Stimmen gegen Entlastung früherer Siemens-Manager mehren sich

09.01.2008
Von Alexander Becker und Archibald Preuschat DOW JONES NEWSWIRES

Von Alexander Becker und Archibald Preuschat DOW JONES NEWSWIRES

MÜNCHEN (Dow Jones)--Der Investoren-Dienstleister RiskMetrics Group empfiehlt seinen Kunden, dem ehemaligen Siemens-Aufsichtsratsvorsitzenden Heinrich von Pierer sowie dem Ex-Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld auf der Hauptversammlung 2008 die Entlastung zu verweigern. Das gelte auch für eine Reihe weiterer ehemaliger Zentralvorstände, geht aus einer Analyse der RiskMetrics Group für die Siemens-Hauptversammlung am 24. Januar hervor.

Zuvor hatten Anleger bereits mehrere Gegenanträge zur Hauptversammlung gestellt, die auf eine Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2006/07 abzielen.

Die RiskMetrics Group veröffentlicht über ihre Tochter Institutional Shareholder Service Governance Services (ISS) Empfehlungen für institutionelle Anleger. ISS ist die größte und wichtigste Organisation für die Beratung dieser Investoren. Eine Sprecherin der RiskMetrics Group sagte auf Nachfrage, dass nicht nachgehalten werde, ob sich die Kunden an die Empfehlung halten.

Eine Nicht-Entlastung hätte zunächst keine direkten juristischen Auswirkungen für die Manager. Laut ISS wäre eine Entlastung aber eine zusätzliche Hürde, um zu einem späteren Zeitpunkt Ansprüche von Investoren gegen das Management durchzusetzen.

Bei Heinrich von Pierer verweisen die ISS-Analysten auf seine mehrjährige Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender bei der Siemens AG und seine darauf folgende Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender. Entsprechend sollten die Aktionäre gegen eine Entlastung von Pierers stimmen. Von Pierer hatte im April die Konsequenz aus den zahlreichen Affären bei Siemens gezogen und war als Vorsitzender des Aufsichtsrates zurückgetreten. Vor seinem Wechsel an die Spitze des Aufsichtsrats war von Pierer von 1993 bis 2005 Vorstandsvorsitzender von Siemens.

Derzeit wird in mehreren Ländern wegen mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen von Siemens-Mitarbeitern ermittelt. Unter anderem ermitteln das US-Justizministerium und die US-Börsenaufsicht SEC. Siemens beziffert die bislang in den internen Ermittlungen identifizierten fragwürdigen Zahlungen im Zusammenhang mit Beraterverträgen auf rund 1,3 Mrd EUR.

ISS rät den Investoren zudem, neben Kleinfeld die zum Jahresende ausgeschiedenen Zentralvorstände Rudi Lamprecht, Eduardo Montes, Uriel Sharef und Klaus Wucherer nicht zu entlasten. Grund dafür sei, dass diese in dem von der mit der Aufklärung der Korruptionsaffäre beauftragten Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton erstellten Kurzbericht an den Aufsichtsrat (so genannter Letter of Comfort) nicht erfasst worden sind, begründet ISS die Empfehlung.

In einem Brief von Debevoise an den Aufsichtsratsvorsitzenden Cromme bestätigt die US-Anwaltskanzlei, dass es keine Compliance-Hürden für die zur Wiederwahl stehenden Aufsichtsratskandidaten Cromme, Josef Ackermann und Iain Vallance gebe. Wie aus dem Brief hervorgeht, in den Dow Jones Newswires Einsicht hatte, hatte Cromme bei Debevoise eine Überprüfung der zur Wahl stehenden künftigen Aufsichtsratsmitglieder der Kapitalseite beauftragt und auch der neuen Vorstandsmitglieder Wolfgang Dehen (Energy), Erich Reinhardt (Healthcare) und Siegfried Russwurm (Arbeitsdirektor).

