Wunsch und Wirklichkeit

Was ist ein "Mobile first" Endgerät?

Mark Zimmermann leitet hauptberuflich das Center of Excellence (CoE mobile) zur mobilen Lösungsentwicklung bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG in Karlsruhe. Er weist mehrere Jahre Erfahrung in den Bereichen Mobile Sicherheit, Mobile Lösungserstellung, Digitalisierung und Wearables auf. Der Autor versteht es, seine Themen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln für unternehmensspezifische Herausforderungen darzustellen. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeiten ist er Autor zahlreicher Artikel in Fachmagazinen.
Nicht alles, was in bunten Werbebotschaften und PowerPoint-Dateien als mobiles Endgerät angepriesen wird, eignet sich auch wirklich als solches. Ein Reality Check.
Nicht jedes tragbare Gerät ist automatisch auch ein "Mobile Device"
Nicht jedes tragbare Gerät ist automatisch auch ein "Mobile Device"
Foto: Oleksiy Mark / shutterstock.com

Was zeichnet ein mobiles Gerät aus? Sieht man einmal von den "Wearables" ab und konzentriert sich auf Endgeräte mit einer gewissen Eigenständigkeit und Rechnerleistung, fallen einige charakteristische Punkte sofort auf:

App/OS-Architektur: Die Art, wie man Apps installiert, Geräte in Gang setzt bzw. mit den Apps "umgeht", trennt die Spreu vom Weizen"

Instant/Always On: Sie schalten das Gerät ein und es läuft. Es gibt das Gerücht, dass Steve Jobs bei der Erschaffung des ersten MacBook Air die Frage an die Ingenieure gestellt hat, warum man einen Mac nicht so schnell aktiv verfügbar haben kann wie ein iOS-Endgerät. Mobile Geräte werden nicht mehr ausgeschaltet, sie sind immer an und immer bereit. Ein mobiles Endgerät ist nicht nur zu jeder Zeit, sondern auch an jedem Ort arbeitsfähig (Erreichbarkeit und Ortsunabhängigkeit). WLAN alleine reicht hier nicht aus, LTE, UMTS oder Ähnliches sind zwingend notwendig. Das Einschalten und die Verbindung zu dem Datennetz der Welt entwickeln sich zu einem Faktor der Bequemlichkeit.

Apps: Für jedes Problem gibt es eine Lösung, sprich App. Diese Apps laufen getrennt voneinander in Sandboxen und werden mit einem "Tippen" installiert bzw. gelöscht. Registry-Einträge, SETUP.EXE und Ähnliches gibt es nicht. Monolithische Programme gehören der Vergangenheit an. Neue Bedienkonzepte und Nutzerinteraktionen bedingen neue UI Konzepte. Die Sicherheit und Verfügbarkeit von Daten und Diensten wird mit Apps auf den mobilen Endgeräten gewährleistet.

Lokalisierbarkeit: Sensorik erlaubt es dem mobilen Endgerät und damit den installierten Apps, auf die Umgebung zu reagieren. Die Informationen lassen die App Rückschlüsse darauf ziehen, wo sich der Anwender befindet (GPS), in welchem Zustand er sich befindet Anwender (Herzfrequenzmessung) und was er macht (Beschleunigungssensor). Geschickt ausgenutzt wäre eine App in der Lage, "Entscheidungen zu treffen". Denkbar wäre etwa: Der Anwender joggt gerade nach Hause, ich erinnere ihn lieber eine halbe Stunde nachdem er dort angekommen ist, den Zählerstand seines Wasserzähler abzulesen und nicht, wenn er sich in einem 500m-Radius vom Haus befindet.

Multi-Touch: Die Maus ist tot, lang lebe die Maus. Die Interaktion mit nur einem Mauszeiger ist out, wird aber trotzdem immer noch für produktives Arbeiten benötigt. Dies ist weniger der reinen Notwendigkeit als der Auslegung bekannter UI-Konzepte geschuldet. Multi-Touch ist jedoch mehr als nur die Vervielfältigung eines einzelnen Interaktionspunktes.

Diese Touch-Eingaben auf mobilen Geräten sind davon geprägt, eine direkte Interaktion zwischen Anwender und Daten zu ermöglichen. Wenn ein Anwender ein Objekt von A nach B bewegt, muss sich dies unter dem Finger exakt zur Fingerposition vollziehen. Die Latenz zwischen Anwender-Interaktion auf dem Bildschirm, Reaktion der App und der Geschwindigkeit, mit der die Pixel dem Bildschirm angepasst werden, ist entscheidend für die Akzeptanz durch den Anwender.

Das Empfinden, dass die digitale Abbildung den Gesten des Anwenders folgt, ist sehr anfällig für eine ruckelnde Darstellung. Verzögerungen wirken sich auf den Anwender sofort befremdlich aus und vernichten die Illusion der direkten Interaktion. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Interaktion mit einem Stift oder mit dem Finger erfolgt.

