Wenn OBI schon schläft, ist Gardena noch hellwach

10.05.2000
Die meisten Unternehmen haben in den vergangenen Jahren den Wandel vom regionalen Anbietermarkt zum weltweiten Käufermarkt zu spüren bekommen. Immer öfter erwarten Kunden von ihren Lieferanten maßgeschneiderte Problemlösungen, kurze Lieferzeiten und Service rund um die Uhr. Bei der Implementierung der dazugehörigen Software sind Systemintegratoren gefragt. Mit ihnen hat sich Sonja Hübner* beschäftigt.

Beim Baumarkt OBI erklärt man mir neulich ziemlich genervt, das Ersatzteil für meine Düngebrause gebe es von Gardena nicht. Außerdem wäre das Stück ohnehin genauso teuer wie eine neue Brause, und die liege ja im Verkaufsregal.

Verärgert logge ich mich später auf der Homepage des Herstellers ein, finde das Teil und bestelle es per E-Mail - Zeitaufwand: fünf Minuten. Zwei Tage später finde ich das Ersatzteil samt Rechnung und Angabe des Ansprechpartners der Service-Abteilung im Briefkasten. Zeit- und Kostenersparnis für Wege und die Neuanschaffung einer kompletten Brause: anderthalb Stunden, dazu 25 Mark mehr im Geldbeutel - und das abzüglich der anteiligen Technologie-, Telefon- und Providerkosten.

Persönliche Kundenbetreuung ist das A und O

Jeder dritte Kundenkontakt wird in Zukunft über das Internet laufen, prognostizieren Marktforscher. "Der Vertrieb wird durch die Internet-Technologie revolutioniert", meint Gilbert Hödl, Gründer der auf Vertriebs-Software spezialisierten Update.com AG. Er beobachtet, dass Anbieter das Web und auch das mobile Internet mit Macht zum Vertriebskanal ausbauen: "Durch den Selbstbedienungscharakter profitieren beide, sowohl der Anbieter als auch der Kunde."

Waren bislang Qualität und Preis eines Produkts wettbewerbsentscheidend, müssen Unternehmen in gesättigten Märkten künftig ihren Fokus vor allem auf eines richten: jeden einzelnen Besteller optimal zu betreuen und schnell zufrieden zu stellen. Dazu ist detailliertes Wissen über diese Kunden, ihre Probleme, ihr konkretes Potential und das Wettbewerbsumfeld erforderlich. Oft kennen Unternehmen jedoch kaum mehr als die Adresse ihrer existierenden und potentiellen "Könige". Zudem verhindern IT-Insellösungen für einzelne Bereiche, dass die rechte Hand im Unternehmen weiß, was die linke tut.

Um Kundenorientierung zu verstärken und mit Hilfe eines unternehmensweiten Informations-Managements strategische Wettbewerbsvorteile zu erzielen, müssen alle kundenrelevanten Aufgaben und Prozesse in die Unternehmens-IT-Infrastruktur integriert werden. Die Bedeutung von Informationssystemen für das Be-ziehungs-Management (CustomerRelationship-Management - CRM) wuchs daher in den vergangenen Jahren ständig. Nach Prognosen der Meta Group wird der CRM-Markt im Jahr 2001 weltweit ein Volumen von voraussichtlich 4,7 Milliarden Dollar erreichen.

E-Technologien auf dem Vormarsch

Mit Electronic Commerce steht ein weiterer Milliardenmarkt in den Startlöchern. Die derzeit 24 Millionen europäischen Internet-Anschlüsse werden von rund 41 Millionen Menschen genutzt, schätzt das Marktforschungsunternehmen IDC. Weltweit existieren mehr als 150 Millionen Internet-Verbindungen über das Festnetz.

Schon dieses Jahr sollen 35 Prozent aller Kundeninteraktionen elektronisch erfolgen, besagt eine Studie von Forrester Research. CRM-Sys teme müssen daher künftig als IP-basierende Anwendungen nicht nur die eigenen Mitarbeiter und Kunden, sondern auch Geschäftspartner aktiv in das Beziehungs-Management aufnehmen.

Daher wird die Nachfrage nach Web-basierenden E-CRM-Applikationen nach Meinung führender Unternehmensberater kontinuierlich steigen. Die meisten Anbieter stehen hier allerdings erst am Anfang.

Die nächste Welle wird mit WAP (Wireless Application Protocol) ausgelöst, also der Verbindung zwischen Internet und Funktechnik. Das Bonner Beratungsunternehmen Durlacher Research prognostiziert dem europäischen Mobilfunkmarkt bis zum Jahr 2003 ein Umsatzvolumen von rund 23,5 Milliarden Euro. Diese Größenordnung kann nur durch M-Commerce/M-Business-Aktivitäten wie Bankgeschäfte, elektronischen Einkauf o-der Werbung via Handy erreicht werden.

"Allein in Österreich und Deutschland existieren fünfmal mehr Handys als Internet-Anschlüsse", argumentiert Gilbert Hödl fürs WAPHandy, das seiner Meinung nach universelle Kommunikationsmittel der nahen Zukunft.

Mit WAP werden die Mobilfunktelefone zur Internetstation. Die Vision geht dahin, dass Außendienstmitarbeiter ihr Handy als Schnittstelle zum zentralen Unternehmensserver nutzen und so nicht nur alle kundenrelevanten Daten sofort im Blick haben, sondern auch neue Aufträge per Sprachbefehl übermitteln können.

