Von der Bundespost zur All-IP-Welt

Vor zehn Jahren: Das TK-Monopol ist Geschichte

18.12.2007
Der 1. Januar 1998 war der viel zitierte Tag X für den deutschen TK-Markt: Die Deutsche Telekom verlor endgültig ihr Telefoniemonopol. Von diesem Termin bis zum heutigen Aufbruch in die All-IP-Welt vergingen zehn abwechslungsreiche Jahre.

Ebay und Google sind Milliarden wert, wir surfen mit 16 Mbit/s und mehr, die Sprach-Flatrate wird langsam Allgemeingut und die All-IP-Welt scheint die klassischen Telcos zu überrollen. Vor zehn Jahren, am Vorabend der Liberalisierung des deutschen TK-Marktes, hätte wohl niemand diese Entwicklung vorausgesehen. Im durch Deutsche Bundespost und Fernmeldetechnisches Zentralamt (FTZ) geprägten TK-Deutschland waren die Kunden – damals noch in der Rolle des Bittstellers – schon froh, wenn sie ein mit dem amtlichen Posthorn abgesegnetes Telefon selbst an der Telefondose einstecken durften oder ein längeres Telefonkabel gegen Monatsgebühr mieten konnten. Schließlich war die Telekommunikation Hoheitsgebiet des Bundes.

Mit markigen Sprüchen riefen die Telekom-Konkurrenten zum Kreuzzug gegen den Monopolisten auf (Bild aus Computerwoche Spezial 1997).
Mit markigen Sprüchen riefen die Telekom-Konkurrenten zum Kreuzzug gegen den Monopolisten auf (Bild aus Computerwoche Spezial 1997).

Dass diese Zeiten vorbei sind, haben die Deutschen neben der EU – sie forderte 1995 die Liberalisierung der TK-Märkte zum Jahresbeginn 1998 – vor allem zwei Männern zu verdanken: dem damaligen und letzten Bundespostminister Wolfgang Bötsch (CSU) sowie Klaus-Dieter Scheurle, dem ersten Präsidenten der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post – kurz RegTP (heute: Bundesnetzagentur). Unter der Amtsführung von Bötsch wurden im Bundestag mühsam die Postreform II (1994) und III (1996) gegen den heftigen Widerstand der Opposition durchgeboxt. Die Postreform II brachte unter anderem aus der Bundespost die Deutsche Telekom hervor, die mit ihrem Börsengang am 18.11.1996, dem T-Day, aus den Deutschen ein Volk von Kleinaktionären machte. Die eigentliche Marktliberalisierung regelte dann die Postreform III, die gleichzeitig eine Abschaffung des Bundespostministeriums vorsah. Im Bereich Telekommunikation sollte ab 1.1.1998 die neu gegründete RegTP für die technische Regulierung des Marktes zuständig sein.

Die Zeit der leeren Versprechungen

Als am 1. Januar 1998 die Monopolschranken endlich fielen, spürten viele Anwender – sowohl private als auch professionelle – zunächst wenig von der neuen Freiheit. So hatten größere Unternehmen bereits vor der Liberalisierung im Zuge der Corporate-Network-Regelung die Möglichkeit zur eigenen, kostengünstigeren Sprachvermittlung gehabt. Und auf dem Gebiet der professionellen Datenkommunikation fällte die Anwendervereinigung Telecom e.V. damals das vernichtende Urteil, dass keiner der alternativen Carrier in der Lage sei, Firmenkunden ein Full-Service-Angebot anzubieten. Zahlreiche Anbieter hatten die Zeichen der Zeit schlicht verschlafen, obwohl zuvor noch Stefan Schwarz, Geschäftsführer des Verbandes für Telekommunikation und Mehrwertdienste (VTM) – der VTM schloss sich zum 1.1.1998 mit dem Verband der Anbieter von Telekommunikationsdiensten (VAT) zum VATM zusammen –, in einem Interview mit der COMPUTERWOCHE versprochen hatte, "dass wir aktiv TK-Dienstleistungen vermarkten, statt nach Reichspostmanier Anschlüsse zuzuteilen".