Ein Siemens-Sprecher bestätigte die Existenz des Dokuments, wollte weitere Details jedoch nicht kommentieren.

In der Einladung zur Hauptversammlung von Siemens wird - außer im Falle von Johannes Feldmayer - die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat empfohlen. Feldmayer war im Zusammenhang mit der Affäre um Zahlungen an die Arbeitnehmervertretung AUB zwischenzeitlich inhaftiert worden und hatte daraufhin seine Aufgaben niedergelegt.

In mehreren auf der Siemens-Webseite veröffentlichten Gegenanträgen haben sich bereits mehrere Aktionäre gegen eine Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats ausgesprochen. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) fordert eine Vertagung der Entlastung mit Ausnahme des seit Sommer amtierenden Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher und verweist zur Begründung darauf, dass die bislang vorliegenden Ergebnisse der Debevoise-Untersuchungen "lediglich vorläufiger Art" sind.

Sie stellten daher keine verlässliche Basis für eine in Kenntnis aller Fakten und Umstände für die zu treffende Entlastungsentscheidung dar. Vor diesem Hintergrund bestehe lediglich die Möglichkeit, die Entlastung insgesamt bis zum Vorliegen endgültiger und belastbarer Ergebnisse der Untersuchung zu vertagen.

Bei der auf der Hauptversammlung am 24. Januar anstehenden Aufsichtsratswahl will die DSW zudem "gegen eine Wiederwahl der Herren Dr. Josef Ackermann, Dr. Gerhard Cromme und Lord Iain Vallance of Tummel" stimmen. Dies geht aus dem Gegenantrag der Aktionärschützer zur Hauptversammlung hervor. Die drei Aufseher sind die einzigen Gemiumsmitglieder, die sich zur Wiederwahl stellen. Die DSW habe sich wie im Vorstand auch für den Aufsichtsrat einen "Neuanfang gewünscht". Die "hier vorgeschlagene Lösung erscheint uns halbherzig."

Bereits auf der Hauptversammlung 2007 waren Vorstand und Aufsichtsrat massiver Kritik von Seiten der Aktionäre ausgesetzt. Die ISS etwa hatte ihren Kunden empfohlen, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten. ISS hatte dies damit begründet, dass das Management zu spät auf den Korruptionsskandal reagiert und damit seine Pflichten vernachlässigt habe.

Die Hauptversammlung entlastete 2007 jedoch letztendlich sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat, allerdings mit verhältnismäßig schlechten Zustimmungswerten. Kleinfeld und Finanzvorstand Joe Kaeser erhielten lediglich jeweils 71,4% Zustimmung des vertretenen Kapitals, für die Mitglieder des Aufsichtsrats (jeweils rund 68%) und den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden von Pierer fiel das Ergebnis mit rund 66% noch schlechter aus.

Siemens hatte im Zuge eines umfassenden Konzernumbaus zum Jahreswechsel auch die Verantwortlichkeiten im Vorstand neu geordnet und das Gremium verkleinert. Dem derzeitigen Vorstand gehören nun neben dem Vorstandsvorsitzenden Löscher, Finanzvorstand Kaeser, Hermann Requardt (Technologie), Siegfried Russwurm (Personal), Peter Solmssen (Recht und Compliance) sowie die neuen drei Sektor-CEOs Heinrich Hiesinger (Industry), Wolfgang Dehen (Energy) und Erich Reinhardt (Healthcare) an.

Für die Mitglieder des derzeitigen Vorstands, die bereits im abgelaufenen Geschäftsjahr 2006/07 in dem Gremium tätig waren, befürwortet der US-Aktionärsdienstleister die Entlastung. Das sind Löscher, Kaeser, Hiesinger, Requardt und Reinhardt. Auch der Ende 2007 in den Ruhestand gegangene Ex-Personalvorstand Jürgen Radomski soll laut ISS entlastet werden.

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