Schutz gegen Burnout

Wege aus der Stressfalle

06.09.2006
Von Michael Schweizer

Unklare Ziele, Stress im Sandwich, Mobbing

Unklare Ziele: Wenn geleistete Arbeit entwertet wird, indem Vorgesetzte oder Kunden plötzlich das Ziel ändern, widersprüchliche Aufträge erteilen oder überhaupt keine, so mag dies in anderen Branchen an situativen Zufällen liegen. In IT-Projekten dagegen ist es strukturell. Auskunft darüber gibt der IAT-Report 2006-04 "Zwischen Innovation und alltäglichem Kleinkrieg. Zur Belastungssituation von IT-Beschäftigten" des vom Land Nordrhein-Westfalen betriebenen Instituts Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. Die Autoren Erich Latniak und Anja Gerlmaier haben insgesamt sieben Projektgruppen aus zwei großen IT-Unternehmen und zwei Multimedia-Startups untersucht. Ein Jahr lang füllten die Teilnehmer alle vier Wochen ein standardisiertes "Befindenstagebuch" aus. Alle Projektteams fühlten sich überlastet, weil immer wieder "neue Anforderungen und Änderungswünsche" an sie herangetragen wurden, Termine und Budgets aber trotzdem eingehalten werden sollten. Viele Teilnehmer litten an Müdigkeit (72 Prozent), Nervosität (58 Prozent), Schlafstörungen (25 Prozent) und anderen psychosomatischen Beschwerden. Gerlmaiers und Latniaks Auskunftgeber schätzen es andererseits, dass sie sich relativ autonom organisieren können. Allerdings betrifft das nur die Arbeit im engen Sinn. Auf deren Ziele, Termine, die personelle und materielle Ausstattung hat in der Regel höchstens der Projektleiter Einfluss. Der Druck geht oft von Weisungsbefugten aus, die von IT nichts verstehen.

Stress im Sandwich: Projektleiter und andere untere und mittlere Führungskräfte geraten leicht in eine Doppelrolle als Fürsorger und ausbeutender Manipulator. "Was habe ich Blumensträuße für Freundinnen gekauft", erinnert sich Andrea an die Zeit vor ihrem Erziehungsurlaub, als die Marketing-Managerin eines großen Hightech-Konzerns Personalverantwortung über 18 Leute hatte. Die Aufmerksamkeiten waren für die Partnerinnen von Mitarbeitern bestimmt, die von Andrea samstags zur Arbeit einbestellt wurden, nachdem sie schon werktags wochenlang bis 23 Uhr im Unternehmen waren. (Andrea wurde auch von der Psychologin und Soziologin Anja Weiß interviewt: Franz Schultheis, Kristina Schulz (Hg.): "Gesellschaft mit begrenzter Haftung. Zumutungen und Leiden im deutschen Alltag", UVK, Konstanz 2005, 591 Seiten, 29 Euro).

Unerfüllbare Ziele/Mobbing: Es gibt Stress ohne Mobbing und, zumindest theoretisch, Mobbing ohne Stress. Wenn IT-Experten aber Aufgaben bekommen, die nicht schwierig, sondern schlicht unlösbar sind, dann kann der Stress ein Mittel des Mobbings sein. Die Münchner Karriereberaterin und Therapeutin Madeleine Leitner glaubt, dass sich der zwischenmenschliche Umgang in der schnelllebigen IT-Welt noch katastrophaler verschlechtert hat als in anderen Branchen. Vor allem die Anständigen, Qualitätsorientierten, die nicht wahrhaben wollten, dass sie "von Haifischen umgeben sind", verlören ihre Jobs. Vor allem in großen Konzernen sieht Leitner das Mobbing-Problem. Dort arbeiten, anders als bei knapp besetzten Mittelständlern, Tausende Leute, die mit der Produktion nichts zu tun haben und sich auf Machtspiele konzentrieren können. Wer nicht selbst politisch agiere, habe hier "geringe Überlebenschancen" - es sei denn, er finde einen "Haifisch, der ihn seine Arbeit machen lassen will".

Geht es Freiberuflern besser? Je erfolgreicher sie sind, desto überlastungsgefährdeter sind sie auch. Aber sie strahlen oft einen Enthusiasmus aus, den Festangestellte allenfalls vortäuschen. Alain Fischer (Name von der Redaktion geändert) hat nach dem Informatikstudium eine Ein-Mann-GmbH in Dortmund gegründet. Der Web-Hoster betreut für überwiegend berufliche Anwender mehr als 4200 Domains auf 45 Rechnern. Weil er sich eine solide technische Infrastruktur aufgebaut hat und die meisten Kunden einen professionellen internen Support betreiben, läuft sein Tagesgeschäft normalerweise "entspannt". Das ändert sich, wenn zum Beispiel eine Festplatte den Geist aufgibt oder im Rechenzentrum der Strom ausfällt. Ein solches Malheur zieht eine Kette von Folgeproblemen nach sich, die zu drei bis vier Nachtschichten hintereinander und zu durchgearbeiteten Wochenenden führen kann. Stressbedingte Panikattacken und eine Gastritis hat der 24jährige Unternehmer schon hinter sich.

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