"Stimmung ist bodenlos"

21.05.2007
Beim Potsdamer IT-Dienstleister A&O GmbH brennt es lichterloh. Es geht um 560 Mitarbeiter, die in eine Niedriglohnsparte versetzt werden sollen. Zudem streiten Gewerkschaft und A&O-Geschäftsführer Michael Müller vor Gericht wegen nicht erfüllter Verträge und um die Frage: Was darf ein Geschäftsführer?

Von Wolfgang Leierseder

Bei der A&O GmbH, gegründet 2003 in Potsdam, war es noch nie ruhig. Das liegt einmal in der Natur der Geschäfte, die die GmbH betreibt: zumeist dünnmargige "On fields"-Services für die Unternehmens-IT.

Doch seit sich A&O, gerade 200 Mann stark, im März 2005 die Servicemannschaft der Sinitec GmbH - 1.100 Mitarbeiter zählend, von Siemens gnadenlos (gemäß § 613a BGB; Betriebsübergang) abgestoßen - ins Haus geholt und in der itec GmbH zusammengefasst hat, brennt es in Potsdam lichterloh.

Ein braves mittelständisches Unternehmen, beschäftigt mit Reparatur- und Wartungsdiensten für Server, PCs oder Drucker, versucht, den Brocken Sinitec zu verdauen. Die Mannschaft von Sinitec wartet unter anderem Kassensysteme und betreut Rechenzentren.

Abschiebung in Niedriglohnsparte

Bis heute haben weder Siemens noch A&O die finanziellen Modalitäten des Verkaufs im März 2005 offen gelegt. Sicher scheint, dass sich Siemens den Verkauf der defizitären Abteilung einiges kosten ließ, und es steht fest, dass im Juni 2005 die IG Metall und A&O, vertreten durch Geschäftsführer Michael Müller, einen Sanierungstarifvertrag für die letztendlich von A&O übernommenen 800 Sinitecler abgeschlossen haben.

Dieser Vertrag, gültig bis 31.03.2008, schließt sich dem noch mit Siemens ausgehandelten Übernahmevertrag an; und es steht in ihm zum Beispiel, dass alle itec-Mitarbeiter ihr Weihnachts- und Urlaubsgeld der A&O stunden und 38,5 statt 36,5 Stunden pro Woche arbeiten. Dafür können sie bis März 2008 nicht gekündigt werden.

Und es steht in diesem Vertrag auch, dass die IG Metall testierte Jahresbilanzen der itec GmbH erhält und A&O den vorübergehenden Gehaltsverzicht dafür nutzen solle, neue Wachstumsfelder zu erschließen.

Jetzt soll all das nach den Plänen Müllers Makulatur sein. Denn er möchte 560 Sinitec-ler in die als Niedriglohnsparte geltende neue Tochterfirma A&O 4-tec GmbH verschieben. Dort würden sie nach Informationen von ChannelPartner bis zu 30 Prozent weniger Lohn für die gleiche Arbeit erhalten. Geht es nach Müller, werden die Mitarbeiter der 4-tec GmbH neu eingestuft. Ihre "Skills" (Müller) sollen neu bewertet werden. Dazu sagte der Geschäftsführer gegenüber ChannelPartner, bei manchen würde das zu einem höheren Lohn führen, bei manchen zu weniger und bei vielen zu gleich hohem Lohn. "Sie glauben doch nicht, dass ich Fachkräfte einfach runterstufe", sagte Müller. Das Vorhaben selbst kommentierte er mit "Wir führen eine niedrigmargige Sparte einer erfolgreichen Mutter zu."

Doch die betroffenen Mitarbeiter haben von Müllers Plan einen anderen Eindruck: Sie vermuten, dass Müllers A&O Group das Geld fehle, die itec-Mitarbeiter weiter gemäß dem Sanierungstarifvertrag zu bezahlen. "Das Geld ist alle", hat itec-Geschäftsführer Karsten Gosch am 25. April 2007 auf einer Betriebsversammlung gesagt und den Mitarbeitern mit drastischen Konsequenzen gedroht, wenn sie sich nicht auf die geplante Gehaltsreduktion einließen.

Nun muss man wissen, dass Siemens beim Verkauf von Sinitec den Potsdamern zusicherte, drei Jahre lang monatlich 70.000 Servicestunden abzurufen und auf jeden Fall zu bezahlen.

Doch weder Fujitsu-Siemens noch Siemens sind offensichtlich gewillt, diesen Vertragsbestandteil weiter zu erfüllen. Es stünden im Moment lediglich 35.000 Stunden zur Debatte, hat ChannelPartner erfahren. "35.000 Stunden sind Quatsch", lautete dazu Müllers Kommentar. "Wir verhandeln permanent."

