UPDATE3: Siemens treibt SEN-Verkauf mit Restrukturierung voran

26.02.2008
(NEU: Aussagen Finanzvorstand Kaeser)

(NEU: Aussagen Finanzvorstand Kaeser)

Von Alexander Becker

DOW JONES NEWSWIRES

MÜNCHEN (Dow Jones)--Die Siemens AG hat für ihre Tochter Siemens Enterprise Networks (SEN) ein umfassendes Restrukturierungsprogramm angekündigt. Mit rund 6.800 Mitarbeitern weniger soll nun nach über einjähriger Suche ein neuer Partner für das derzeit schwierige Geschäft mit Kommunikationsanlagen für Unternehmen gefunden werden. Bei der geplanten Trennung von SEN soll laut Siemens die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit oberste Priorität haben.

So werde entweder eine strategische Allianz oder eine Partnerschaft mit einem Finanzinvestor angestrebt, um SEN zu einer "soliden" Nummer zwei in ihrem Geschäftsfeld aufzubauen, sagte Finanzvorstand Joe Kaeser am Dienstag während einer Pressekonferenz zu den anstehenden Restrukturierungsmaßnahmen.

Bei der Auswahl der Interessenten habe dabei der Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle Priorität, so Kaeser. Siemens nehme die Restrukturierung selbst in die Hand und unterstreiche damit die Verantwortung für die betroffenen Mitarbeiter. "Es wird kein zweites BenQ" geben", so Kaeser mit Blick auf das ehemalige Mobiltelefongeschäft von Siemens.

Siemens hatte dieses an die taiwanesische BenQ verkauft. Nach nur wenigen Monaten unter dem neuen Eigentümer musste das Mobiltelefongeschäft in Deutschland im Herbst 2006 Insolvenz anmelden. Siemens will SEN daher "schuldenfrei und ausfinanziert" an einen Partner abgeben. Siemens strebe dabei auf jeden Fall an, sich "auf absehbare Zeit" von SEN trennen. Für eine Übergangszeit könne Siemens auch die Neuaufstellung bei SEN weiter begleiten. Dieses könne zunächst über eine Joint-Venture-Struktur oder eine Siemens-Beteiligung erreicht werden.

Früher am Berichtstag hatte Siemens eine umfangreiche Restrukturierung von SEN angekündigt. 3.800 Stellen sollen insgesamt weltweit gestrichen werden, weitere 3.000 ausgelagert werden. Bis zu 2.000 der geplanten Stellenstreichungen entfallen dabei auf deutsche Standorte. Dies soll in Deutschland "in erster Linie das Stammhaus von SEN sowie weitere Verwaltungs- und Supportfunktionen betreffen".

1.200 Stellenstreichungen seien bereits identifiziert, weitere 800 könnten noch hinzu kommen. Von den 3.000 Stellen, die "durch geplante Verkäufe oder Lösungen mit Dritten" verlagert werden sollen, befinden sich etwa 1.200 in Deutschland. Insgesamt hat SEN derzeit weltweit noch rund 17.500 Mitarbeiter.

"Wir werden den beschleunigten Umbau von SEN und den damit verbundenen Sanierungskurs unter der Kontrolle von Siemens beginnen und damit auch sicherstellen, dass die mit der Sanierung einhergehenden Personalmaßnahmen so sozialverträglich wie möglich gestaltet werden", so Kaeser.

Siemens sucht seit über einem Jahr einen Käufer für SEN. In der vergangenen Woche hatte Dow Jones Newswires aus Kreisen erfahren, dass Siemens die Tochter zunächst umfassend restrukturieren müsse, um einen Käufer für die Tochter zu finden und entsprechend kurzfristig mit der Ankündigung von harten Einschnitten zu rechnen sei.

SEN kämpft derzeit wie die gesamte Industrie mit einem fundamentalen Wandel im Geschäft mit Kommunikationsanlagen für Unternehmen. So verlagert sich die Technik weg von Hardware-basierten Systemen hin zu Software-Lösungen. Entsprechend werden etwa in der Fertigung weniger Mitarbeiter gebraucht, auf der anderen Seite verstärkt Software- und IT-Spezialisten von den Anbietern im Markt benötigt. Siemens hatte im vergangenen Sommer bereits den Abbau von rund 600 Stellen bei SEN angekündigt.