Startschwierigkeiten

Aber auch wechselwillige Privatkunden hatten in der Anfangsphase der Regulierung wenig zu lachen, obwohl die Tarife für ein nationales Ferngespräch im Jahresverlauf um 75 Prozent sanken: Nur allzu oft hörten sie bei den neuen Telefongesellschaften wie Mobilcom und Co. das Besetztzeichen. Was eigentlich niemand verwundern sollte, feixte doch Mobilcom-Chef Gerhard Schmid öffentlich: "Nur Verrückte investieren in Netze und verbuddeln damit ihr Geld unter der Erde."

Ein Ausspruch, der symptomatisch für die ersten Liberalisierungsjahre war: Statt in neue Technologien oder in eigene Netze zu investieren, rüsteten viele neue Telefongesellschaften lieber ihre Rechtsabteilungen auf. Diese stritten sich mit der Telekom dann vor Gericht oder bei der RegTP darüber, wie hoch die Interconnection-Gebühren sein dürften, also der Preis, den die Telekom für die Zusammenschaltung ihres Netzes mit dem eines Konkurrenten verlangen darf. Entsprechend beklagten die Chefstrategen der Telekom - ihr Boss Ron Sommer war derweil in Sachen Global Player unterwegs -, dass "alles einseitig zu Lasten der Deutschen Telekom geht".

Für die Endkunden beschränkte sich die Wahlfreiheit anfangs auf zwei Produktarten: Per Preselection konnten sie Ferngespräche fest voreingestellt über eine der neuen Telefongesellschaften führen – der eigentliche Telefonschluss blieb bei der Telekom. Wer mehr Freiheit wollte, entschied sich für Call-by-Call und wählte von Anruf zu Anruf den günstigsten Anbieter. In dieser Zeit hatte das Least Cost Routing – ein Verfahren zur automatischen Wahl des günstigsten Anbieters – Hochkonjunktur. Unternehmen pflegten entsprechende Listen in ihre TK-Anlagen ein und Privatleute kauften Vorschaltkästchen für ihre Telefone, die diese Aufgabe übernahmen. Nach einem Jahr Wettbewerb hatte die Telekom immer noch 80 Prozent der Kunden.

Erfolgsmodell City-Carrier

Neue Impulse gaben dem Markt in dieser Zeit lediglich die City-Carrier. Diese teils europaweit agierenden Privatunternehmen oder aus Stadtwerken hervorgegangenen Telefongesellschaften gingen das Risiko ein, zumindest Business-Kunden in den deutschen Wirtschaftsregionen mit eigenen Anschlüssen bis zum Gebäude zu erschließen. Ansonsten blieb die letzte Meile zum Kunden fest in der Hand der Deutschen Telekom. Als kurzfristiges Strohfeuer entpuppte sich die Hoffnung, dieses Monopol mit den Ende 1998 vergebenen Funkfrequenzen für den Wireless Local Loop zu durchbrechen. Das Gros der Unternehmen, das in diese Technik investierte, war innerhalb von drei Jahren pleite.

Verbissen verteidigte die Telekom in den ersten Jahren des Wettbewerbs ihre Vormachtstellung auf der letzten Meile zum Kunden. (Bild aus Computerwoche Spezial 1998)
Verbissen verteidigte die Telekom in den ersten Jahren des Wettbewerbs ihre Vormachtstellung auf der letzten Meile zum Kunden. (Bild aus Computerwoche Spezial 1998)

Letztlich waren die ersten Jahre des Wettbewerbs, so ein Branchenkenner, von einer Prämisse geprägt: Der Preis für die Sprachtelefonie sollte reguliert werden und möglichst schnell sinken, um den Erfolg der Marktliberalisierung zu belegen. Gleichzeitig sollte aber die Telekom nicht zu stark durch den Wettbewerb beschädigt werden, denn der Staat war schließlich größter Aktionär des Unternehmens. Weshalb die neuen Konkurrenten häufig und lautstark forderten, der Telekom die Folterwerkzeuge der Regulierung viel häufiger zu zeigen und anzuwenden.

IP und DSL läuten Revolution ein

Während dieser ersten Phase, die etwa bis 2003/2004 dauerte, gab es jedoch auch drei Entwicklungen, die die TK-Welt langfristig in ihren Grundfesten erschüttern sollten:

  • Mit der Konvergenz von Daten- und TK-Netzen zu All-IP-Netzen mit Voice over IP sank die Bedeutung der Interconnection. Zudem verloren mit der IP-Telefonie die beliebten Preselect- und Call-by-call-Verfahren an Bedeutung.