Der Geschäftsführer ist offensichtlich überhaupt ein Liebhaber des Verhandelns - sei es hausintern oder auch vor Gericht. So hat die IG Metall am 11. Mai den Sanierungstarifvertrag gekündigt, nachdem sie bis heute keine einzige Bilanz erhalten hat.

Fehlende Bilanzen

Während Gerd Nierenköther vom IG-Metall-Funktionsbereich Tarifpolitik erklärte: "Wir bekommen keinerlei Einblick in die wirtschaftliche Lage von a&o itec" und öffentlich an "der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens" zweifelte, erklärte Müller gegenüber ChannelPartner, dass dem Wirtschaftsausschuss die "nicht testierten Zahlen" vorgelegt wurden. Bei der Vorgehensweise der IG Metall handle es sich allein um einen "formaljuristischen Trick", gegen den er sich juristisch "zur Wehr setzen" werde.

Dies kommentierte Nierenköther gegenüber ChannelPartner so: "So etwas habe ich in 20 Jahren Tarifgestaltung noch nicht erlebt. Es gibt eine rechtswirksame schriftliche Vereinbarung mit der IG Metall, doch Herr Müller hält sich nicht daran. Das ist ein klarer Rechtsbruch."

Den erheblich weiter gehenden hausinternen Vorwurf, seine Gruppe arbeite nicht profitabel, wies Müller in dem Gespräch mit ChannelPartner als "Blödsinn" zurück. "Wer so über ein profitables Unternehmen spricht, will ihm gezielt schaden", sagte Müller, weshalb er die Gewerkschaft nun auch wegen "Rufschädigung" verklagen werde.

Was er aber nicht abstritt, ist die Bemerkung: "Das Geld ist alle"”, die Gosch - der übrigens nicht zur 4-tec wechseln wird - in der Betriebsversammlung gemacht hat: Als eine "hochemotionale Angelegenheit” wertete Müller diese Versammlung - weshalb auch Gosch habe emotional sein dürfen.

"Die Leute sind in heller Verzweiflung"

Die Vorgänge um 4-tec selbst will Müller so verstanden wissen: "560 Mitarbeiter werden in die Gewinnzone gebracht." Er werde für seinen Plan kämpfen und diese Woche "mit jedem Mitarbeiter einzeln reden". Dabei werde er sich zunutze machen, dass 200 der 560 Mitarbeiter auf seiner Seite seien - und "die anderen 360 haben nicht widersprochen" (Müller).

Mit dieser Sichtweise dürfte er ziemlich allein sein. Nach ChannelPartner vorliegenden Informationen sind die Mitarbeiter keineswegs gewillt, Müller zu folgen. Im Gegenteil: "Die Stimmung ist bodenlos", erklärte ein Mitarbeiter gegenüber ChannelPartner. Man versuche zwar, das gegenüber Kunden zu verbergen, doch hausintern brodele es "mächtig". "Die Leute sind in heller Verzweiflung. Es geht um ihre Existenz."

Das sieht Müller anders. "Wir agieren in einem Markt, in dem es um geringe Prozentpunkte geht. Hier werden gerade die Spielregeln neu aufgestellt." Und da er die "Erfolgsgeschichte von Sinitec weiterführen" wolle, müsse er die Mitarbeiter und ihr Tun "neu bewerten". Im Übrigen betonte er gegenüber ChannelPartner, er sei "nicht auf Krawall aus".

Was Müller nicht sagt: Nach dem gekündigten Sanierungstarifvertrag gilt nunmehr wieder der geltende Flächentarifvertrag für die itec GmbH. Das heißt, dass die Mitarbeiter wieder Urlaubs-, Weihnachtsgeld und Überstunden bezahlt bekommen müssen und dass Müller die gestundeten Beträge rückzahlen muss. Dafür müsste er Rücklagen gebildet haben - was Mitarbeiter bezweifeln. Als einziger Ausweg bleibt Müller, den Übergang in die 4-tec durchzusetzen.

Ob angesichts dieser Entwicklung Müller noch Zeit findet, sich um die nächste Baustelle in seinem Unternehmen zu kümmern, steht dahin. Die Baustelle heißt abgekürzt EDS GFS GmbH. Hierbei handelt es sich um die 3.000 Mitarbeiter zählende Servicemannschaft, die der IT-Dienstleister EDS im November 2006 an A&O verkauft und à la Sinitec komplett entsorgt hat.

Doch das ist eine andere, noch zu erzählende Geschichte.

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