Tipps zur Mitarbeiterentwicklung

Schwäche oder verborgene Stärke?

Frank Rebmann arbeitet als (Führungskräfte-)Trainer, Berater und Coach für Unternehmen. Er ist Experte für das Themenfeld "Ermitteln und Entwickeln der Stärken von Führungskräften und ihren Mitarbeitern". Der zertifizierte Master Trainer und systemische Coach verfügt über 16 Jahre Erfahrung als Führungskraft und 20 Jahre Erfahrung als Verkäufer in Industrie- und Handelsunternehmen.
Viele Menschen beklagen ihr Leben lang ihre „Schwächen“ und versuchen diese zu beseitigen. Das gelingt ihnen meist nicht – unter anderem, weil sich hinter vielen unserer sogenannten Schwächen Stärken verbergen. Ähnlich verhält es sich bei vielen Führungskräften. Sie haben oft primär die „Schwächen“ ihrer Mitarbeiter im Blick.

"Ich bin zu perfektionistisch." "Ich kann mich schwer durchsetzen." "Ich werde schnell ungeduldig." Solche Aussagen hört man oft, wenn man Personen fragt, warum diese mit bestimmten Aufgaben und Situationen Probleme haben. So detailliert listen sie dann ihre vermeintlichen Schwächen auf, dass man den Eindruck gewinnen könnte: Diese Person hat nur "Schwächen". Dabei zeigt sich bei einem gezielten Nachfragen meist schnell: Die Person hat in ihrem Leben schon viele Herausforderungen gemeistert.

Die ähnliche Konzentration auf die Schwächen erlebt man häufig, wenn sich Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern zu Entwicklungsgesprächen zusammensetzen. Dann spielen die "Schwächen" des Mitarbeiters oft eine so große Rolle, dass man sich fragt: Warum hat das Unternehmen dem Mitarbeiter noch nicht gekündigt?

Eine Ursache hierfür ist: Viele Führungskräfte thematisieren in den Entwicklungsgesprächen mit ihren Mitarbeitern vor allem, was in der Vergangenheit nicht optimal lief. Folgenden Punkten wird hingegen wenig bis keine Aufmerksamkeit geschenkt:

  1. Was lief gut?

  2. Warum lief ist es gut?

  3. Welche Kompetenzen zeigte der Mitarbeiter dabei? Und:

  4. Wie kann er seine Stärken künftig noch besser entfalten?

Was gut war, wird schnell abgehakt, um anschließend die ganze Aufmerksamkeit auf die Schwächen und Versäumnisse des Mitarbeiters zu richten.

Was gut läuft, erscheint uns oft selbstverständlich

Dieses Ungleichgewicht spüren auch die Mitarbeiter. Deshalb erleben sie die Entwicklungsgespräche vor allem als Kritikgespräche und blicken ihnen eher mit Unbehagen entgegen statt sich auf sie zu freuen. Denn sie wissen: Das Gespräch wird sich vor allem darauf konzentrieren, was in der Vergangenheit nicht optimal lief.

Woran liegt es, dass wir uns - beruflich und privat - meist vorwiegend auf unsere Schwächen statt Stärken konzentrieren? Eine zentrale Ursache hierfür ist: Vieles, was wir gut machen und können, erachten wir als selbstverständlich. So erfüllt es zum Beispiel viele gute Texter nicht mit Stolz, dass sie gut schreiben können. Und viele exzellente Zuhörer sind keineswegs stolz darauf, dass sie gut zuhören können. Entweder, weil ihnen diese Fähigkeit nicht bewusst ist oder weil sie dieses Können als selbstverständlich erachten.

Anders verhält es sich mit den Denk- und Verhaltensmustern, an denen wir uns regelmäßig stoßen. Sei es, weil wir ein anderes Wunschbild von uns haben oder weil sie uns im Alltag tatsächlich zuweilen Probleme bereiten. Mit diesen unerwünschten Denk- und Verhaltensmustern beschäftigen sich viele Menschen tagaus, tagein. Und diese "Schwächen" versuchen sie abzubauen statt ihre Stärken auszubauen.

