UPDATE: Siemens-Schmiergeldprozess endet mit Bewährungsstrafen

20.04.2010
(Neu: Bewährungsauflagen, Aussagen Kutschenreuter)

(Neu: Bewährungsauflagen, Aussagen Kutschenreuter)

Von Matthias Karpstein

DOW JONES NEWSWIRES

MÜNCHEN (Dow Jones)--Im Siemens-Schmiergeldprozess sind vom Münchner Landgericht am Dienstag die angekündigten Bewährungsstrafen verhängt worden. Michael Kutschenreuter, ehemals Vorstand des Telekommunikationsbereichs (COM), wurden zwei Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von 60.000 EUR auferlegt. Zudem muss er als Bewährungsauflage an fünf soziale Einrichtungen insgesamt 100.000 EUR zahlen.

Kutschenreuters früherer Buchhalter erhielt 18 Monate Bewährungsstrafe ohne zusätzliche Geldstrafe. Er muss an vier soziale Einrichtung insgesamt 40.000 EUR als Bewährungsauflage zahlen. Der frühere COM-Vorstand und sein Buchhalter hatten zum Prozessauftakt vor einer Woche Geständnisse abgelegt und vor Prozessbeginn mit Gericht und Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Deal ausgehandelt, wie Richter Joachim Eckert zum Prozessauftakt erklärt hatte.

Der Verteidiger des Buchhalters konnte nicht nachvollziehen, weshalb sein Mandat vor Gericht angeklagt wurde. "Es stellt sich der Eindruck ein, man hängt nur die Kleinen und die Großen lässt man laufen", sagte der Verteidiger am letzten Prozesstag. Die Schuld des Einzelnen werde hier "mit dem Würfel festgesetzt".

Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb Thomas Ganswindt, dem früheren Vorgesetzten der Angeklagten, von der Staatsanwaltschaft das Angebot gemacht worden sei, das Verfahren gegen eine Geldbuße einzustellen. "Dieses Angebot zu machen ist schamlos", sagte der Verteidiger. Allerdings habe Ganswindt seine Chancen wohl falsch eingeschätzt und werde nun doch angeklagt, fügte der Verteidiger hinzu.

Kutschenreuter und dessen ehemaliger Leiter des Rechnungswesens hatten zum Prozessauftakt den Vorwurf der Untreue eingeräumt. Den Vorwurf der Beihilfe zur Bestechung zog das Gericht aufgrund der Schuldeingeständnisse zurück. Kutschenreuter hatte in seinen Vernehmungen auch die Arbeit der Staatsanwaltschaft unterstützt und wertvolle Hinweise für die weiteren Untersuchungen geliefert, wie Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl in der vergangenen Woche vor Gericht aussagte.

Kutschenreuter gestand zum Prozessauftakt ein, schwarze Kassen und Schmiergeldzahlungen seiner Mitarbeiter nicht verhindert zu haben. "Ich übernehme die volle Verantwortung", hatte der frühere Bereichsvorstand erklärt. Allerdings habe er dabei im Sinne des Unternehmens handeln wollen. Ihm sei es um Arbeitsplätze im In- und Ausland gegangen. Der ehemalige Leiter des Rechnungswesens betonte zum Prozessende ebenfalls, er habe aus "treuer, aber falsch verstandener Pflichterfüllung" gegenüber Siemens gehandelt.

"Die Anonymisierung der diskreten Zahlungen hielt er wegen der Vorteile für Siemens für vertretbar", hatte Kutschenreuters Verteidiger zum Prozessauftakt gesagt. Die Ermittlungen hätten auch ergeben, dass die erwarteten Vorteile beim Unternehmen eingetreten sind. Kutschenreuter will seine Erfahrung aus dem Schmiergeldskandal nun zu Geld machen und als Compliance-Berater für Unternehmen tätig werden, wie er nach Prozessende zu Journalisten sagte. "Schließlich kenne ich das Problem aus der Praxis und nicht nur aus der Theorie", erklärte Kutschenreuter.

Der ehemalige Bereichsvorstand Kutschenreuter lebt und arbeitet heute in Dubai. Er ist der bislang ranghöchste Siemens-Manager, der sich in der Korruptionsaffäre vor Gericht verantworten musste. Allerdings hat die Münchner Staatsanwaltschaft bereits gegen den früheren Konzernvorstand Thomas Ganswindt Anklage erhoben. Sowohl Kutschenreuter als auch der mitangeklagte Buchhalter haben sich nach eigener Aussage zivilrechtlich bereits mit Siemens geeinigt. Zum Prozessende lag Kutschenreuter auch die schriftliche Einigung mit seinem früheren Arbeitgeber vor. Zum Inhalt machte er vor Gericht keine Angaben und verwies auf eine Vertraulichkeitsklausel.

Am Rande des Prozesses erläuterte er Journalisten, mit der zivilrechtlichen Einigung habe er seinen Streit mit Siemens um die gegen ihn ausgesprochenen Kündigungen beigelegt. Kutschenreuter hatte zivilrechtlich mehrfach Klagen gegen die Kündigungen gewonnen, wie er ausführte. Kutschenreuters Buchhalter konnte dank seiner Mitarbeit an der Aufklärung der Schmiergeldaffäre eine Amnestievereinbarung mit dem Münchner DAX-Konzern erreichen.

Siemens selbst beziffert die fragwürdigen Zahlungen auf rund 1,3 Mrd EUR und hat damit für einen der größten Schmiergeldskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte gesorgt. Die Kosten für Strafen, Berater, Steuernachzahlungen und Aufklärung sieht Siemens bei mehr als 2 Mrd EUR. Mit den meisten hochrangigen Managern hat sich Siemens bereits auf Schadenersatzzahlungen geeinigt. So stimmte der frühere Vorstandsvorsitzende und spätere Vorsitzende des Aufsichtsrats, Heinrich von Pierer, nach einer langwierigen Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Konzern einer Zahlung von 5 Mio EUR zu. Sein Nachfolger Klaus Kleinfeld wird 2 Mio EUR Schadenersatz zahlen.

Der frühere Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger war allerdings ebenso wie der ehemalige Vorstand Thomas Ganswindt nicht zum Vergleich mit Siemens bereit. Der Münchner DAX-Konzern hatte daraufhin Ende Januar beim Münchner Landgericht Klage eingereicht. Von Neubürger fordert das Unternehmen 15 Mio EUR und von dem damals für den Telekommunikationsbereich zuständigen Ganswindt 5 Mio EUR.

Webseite: www.siemens.com -Von Matthias Karpstein, Dow Jones Newswires, +49 (0)89 5521 4030, matthias.karpstein@dowjones.com DJG/mak/smh/jhe/has/cbr Besuchen Sie auch unsere Webseite http://www.dowjones.de

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