Zumal Sage 100 offensichtlich für viele nicht der Migrationspfad der Wahl ist. "Ich persönlich konnte nichts Moderneres an Sage 100 finden", kritisierte ein Sage-Anwender erst Mitte Dezember. "Sage 100 scheint noch nicht ganz fertig zu sein", konstatierte ein anderer Kunde.

Zudem herrscht offenbar auch bezüglich der Zukunft von Sage 100 Unsicherheit. Wer wisse schon, welche Produkte bei Sage Deutschland in fünf Jahren noch im Portfolio seien, fragt sich so mancher Anwender. Ein anderer vermutet, dass auch Sage 100 nur eine temporäre Angelegenheit sei. "Mittelfristig kommt dann sicher ein komplett neues Programm von Sage, und dann heißt es wieder, in die Tasche greifen."

Datenmigration ist den Kunden zu teuer

Von attraktiven Konditionen für den Umstieg wollen viele Anwender auch nichts wissen. Gerade die Datenmigration scheint in den Augen der Kunden zu teuer. "Die Angebote für die Übernahme in Sage 100 sind ein Witz", schimpft ein verärgerter Nutzer. Andere sprechen von "strammen Preisen" und "stolzen Summen", die für den Wechsel fällig würden. In der Konsequenz wollen einige Kunden ihrem Softwarelieferanten den Rücken kehren. "Sage ist für mich gestorben", lautet die Bilanz eines Kunden. "Sage wird nicht mehr in der Auswahl des nächsten Systems dabei sein", stellt ein anderer Anwender klipp und klar fest.

Myfactory scheint für einige Sage-Kunden eine Wechseloption zu sein.
Myfactory scheint für einige Sage-Kunden eine Wechseloption zu sein.

Softwarealternativen in Sachen ERP scheinen durchaus greifbar. Vor allem hinsichtlich der Datenübernahme aus den alten Sage-Systemen scheint "Myfactory" aus Sicht vieler Classic-Anwender eine interessante Optionen zu sein. Pikante Nebennote in diesem Zusammenhang: Marco Gerlach, derzeit Leiter der Entwicklung bei Myfactory, war zwischen 1994 und 2000 maßgeblich an der Entwicklung von Sage-Software beteiligt - zunächst bei KHK, später bei Sage. "Der Mann hat nahezu jeden Code geschrieben", schrieb Mitte Februar 2016 ein Sage-Kunde in einem Blog-Beitrag. "Offensichtlich hatte er Ideen, die bei KHK/Sage niemand wollte. Hätten Sie mal auf ihren Entwickler gehört."

Der Fokus von Sage liegt auf der Cloud

Das Sage-Management ist unterdessen mit anderen Themen beschäftigt. Wie in vielen Softwarehäusern steht die Cloud ganz oben auf der Prioritätenliste. Für das abgelaufene Geschäftsjahr 2015/16, das mit dem September 2016 endete, meldete der Softwareanbieter für Deutschland und Österreich einen im Jahresvergleich um 48 Prozent gestiegenen Umsatz mit Subskriptionsangeboten - also Mietsoftware. Hierunter fallen auch die Cloud-basierten Produkte. Vor allem die Einstiegsbuchhaltung für Startups und kleine Unternehmen "Sage One" habe tausende neue Kunden gewonnen, hieß es.

Rainer Downar, Executive Vice President der Sage Group für Zentraleuropa, legt seinen Fokus ganz klar auf neue Themen wie beispielsweise Cloud-Lösungen.
Rainer Downar, Executive Vice President der Sage Group für Zentraleuropa, legt seinen Fokus ganz klar auf neue Themen wie beispielsweise Cloud-Lösungen.
Foto: Sage

Rainer Downar, Executive Vice President der Sage Group für Zentraleuropa, der vor gut einem Jahr den langjährigen Deutschlandchef Peter Dewald abgelöst hatte, sprach anlässlich der Vorstellung der Jahresbilanz Ende November 2016 von einem Rekordergebnis in Zentraleuropa. In Deutschland inklusive Österreich stieg der organische Gesamtumsatz im Vergleich zum vorangegangenen Fiskaljahr um sieben Prozent auf 125,3 Millionen Euro.

Downar verwies explizit darauf, dass vor allem Cloud-Lösungen mehr und mehr Zuspruch bei den Kunden fänden. Wie Hohn dürfte in den Ohren der Classic-Kunden allerdings Downars Hinweis klingen, Sage habe erhebliche Anstrengungen im Bereich der Softwareentwicklung unternommen, die sich dem Sage-Manager zufolge deutlich positiv auf die Qualität der Lösungen und eine gesteigerte Kundenzufriedenheit ausgewirkt hätten.

Das Vertrauen ist weg

Das Fazit eines enttäuschten Classic-Kunden von Mitte Dezember klingt indes ganz anders: "Sage hat mein Vertrauen verloren. Mein Weg wird definitiv woanders hinführen. Es gibt bestimmt Anbieter, die seriöser arbeiten und nicht von heute auf morgen langjährig eingesetzte Programme absetzen."

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