UPDATE4: Siemens verunsichert Investoren mit Gewinnwarnung

17.03.2008
(NEU: Aktienkursverlauf, Aussagen Aufsichtsrat) Von Alexander Becker DOW JONES NEWSWIRES

(NEU: Aktienkursverlauf, Aussagen Aufsichtsrat) Von Alexander Becker DOW JONES NEWSWIRES

MÜNCHEN (Dow Jones)--Die Siemens AG hat wegen Problemen bei der Umsetzung von Großprojekten eine Gewinnwarnung für das laufende Geschäftsjahr ausgegeben und damit den Finanzmarkt geschockt. Konkrete Aussagen über die Ergebnisentwicklung im laufenden und kommenden Geschäftsjahr wollte das Siemens-Management nicht machen.

Analysten sprechen von einer "negativen Überraschung" und sehen teilweise einen Vertrauensverlust für das neue Management. Verunsicherte Investoren flohen in Massen aus der Siemens-Aktie.

Das Siemens-Papier baute nach einem sehr schwachen Start ihre Verluste weiter aus und notierte 17,6% im Minus bei 65,99 EUR und drückte als zweitgrößter Indexwert auch den DAX kräftig ins Minus.

Zuvor hatte das Papier bei 64,89 EUR und damit bei einem einem Minus von 19% ein Tagestief markiert. Der Kurseinbruch gehört zu den kräftigsten Rückgängen, die das Siemens-Papier an einem Tag in den vergangenen 20 Jahren verzeichnen musste.

Siemens hatte in der Nacht ihre Jahresprognose in Folge einer Neubewertung von Großprojekten korrigiert. Probleme bei den Turnkey-Projekte vor allem in den Geschäftsbereichen Power Generation (PG) und Transportation Systems (TS) hatten die Margen in den vergangenen Quartalen wiederholt deutlich belastet. Daraufhin hatte das Siemens-Management ein umfassende Überprüfung der Projekte in die Wege geleitet.

"Die bisherigen Ergebnisse lassen einen materiellen Einfluss auf die Ertragsentwicklung des laufenden Geschäftsjahres erkennen", hieß es nun von Siemens. Im laufenden zweiten Quartal sei aus der Überprüfung eine Belastung von rund 900 Mio EUR zu erwarten, so Siemens. 700 Mio EUR davon sollen noch 2007/08 Cash-wirksam werden.

Die Analysten von Dexia sehen die Gefahr, dass auch in den Jahren 2008 und 2009 weitere Gewinneinbußen auf Siemens zukommen werden. Obwohl der Ausblick für 2010 nach der aktuellen Gewinnwarnung bestätigt worden sei, blieben Zweifel über die kurz- und mittelfristige Profitabilität der Energieerzeugungs- und Transportsystemesparte. Dexia empfiehlt die Siemens-Aktie als "Buy" mit einem Kursziel von 117 EUR.

Die Analysten der LBBW sehen in der Höhe der Ergebnisbelastung ebenso eine negative Überraschung wie die Möglichkeit weiterer Belastungen. "Hier knüpft Siemens wieder an die negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit an, als die wesentliche Frage im Vorfeld der Vorlage von Quartalszahlen lediglich darin bestand, wie hoch die Abschreibungen diesmal ausfallen dürften", so die LBBW-Analysten.

Sie sehen den größten Schaden, der mit dieser Meldung verursacht wurde, darin, dass auch das neue Management "nun mit einem Glaubwürdigkeitsproblem zu kämpfen haben" dürfte. LBBW hat Siemens mit "Halten" und einem Kursziel 83 EUR eingestuft.

Mit den 900 Mio EUR werde der "allergrößte Teil" der erwarteten Belastungen aus der Überprüfung abgedeckt sein, sagte Finanzvorstand Joe Kaeser in einer Telefonkonferenz. Ob es in den kommenden Quartalen weitere Belastungen gebe werde, sei vor Abschluss der Projektprüfungen zu früh zu sagen. Die Prüfung soll in den kommenden Monaten abgeschlossen werden. Kaeser könne auch nicht ausschließen, dass es im kommenden Geschäftsjahr zu weiteren Projekt-Bezogenen Belastungen kommen könnte.

Wie sich das Ergebnis des Unternehmens nun im laufenden Geschäftsjahr entwickeln wird, ließ das Siemens-Management zunächst offen. Ihre neue Prognose für das laufende Geschäftsjahr 2007/08 will Siemens mit der Veröffentlichung der Zweitquartalszahlen im April nennen. Zur Prognose für das kommende Geschäftsjahr 2008/09 will sich das Unternehmen dann im Juli mit der Veröffentlichung der Drittquartalszahlen äußern.

Vorstandsvorsitzender Peter Löscher wollte die für das kommende Jahr im vergangenen Herbst gegebene Prognose auch auf Nachfrage nicht bestätigen. Siemens hatte ursprünglich sowohl für das Geschäftsjahr 2007/08 als auch das darauf folgende Jahr als Prognose ausgegeben, das Ergebnis der Bereiche doppelt so stark wie den Umsatz steigern zu wollen. Der Umsatz sollte dabei doppelt so stark wie das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) wachsen.

Das Ergebnis der Bereiche ist bei Siemens eine der zentralen Kennziffern für Analysten und Investoren, um die operative Entwicklung des Konzerns zu bewerten. Als Basis für die Prognose hatte Siemens im jüngsten Geschäftsbericht die Prognosen von Global Insight genannt. Demnach soll das weltweite BIP 2008 um 3,4% und 2009 um 3,6% wachsen. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2006/07 hatte Siemens bei einem Umsatz von 72,5 Mrd EUR ein Ergebnis der Bereiche von 6,6 Mrd EUR erwirtschaftet.