  • Daran, dass das Internet Protocol überhaupt seinen Siegeszug antreten konnte, hatte wiederum eine andere Technik ihren Anteil: ADSL. War der Dienst 1998 mit einer monatlichen Grundgebühr von 50 Mark und Zugangstarifen von zehn Pfennig pro Minute noch extrem teuer, entwickelte er sich in der Folge zur Access-Plattform für das Internet mit seinen IP-Services wie IP-Telefonie. Ein weiterer Vorteil der Breitbandtechnik (zu Beginn wurden im Downstream 768 Kbit/s und im Upstream 128 Kbit/s erreicht) war, dass sie nicht die klassische Wählvermittlungstechnik benötigte.

  • Im August 2000 erkauften sich sechs Unternehmen (E-Plus, Group 3G, Mannesmann Mobilfunk (heute Vodafone), Mobilcom, T-Mobile, Viag Interkom (heute O2)) in einer Versteigerung der UMTS-Lizenzen für über 50 Milliarden Euro die vermeintliche Eintrittskarte in die mobile Zukunft. Die Group 3G und Mobilcom zerbrachen an der Schuldenlast und die anderen Beteiligten lähmte der Schuldendienst bei ihren Investitionen. Zudem versuchten die Mobilfunker zahlreiche Festnetz-User als reine Mobilfunkkunden zu gewinnen, um so mehr Umsatz zu generieren. Allerdings sollte es fast vier Jahre dauern, bis die ersten UMTS-Handys in den Regalen lagen.

Erfolgsstory: Innerhalb von zehn Jahren entwickelte sich der liberalisierte TK-Markt zu einem über 60 Milliarden Euro schweren Business.
Erfolgsstory: Innerhalb von zehn Jahren entwickelte sich der liberalisierte TK-Markt zu einem über 60 Milliarden Euro schweren Business.
Foto: VATM

Angesichts dieser Entwicklung verlor der Streit um die Regulierung der reinen Telefondienste oder den Komplettanschluss (also die Überlassung der letzten Meile an die Wettbewerber) immer mehr an Bedeutung. Die Telekom-Konkurrenten bevorzugen stattdessen den IP-Bitstream-Zugang auf DSL-Basis. Bei dieser Variante müssen sie nicht mehr für teures Geld den kompletten Teilnehmeranschluss inklusive Telefonie von der Telekom mieten, sondern beziehen nur noch die DSL-Vorleistung. Daraus schnüren sie dann ein Komplettpaket aus DSL und Telefonie (allerdings auf VoIP-Basis) und vermarkten es in eigener Regie. Ein Business-Modell, das deutlich lukrativer ist als das reine Resale von Telekom-Vorleistungen, wie es bis 2006 der Fall war. Hierzulande wurde nämlich die Bitstream-Vorgabe der EU aus dem Jahre 2003 erst mit drei Jahren Verspätung umgesetzt und somit die zweite Liberalisierungsphase eingeläutet.

EU schafft neue Rahmenbedingungen

Ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk zum zehnjährigen Jubiläum der TK-Liberalisierung überreichte EU-Kommissarin Viviane Reding den Deutschen im November 2007 mit der Vorstellung ihrer Pläne zur Neuordnung des EU-TK-Marktes mit umstrittenen Punkten wie Functional separation also die Trennung von Netzbetrieb und Carrier Business oder einer EU-Regulierungsbehörde. Dies könnte, so ist Felix Müller, Regulierungsexperte bei BT Deutschland, überzeugt, ab 2010 die dritte Phase der TK-Liberalisierung einläuten. Dann, so seine Annahme, ist der Wettbewerb nicht mehr von Infrastrukturfragen geprägt. Vielmehr dürfte das Business-Modell der Zukunft so aussehen, dass auf einem Kernnetz, dem Next Generation Network (NGN), der Wettbewerb mit verschiedenen Anwendungen ausgetragen wird. Deshalb begrüßt man bei BT auch die Vorschläge aus Brüssel. Allerdings teilt hierzulande – vom City Carrier Colt einmal abgesehen – fast niemand die Meinung der Briten. Umgekehrt lästern böse Zungen, das Gros der deutschen TK-Player hätte die Herausforderungen der nächsten zehn Jahre TK-Liberalisierung noch nicht erkannt. (hi)

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