Folgen der Digitalisierung

Was Wirtschaft und Politik gegen die digitale Flut tun können

28.09.2016
Allgegenwärtige Computer in jeder Größe können Arbeitnehmer enorm unter Druck setzen. Die Folge sind oft Dauerstress und Erschöpfung. Doch immer mehr kommt jetzt auch in den Blick, was dagegen helfen kann.
Das Smartphone auch mal wegzulegen und nicht an die Arbeit zu denken, fällt vielen schwer.
Das Smartphone auch mal wegzulegen und nicht an die Arbeit zu denken, fällt vielen schwer.
Foto: GaudiLab - Shutterstock.com

Andrea Nahles hat eine Botschaft. "Man muss lernen, das Smartphone auch einmal wegzulegen", sagt die SPD-Arbeitsministerin. Sonst könnten die Geräte einen zu sehr in ihren Bann ziehen, so wie es ihr schon selbst phasenweise passiert sei. Es ist eine simple Botschaft, aber es steckt mehr drin, als man auf den ersten Blick vermutet: Nämlich, dass ein gesunder Umgang mit digitaler Technik möglich ist - aber nicht von allein kommt. Was machen die allgegenwärtigen Computer in jeder Größe, die Informationen und die Kommunikation rund um die Uhr mit den Menschen - und wie lassen sich Kanäle für die digitale Flut bauen, so dass niemand darin ertrinkt?

Viel ist bei der Präsentation einer neuen Studie in Berlin von wachsendem Arbeitsdruck die Rede, von ständiger Erreichbarkeit, von Überforderung. So nähmen Konflikten in der Familie zu, wenn die Arbeitnehmer auch noch zuhause mit Mails oder sozialen Netzwerken für den Job beschäftigt sind. Jeder fünfte Beschäftigte sieht sich unter Stress, sich ständig an die Technik anzupassen. Bei jedem vierten Arbeitnehmer bleiben Dinge daheim regelmäßig liegen, weil der Job die Zeit frisst - auch angetrieben durch die Digitalisierung.

Doch macht die Technik tatsächlich krank? Studienleiter Stephan Böhm von der Universität St. Gallen gibt teilweise Entwarnung: Bei Unternehmen mit besonders viel digitaler Technik gibt es nicht mehr Krankheitstage als bei anderen. Aber: Es bleibt nicht ohne Folgen, wenn es viel Druck gibt, sich an die Technik anzupassen, wenn viele Informationen auf die Arbeitnehmer einstürmen, wenn ständig auch nicht relevante Mails eingehen. Denn dann geben die Leute verstärkt an, sich emotional erschöpft, ausgebrannt zu fühlen.

Homeoffice - das kann Arbeitnehmern helfen, Familie und Job-Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Aber für viele ist der Schritt zur Selbstausbeutung klein. Das zeigt eine neue Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion: Freizeitausgleich für Mehrarbeit gibt es bei mehr als jedem Zweiten, der nur im Betrieb im Job ist - aber lediglich bei 39 Prozent der Menschen, die auch regelmäßig von zuhause aus arbeiten.

Wer Smartphone und Co. oft in der Freizeit zu Arbeitszwecken nutzt, gibt öfter an, sich müde zu fühlen, wenn er morgens den nächsten Arbeitstag vor sich hat - wer das wenig nutzt, klagt seltener darüber. Was kann getan werden?

Studienleiter Böhm meint: "Erwerbstätige haben es selbst in der Hand." Sport könne helfen. Heilsam seien auch Distanz zum Job in der Freizeit und das regelmäßige Abschalten von Telefon, Handy und Computer am Wochenende und in den Ferien. Aber auch die Vorgesetzten seien gefragt: Denn ein gutes Verhältnis zum Chef wirke dem Gefühl ständigen Gestresstseins durch die Technik entgegen. Zwei von fünf Arbeitnehmern aber klagen über Probleme mit dem Vorgesetzten.

Doch bei der Vorstellung der Studie - erstellt wurde sie im Auftrag der Krankenkasse Barmer GEK in Kooperation mit der Zeitung "Bild am Sonntag" - ist auch viel von Chancen die Rede. Es sei typisch deutsch, dass immer erst dran gedacht werde, ob etwas krank macht, kritisiert einer aus dem Publikum. Die Studie selbst zeigt: Drei von vier Befragten aus naturwissenschaftlichen Berufen sagen, Technologie mache sie produktiver - aber nur zwei von fünf Erziehern.

Wo stecken in dem Bereich Aufgaben für die Politik? Nahles meint zwar einerseits, man könne doch nicht vorschreiben, wie die Menschen zu arbeiten haben. Zu unterschiedlich seien die Verhältnisse. Aber konkrete Vorschläge - das will sie schon machen, im November, in einem umfangreichen Bericht zur Arbeitswelt in der digitalen Ära.

Ein Hauptthema soll die Arbeitszeit werden - nicht immer mehr arbeiten ist das Ziel, auch nicht unbedingt weniger, sondern flexibler sollen die Menschen arbeiten können. Und zwar nicht nur nach den Vorgaben von Chefs und Computerprogrammen. Sondern auch, um etwa dann zuhause sein zu können, wenn die eigenen Kinder einen wirklich brauchen. Und auch um mehr Absicherung fürs Alter will sich Nahles kümmern für die vielen Kleinselbstständigen, die zwar viel am Computer arbeiten, dabei aber in keine Rentenkasse einzahlen. (dpa, Basil Wegener/ib)

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