Teile und herrsche

Was moderne eCommerce Plattformen von der Internationalen Raumstation ISS lernen können



Wolfgang Vogl ist Director Business Development bei Speed4Trade. Mit über 25 Jahren Erfahrung in und mit Softwareunternehmen ist er auf digitale Geschäftsmodelle und Commerce-Plattformen spezialisiert. Der Wirtschaftsinformatiker unterrichtet als Dozent im MBA-Studiengang “Digital Business Manager” und engagiert sich im Bitkom.
Zalando wechselt vom Standard-Shop-System Magento auf eine Eigenentwicklung. Otto beendet die Zusammenarbeit mit Intershop. Die Schlagzeilen haben die Branche aufgerüttelt. Beide Firmen sind im Online-Handel extrem erfolgreich. Stellt sich die Frage: Was ist das Geheimnis ihrer eCommerce-Plattform-Strategie?

Monolithische Standard-Shop-Systeme sind der hohen Dynamik im eCommerce nicht mehr gewachsen. Bei genauerer Betrachtung liegt der »Systemfehler« in der zu engen Verbindung von Shop-Frontend und -Backend. Was auf den ersten Blick praktisch erscheint, wird zum Stolperstein, wenn es um hohe Flexibilität oder komplett neue Geschäftsmodelle geht.

Bei Zalando.de sagt man zum Beispiel etwas überspitzt: Es handelt sich in erster Linie gar nicht um einen Webshop, sondern um eine hocheffiziente SEO-Maschinerie. Das Frontend ist extrem auf die Generierung von Traffic ausgelegt. Durch die hohen Besucherzahlen ergeben sich die Bestellungen quasi nebenbei.

Moderne eCommerce-Systeme funktionieren ähnliche modular wie die internationale Raumstation ISS.
Moderne eCommerce-Systeme funktionieren ähnliche modular wie die internationale Raumstation ISS.
Foto: NASA

Bei weit über 100.000 Artikeln und mehreren Millionen Suchmaschinen-optimierten Keywords ist ein hoher Automatisierungsgrad Pflicht. Das heißt, das Shop-Frontend muss möglichst direkt von spezialisierten SEO/SEM-Systemen bespeist werden. Das ist allerdings nur möglich, wenn das Frontend vom Backend entkoppelt wird.

Otto wiederum geht mit seiner neu entwickelten Plattform Lhotse in die Breite. Die »leichtgewichtige« Softwarearchitektur ermöglicht den schnellen und flexiblen Start dutzender Nischenshops. Mit dem Projekt Collins und der neu entwickelten Plattform aboutyou.de geht man sogar noch einen Schritt weiter. Hier können externe Entwickler eigene Plugins schreiben, um damit neue Erlebniswelten aufzubauen. Mit viel Kreativität entsteht vielleicht ein komplett neues eCommerce Ökosystem. Mit einem Shop von der Stange sind solch innovative Geschäftsmodelle sicherlich nicht umsetzbar.

Was ist das Geheimnis dieser hochflexiblen eCommerce Plattformen?

Die Architektur der Internationalen Raumstation ISS macht es vor: Viele Nationen entwickeln unterschiedliche Funktionsmodule und letztendlich fügt sich alles zu einem leistungsfähigen Gesamtsystem. Und, es sind weitere Anwendungen erweiterbar, die heute noch gar nicht bekannt sind.

Auch in der Informatik ist das Prinzip der komponentenbasierten Softwareentwicklung seit langem bekannt. Logisch zusammengehörige Funktionen werden in Softwaremodulen gekapselt. Diese sind nicht fest verdrahtet, sondern kommunizieren über standardisierte Schnittstellen. Dieses Prinzip gilt es, im eCommerce über die Grenzen einzelner Anwendungen hinweg zu erweitern. Warenwirtschaft, Middleware und Frontend System bilden keinen monolithischen Block mehr, sondern kommunizieren über intelligente Webservices auf Basis des Datenformats XML. Ergänzt durch eine Plugin-Technologie entsteht so ein hochflexibles eCommerce-Ökosystem.