Siemens will SEN früheren Angaben zufolge bis Mitte des Jahres verkaufen. Dabei steht Siemens nach Einschätzung von einer mit der Situation vertrauten Person unter Zeitdruck. So führt Siemens SEN seit Juli 2007 als nicht fortzuführendes Geschäft in der Bilanz. Laut Bilanzierungsrichtlinien müsste das Unternehmen SEN aber nach einem Jahr wieder in die Bilanz nehmen, wenn kein Verkauf vereinbart werden konnte. Entsprechend strebt Siemens auch einen Verkauf bis Mitte des Kalenderjahres 2008 - also Juni 2008 - an.

"Wir lassen uns von der Bilanzierung aber nicht treiben", so Kaeser. Vorrang habe die Tragfähigkeit des künftigen SEN-Geschäftsmodells. Es gebe aber derzeit auch keinen Grund, von dem ursprünglichen Zeitplan abzuweichen. Letztlich hänge es vom Verlauf der Verhandlungen mit allen Parteien ab. Mit der Situation vertraute Personen hatten Dow Jones Newswires in der vergangenen Woche gesagt, dass der Siemens-Aufsichtsrat voraussichtlich auf seiner regulären Sitzung Ende April über die Trennung von Siemens entscheiden werde.

Siemens befindet sich derzeit nach eigenen Angaben in Verhandlungen mit mehreren Interessenten für SEN. Im engeren Kreis der Kandidaten sollen sich dabei drei Interessenten befinden, so eine mit dem Vorgang vertraute Person. Dazu gehören der hatte in SEN-Wettbewerber Alcatel-Lucent, Nortel Networks und der Finanzinvestor Cerberus. Kaeser wollte diese "Spekulationen" auf Nachfrage nicht kommentieren.

Derzeit ist SEN den Angaben zufolge mit einem Marktanteil von 4% hinter Cisco (Marktanteil 18%), IBM (6%) und Avaya (5%) die Nummer vier am Markt. Alcatel-Lucent und Nortel Networks haben den Siemens-Angaben zufolge einen Marktanteil von 1% bzw 3%.

Gegenüber den Wettbewerbern habe SEN derzeit noch eine "Produktivitätslücke", so Kaeser. Im abgelaufenen Geschäftsjahr hier bei einem Umsatz von rund 3,2 Mrd EUR ein operativer Verlust von 602 Mio EUR angefallen. Entsprechend müsse die Kostenposition hier nachhaltig und strukturell verbessert werden, so Kaeser. Dazu gehören der Abbau von Arbeitsplätzen und der Verkauf oder die Einbringung von Unternehmensteilen "in Lösungen mit Dritten".

Siemens wolle in Deutschland die Verhandlungen über einen Interessenausgleich mit der Arbeitnehmerseite unverzüglich beginnen und hoffe auf einen möglichst schnellen Abschluss, um den Mitarbeitern größtmögliche Sicherheit über ihre Zukunft zu geben, so der Arbeitsdirektor von Siemens, Siegfried Russwurm.

IG Metall und Gesamtbetriebsrat erklärten in einer Mitteilung der Gewerkschaft ihre Bereitschaft, über Lösungen "mit echten Perspektiven für die Beschäftigten" zu verhandeln. Durch eine seit 2005 geltende tarifliche Sondervereinbarung seien für diesen Siemens-Bereich betriebsbedingte Kündigungen bis zum 30. September 2009 ausgeschlossen.

IG Metall und Gesamtbetriebsrat von erwarten von jedem möglichen Investor "eine tragfähige Strategie und ein Gesamtkonzept, das mit ausreichender Finanzkraft ein Optimum an Perspektive zu tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen mit mehrjährige Arbeitsplatzgarantien bietet".

Siemens rechnet in Folge der umfassenden Restrukturierung bei mit Kosten im niedrigen dreistelligen Mio-EUR-Bereich. Die Restrukturierungskosten würden dann im Konzern verbucht, wenn es in den Verhandlungen über die Zukunft von SEN "zu unabänderlichen Ergebnissen" gekommen sei. Entsprechend hänge der Zeitpunkt der Bilanzierung vom Ergebnis der derzeit laufenden Verhandlungen ab.

Die Siemens-Aktie notierte am Dienstagnachmittag in einem festeren Gesamtmarkt 1,9% im Plus bei 90,37 EUR

Webseite: http://www.siemens.com - Von Alexander Becker, Dow Jones Newswires, +49 (0)89 5521 40 30 industry.de@dowjones.com (Archibald Preuschat in Frankfurt hat zu diesem Artikel beigetragen) DJG/abe/cbr

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