Löscher bestätigte nun lediglich die Ziele, die sich das Unternehmen auf Konzern- wie auch auf Sektor- und Divisions-Ebene für das Jahr 2010 gesetzt hat. "Nach vorne sind die Weichen für profitables Wachstum gestellt. Die Ziele für 2010 werden bestätigt", so Siemens. Für 2009 sei "eine klare Entwicklung in Richtung der Ziele 2010" zu erwarten, hieß es lediglich.

Auf Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat löste die Gewinnwarnung Sorge um Arbeitsplätze aus. Gesamtbetriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied Ralf Heckmann sagte der "Süddeutschen Zeitung" (SZ - Dienstagsausgabe), man habe die große Sorge, dass dies Arbeitsplätze kosten werde und die Beschäftigten für "Managementfehler" büßen müssten.

Aus dem Aufsichtsrat wird dem nach Angaben der SZ widersprochen. Es sei kein zusätzlicher Stellenabbau zu erwarten. Konzernchef Peter Löscher habe volle Rückdeckung für seinen Kurs, alle Risiken offenzulegen. Aus dem Aufsichtsrat und dessen Umfeld hieß es nach SZ-Angaben, Löschers Kurs, reinen Tisch zu machen, sei auch im Sinne von Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme.

Es sei besser, die Aktionäre und die Öffentlichkeit jetzt zu informieren, als bis zum Ende des Geschäftsjahres im Herbst zu warten und dann eine böse Überraschung zu präsentieren. Ein "einmaliger Schock" sei auch besser, als nach und nach schlechte Nachrichten zu veröffentlichen.

Die generellen Wachstumstrends in den von den Überprüfungen der Projekte in den vor allem betroffenen Sektoren Energy und Industry intakt, versicherten die zuständigen Siemens-Vorstände in einer Telefonkonferenz am Montagmorgen. Im Geschäft mit Energieinfrastruktur gebe einen unverändert einen "stabilen Zyklus" mit einer anhaltend starken Nachfrage. So liege der Sektor Energy bei Auftragseingang und Umsatz voll im Plan, sagte der Sektor-CEO Wolfgang Dehen. Auch die Profitabilität habe in fünf von sechs Divisionen einen positiven Trend.

Von den Belastungen von 900 Mio EUR entfallen etwa 600 Mio EUR an Projektrisiken auf die Division Fossil Power Generation. Hier habe Siemens mit der Umsetzung von Projekten zu kämpfen, die teilweise noch aus dem Jahr 2004 stammen. Dabei habe Siemens keine technischen Probleme mit den eigenen Produkten, sondern in der Vergangenheit "Kapazitätsgrenzen" überschritten, die nun zu Problemen bei der Umsetzung der im Auftragsbestand befindlichen Projekte führen.

Bei Turnkey-Projekten tritt Siemens als Generalunternehmer auf, um beim Kunden zum Beispiel schlüsselfertige Kraftwerke abzuliefern. Bislang seien bei Energy 80% der Großprojekte überprüft, der Rest soll bis Ende März folgen, hieß es nun.

Erst im zurückliegenden Quartal hatte Siemens für das Geschäft mit konventionellen Kraftwerken bei rückläufigem Umsatz einen erheblichen Verlust ausgewiesen - hauptsächlich eine Folge von mehr als 200 Mio EUR Sonderbelastungen bei "einer Reihe von Großprojekten". Entsprechend lag die Bereichs-Marge mit 4,5% deutlich unter dem bis dato gültigen Zielkorridors von 10% bis 14%.

Sektor-CEO Dehen stellte für die Zukunft eine Verbesserung der Profitabilität in Aussicht. So sollen sich die Margen nach dem zweiten Quartal kontinuierlich verbessern. Im entscheidenden Geschäftsjahr 2009/10 werde der Energy-Sektor "gut" im Zielmargenkorridor liegen.

Dehen bekräftigte frühere Aussagen, nach denen das Unternehmen den Anteil von Turnkey-Geschäften zu Gunsten eines stärkeren Service- und Komponentengeschäfts zurückfahren will. Komponenten, Service und Turnkey sollen künftig jeweils ein Drittel des Geschäfts ausmachen.

Industry-CEO Henrich Hiesinger verwies darauf, dass in seinem Sektor die grundsätzlichen Wachstumsperspektiven nach wie gut seien. Probleme gebe es aber im Bahnsystem-Geschäft des Bereichs Mobility, das derzeit noch als Bereich Transportation Systems (TS) firmiert.

Hier haben sich den Angaben zufolge neuen Belastungen vor allem aus Verzögerungen bei der Vergabe von Großprojekten sowie der Abarbeitung "des Sanierungsthemas" Combino ergeben. Vor allem die Probleme mit der Straßenbahn Combino hatten TS in den vergangenen Quartalen wiederholt das Bereichs-Ergebnis verhagelt. Auf TS entfallen insgesamt Projektrisiken von rund 200 Mio EUR. Ebenfalls belastend wirkten sich Verzögerungen beim Transrapid-Projekt in China aus.

Bei Siemens IT Solutions and Services (SIS), die bei Siemens als Querschnittsfunktion geführt wird, ergeben sich den Angaben zufolge Belastungen aus "neu eingetretenen Projekt-Risiken in Großbritannien, unter anderen aus der Stornierung eines Großauftrags durch den Kunden". Das britische Arbeitsministerium (Department of Work and Pensions) hatte Anfang März einen Auftrag mit SIS mit einem Volumen von 85 Mio EUR vorzeitig storniert.

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