Trend: Flexible Integrationsplattformen statt monolithischer Standard-Shop-Systeme

Eine Middleware als zentrale Integrationsplattform und Übersetzer dient als Datendrehscheibe der Satelliten-Systeme. Warenwirtschaft und Logistik auf der einen sowie Shops und Marktplätze auf der anderen Seite werden über Performance-optimierte Schnittstellen synchronisiert. Heute nur der eigene Online-Shop, morgen eventuell zusätzlich über eBay und Amazon verkaufen und übermorgen Mobile-Commerce­ - mit diesem Systemprinzip kein Problem. Die eCommerce Lösung-passt sich dem Geschäftsmodell dynamisch an und nicht umgekehrt.

Genau für Projekte dieser Art benötigt man spezielle Middleware als Integrationsplattform. Darin eingebettete hochperformante Austauschprozesse verbinden ERP-Systeme von SAP, Microsoft, Sage und vielen weiteren mit den Verkaufskanälen eBay, Amazon, Rakuten & Co. Darüber hinaus können aktuelle Shop-Frontends wie von Shopware oder die hauseigene Enterprise Shop-Engine angebunden werden. Auch weitere Touchpoints über Mobile oder PoS-Systeme sind möglich.

Wettbewerbsvorteile durch individuelle und hocheffiziente Prozesse

Der Gewinn im Online-Handel liegt nicht nur im Einkauf, sondern auch in hocheffizienten Prozessen."Der Versandhandel ist ein komplexes Optimierungsproblem"- für die Profis im traditionellen Distanzhandel wie Jan Thieme (vgl.: Versandhandelsmanagement, Wiesbaden: Gabler Verlag, S. 7) nichts Neues. Nur im eCommerce scheint sich diese Erkenntnis noch nicht überall durchgesetzt zu haben. Keine Frage, Daten lassen sich immer irgendwie von einem System in ein anderes transferieren. Die Frage ist nur, zu welchem Preis. Insbesondere dann, wenn die Transfers nicht nur einmal, sondern mehrmals täglich benötigt werden. Oft gehen Erträge, die durch aufwendige Marketingaktionen erzielt werden, durch schlechte Backendprozesse wieder verloren.

Die Middleware emMidia von Speed4Trade verbindet ERP-Systeme mit Verkaufskanälen und Web-Shop-Frontends.
Die Middleware emMidia von Speed4Trade verbindet ERP-Systeme mit Verkaufskanälen und Web-Shop-Frontends.
Foto: Speed4Trade

Die Auswahl eines zukunftsorientierten Systems sollte daher nicht nach den klassischen Kriterien erfolgen: Open Source oder kommerziell, Kauf oder Miete, Eigen- oder Fremdhosting oder im schlechtesten Fall nur nach dem Preis.

Im täglichen Betrieb sind Kriterien wie:

  • hohe Automation über alle Teilsysteme hinweg,

  • durchgängige Prozesse,

  • Zuverlässigkeit, Sicherheit, Verfügbarkeit,

  • Flexibilität, Performance und somit

  • die Wirtschaftlichkeit der Gesamtlösung

wesentlich wichtiger. Jeder Kaufmann weiß, es zählen nicht nur der Einkaufspreis, sondern die »Total Costs of Ownership« über die gesamte Einsatzdauer hinweg.

Wie uns Amazon täglich vor Augen führt, sind perfekte Prozesse der Wettbewerbsvorteil schlechthin im Online-Handel. Und, was noch viel wichtiger ist, sie sind so gut wie nicht kopierbar. Mit den passenden Integrationsplattformen können Händler sich und ihren Shop im Handumdrehen an die täglich neuen Herausforderungen im eCommerce-Bereich anpassen und sich so auch langfristig gegen die Konkurrenz behaupten. (rw)

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