MDM/MAM-Support: Sowohl Mobile Device Management (MDM) als auch Mobile App Management (MAM) dienen der Verwaltung, Inventarisierung und dem Richtlinien-Management (für Gerät/für Managed-Apps) zur Härtung eines mobilen Device (Kennwort, Verschlüsselung,...) bzw. für Komfortfunktionen (Cache-Dienste für Software-Updates). Ein MDM-System wendet seine Möglichkeiten auf ein Endgerät als Ganzes an. MAM-Systeme orientieren sich an einzelnen Apps. Das jeweilige Richtlinien-Management erlaubt weitestgehend:

- Konfiguration der Anbindung zur Kommunikation (für Gerät: Full VPN, für Managed Apps: App-VPN)

- Verwaltung der Kommunikationsschnittstellen (für Gerät/Managed Apps: Cellular/Wifi)

- Verwaltung der Geräteparameter (Aktualisierung OS, Kennwort, ...)

- ein Monitoring (Lizenzmanagement, Patch-Level, Inventarisierung der HW, ...). Eine Softwareverteilung bzw. -paketierung hat - meiner Meinung nach - nichts verloren auf einem modernen "mobilen" Endgerät.

(räumliche) Portabilität: Handhabung, Handling und Formfaktoren zahlen auf die Portabilität ein. Wie einfach ist es ein Gerät mit sich zu führen, wie schwer ist es und wie sehr ist es für den Einsatz "an jedem Ort, zu jeder Zeit" ausgelegt? Ein Notebook unterscheidet sich stark von einem Desktop-PC und beide sehr stark von einem Telefon bzw. einem Tablet.

Vendor Management: Das Vendor Management wird bei der klassisch im Netz vertretenden Meinung zur Definition des "Mobile" Begriffes oft vergessen. Wird die Hardware/Software (OS) aus einer Hand geliefert oder ist die Kette der beteiligten Hersteller (Vendor) "länger", da es Grafik, BIOS, Geräte, ... , Sound, ... , Drucker oder sonstige Treiberhersteller gibt? Reicht für die Aktualisierung eines Gerätes "ein Klick", passiert dies gar automatisch oder müssen Sie verschiedenste Updates kombiniert oder einzeln, manuell oder (halb) automatisch installieren?

Was heißt das für die Endgeräte am Markt?

Vielleicht haben Sie sich bei der Frage erwischt "Warum will uns der Autor dies sagen?". Ich möchte Sie sensibilisieren. Vertrauen Sie keinen Versprechen aus Hochglanzfolien, PowerPoint oder schicken Verpackungen. Nicht jedes Gerät, auch wenn es einen gewissen Formfaktor hat, ist ein mobiles Endgerät, bzw. "so mobil" wie es vielleicht vermittelt wird. Auch ist nicht immer notwendigerweise ein "Mobile Device".

Versuch einer abstrakten Erweiterung der Begriffsdefinition "mobile-first Endgerät"
Versuch einer abstrakten Erweiterung der Begriffsdefinition "mobile-first Endgerät"
Foto: Mark Zimmermann

Liest man beispielsweise die Vergleiche von iPads mit Surface-Pro-Endgeräten und dass mal die einen und mal die anderen einen gewissen Vorteil im Tablet-Markt haben, wird der Zwiespalt des Begriffes in meinen Augen deutlich. Windows 10 entsprecht meiner persönlichen Meinung nicht Windows 10 Mobile. Windows 10 Mobile besitzt zwar die gleiche Software-Basis, wie das Desktop-System Windows 10, unterscheidet sich meiner Meinung aber fundamental in den Ausprägungen. Ich habe die Reihenfolge in diesem Satz absichtlich gewählt, denn in der gefühlten Praxis hat Windows 10 nicht viel mit dem mobilen OS Windows 10 Mobile zu tun.

Ich möchte eines drauf setzen, das viel beschworene Surface Pro ist kein mobiles Endgerät wie ein iPad, es ist ein Notebook in einem schicken Formfaktor und unterscheidet sich weniger von einem sechs Jahre alten Laptop mit Stift als von einem iPad.

Ein anderes Beispiel ist BlackBerry. Sicherlich sind die Telefone mit den aktuellen BB-Versionen state of the art. Allerdings gibt es kaum Apps. Es gibt weitaus weniger als zum Beispiel für Windows 10 Mobile. Daher hat BlackBerry die Android-Kompatibilität (wir klammern mal das Blackberry PRIV mit Android aus) eingeführt. Diese ist jedoch auch nur halbgar. Viele Apps laufen zwar, können jedoch zum einen nicht auf das aktuellste Android API-Set setzen (Kompatibilität) und selbst kompatibele Apps geben nicht immer alle Funktionen preis (z.B. geht mal die Kamera nicht oder andere Funktionen). Dies gibt dem System, gerade beim Blick auf die OS Architektur, Abstriche.

Alles das bedeutet nicht, dass Sie die Geräte nicht verwenden können oder dass sie schlecht sind. Jedes Gerät hat seine Daseinsberechtigung und hat gute wie schlechte Seiten. Auch bedeutet es nicht, dass iPads das Nonplusultra sind. Überlegen Sie sich, welche Funktionalitäten Sie brauchen und entscheiden Sie danach. Ihr Anwender muss mit dem jeweiligen Endgerät arbeiten können.

Entscheiden Sie sich für eine "Mobile First"-Strategie, sollten Sie (ggf. nach den hier aufgeführten Kriterien) entscheiden, was eigentlich mobile Endgeräte sind...und vielleicht bewerten Sie diese anders als ich in diesem Artikel. Nicht jedes mobile Endgerät ist ein Garant für Produktivität, auch ein "klassisches PC"-Endgerät wird noch viele Jahre seine Daseinsberechtigung haben. Helfen Sie jedoch mit, die Namensverwirrung aufzulösen. (mb)

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