Stärken werden oft nicht gewertschätzt

Ähnlich verhält es sich bei vielen Führungskräften. Auch sie erachten das, was ihre Mitarbeiter gut können oder tun, oft als selbstverständlich. Sei es, dass sie Termine zuverlässig einhalten oder selbstständig Probleme lösen. Also verlieren sie darüber keine großen Worte. Stattdessen konzentrieren sie sich auf die Verhaltensweisen, bei denen die Mitarbeiter ihrem Idealbild nicht entsprechen - selbst wenn diese für den Arbeitserfolg eine geringe Relevanz haben.

Lesetipp: Was Führungskräfte beachten sollten: Tipps zur Mitarbeitermotivation

Ein Umdenken findet meist erst statt, wenn der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt und ein Neuer seinen Platz einnimmt. Dann wird der frühere Mitarbeiter häufig glorifiziert. "Der Schmidt war ein toller Mitarbeiter. Er hat zwar oft gemeckert, doch verkauft hat er wie kein Zweiter." Oder: "Der Seifert war zwar etwas chaotisch, doch im Programmieren war er ein Ass." Dann ist das, was vorher selbstverständlich war, auf einmal nicht mehr selbstverständlich. Plötzlich werden die Stärken des Ex-Mitarbeiters gewürdigt und seine Schwächen sind nur noch Anlass für Anekdoten. Und alle beklagen, dass dieser "wertvolle Mitarbeiter" das Unternehmen verließ - weil er meinte, er könne in ihm seine Fähigkeiten nicht entfalten.

Deshalb sollten Führungskräfte, wenn sie mit einem Mitarbeiter über dessen Arbeit und künftige Entwicklung sprechen, vor allem folgende Fragen erörtern:

  1. Warum hat der Mitarbeiter diese und jene Aufgabe gut erledigt?

  2. Welche besonderen Fähigkeiten zeigte er dabei?

  3. Wie sollte sein Arbeitsfeld künftig aussehen, damit er diese Fähigkeiten noch besser einsetzen kann?

Mitarbeiter bringen nur Spitzenleistungen, wenn sie ihre Zeit und Energie auf die Dinge verwenden, bei denen sie überdurchschnittliche Fähigkeiten haben.
Mitarbeiter bringen nur Spitzenleistungen, wenn sie ihre Zeit und Energie auf die Dinge verwenden, bei denen sie überdurchschnittliche Fähigkeiten haben.
Foto: El Nariz - shutterstock.com

Mitarbeiter bringen nur Spitzenleistungen, wenn sie ihre Zeit und Energie auf die Dinge verwenden, bei denen sie überdurchschnittliche Fähigkeiten haben. Verwenden sie ihre Energie hingegen vor allem darauf, ihre "Schwächen" zu beseitigen zu entwickeln, entrinnen sie nie der Mittelmäßigkeit. Ein Dirk Nowitzky wäre nie einer der besten Basketball-Spieler weltweit geworden, wenn er zugleich versucht hätte, den Nobelpreis in Physik zu erringen. Umgekehrt hätte Albert Einstein nie den Nobelpreis in Physik bekommen, wenn er zugleich versucht hätte, ein Top-Basketballspieler zu werden.

Das sollten Führungskräfte im Umgang mit ihren Mitarbeitern beachten. Denn ihre Aufgabe ist es nicht, dafür zu sorgen, dass jeder Mitarbeiter alles kann. Ihre Aufgabe ist es, die Mitarbeiter so einzusetzen, dass jeder seine Fähigkeiten entfalten und einbringen kann; außerdem die Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter so zu strukturieren, dass sie gemeinsam ein Spitzenteam bilden - unter anderem, weil sie sich wechselseitig unterstützen und so ihre individuellen Schwächen kompensieren.

Zur Startseite