Marktforscher der Gartner Group, von IDC, AMR Research und Forrester Research gehen davon aus, dass sich E-CRM-Software zum weltweit am schnellsten wachsenden Segment im Bereich unter-nehmenskritischer Software entwickeln wird. Das Potential wird hier mit einem durchschnittlich kumulierten jährlichen Wachstum von bis zu 58 Prozent beziffert —und das über die nächsten fünf Jahre hinweg.

Noch günstigere Prognosen ergibt eine spezifische Betrachtung des europäischen E-CRM-Markts durch die britische Hewson Group. Sie sagt Umsätze von 2,8 Milliarden Dollar im kommenden und 5,6 Milliarden im übernächsten Jahr voraus. Bei diesen rosigen Aussichten sollte man allerdings die Achillesferse dieser zweifellos sehr attraktiven Technologie für das Kundenmanagement nicht aus den Augen verlieren: die Sicherheitsprobleme im Internet.

Europa hinkt Nordamerika hinterher

In Deutschland wird sich das CRM-Marktvolumen bei rund zwei Milliarden Mark bewegen, schätzt der Karlsruher CRM-Unternehmensberater Wolfgang Schwetz. Damit werde jedoch nur ein kleiner Prozentsatz der in Frage kommenden deutschen Firmen - en detail nur etwa 450.000 über alle Branchen hinweg - seine Beziehungsprozesse zu Kunden mit IT-Lösungen für Segmentierung, Akquisition, Personalisierung sowie Kundendienst,-pflege und -analyse unterstützen. Der eu-ropäische CRM-Markt ist stark fragmentiert. Weit über hundert vorwiegend lokale Anbieter sind allein in Deutschland vertreten. Einer neuen Studie von Gartner zufolge lässt sich ein klarer Marktführer in Europa noch nicht ausmachen. Doch werden vier aussichtsreiche Kandidaten genannt: die amerikanische Nummer eins Siebel, das kanadische Unternehmen Pivotal, die in Österreich ansässige Update.com Software AG und der deutsche Anbieter Point.

Aufgrund der Sprachenvielfalt und kultureller Unterschiede in Europa gibt Gartner den heimischen Anbietern einen Standortvorteil. So sind der "Marketing Manager" von Update.com bereits in 16 und "Team Point" von Point sogar in 18 Sprachen verfügbar.

Inzwischen tragen die Web-basierenden Software-Lösungen auch dem Trend zum mobilen E-Business Rechnung. Mit mobilen Geräten telefonieren allein in Westeuropa 87 Millionen und weltweit 375 Millionen Menschen, 2001 soll diese Zahl die Milliardengrenze überschreiten. Von diesem Markt versprechen sich E-CRM-Anbieter starke Wachstumsimpulse.

Zwar verhindern kleine Displays, geringe Übertragungsgeschwindigkeiten (9,6 Kbit/s) und hohen Kosten derzeit noch den flächendeckenden Einsatz von Mobiltelefonen beim Datenaustausch zwischen Herstellern, Geschäftspartnern und Kunden. Hard- und Software-Hersteller arbeiten jedoch mit Hochdruck an der Lösung dieser Probleme. Internet-basierende Anwendungen haben den Vorteil der Plattformunabhängigkeit. Der Kunde kann sich über das Internet schnell und kostengünstig selbst ein Bild von potentiellen Lieferanten und deren Angeboten machen. Umgekehrt ist der Hersteller in der Lage, dem Kunden mit Hilfe seines jeweiligen Profils - sozusagen auf Knopfdruck - ein personalisiertes oder kundespezifisches Angebot zu unterbreiten.

Bestellt etwas eine Abteilung von Siemens bei Daimler Chrysler einen Firmenwagen, erhält sie sofort einen nach den Konzernrichtlinien konfigurierten Vorschlag. Auch Dell vertreibt seine Personal Computer erfolgreich auf diese Weise.

Vorteile bringt das unternehmensweite Informationsmanagement durch E-CRM auch dem Außendienst. Handelsvertreter können direkt mit ihren Lieferanten kommunizieren, Aufträge übertragen und Anfragen absenden. Software und Daten müssen dazu nicht auf dem eigenen PC liegen, neue Programmversionen lassen sich problemlos austauschen. Planung und Steuerung der eigenen Marktaktivitäten werden durch aktuelle Informationen unterstützt, adminis-trative Tätigkeiten weitgehend automatisiert. Es bleibt mehr Zeit für die aktive Kundenbetreuung.

Es mangelt noch an Akzeptanz für CRM

Obwohl geschulte CRM-Anwender immer wieder von einem Gewinn an Image und Kompetenz sowie einer höheren Trefferquote im Verkaufsabschluss berichten, kranken viele CRM-Projekte bereits in der Einführungsphase an der fehlenden Akzeptanz der Anwender (siehe ComputerPartner 25/00, Seiten 52). Besonders der Außen- dienst sieht sich in vielen Fällen einer verstärkten Kontrolle ausgesetzt. Hier könnte das Management den "gläsernen" Kunden in den Vordergrund gemeinsamer Bestrebungen rücken und sich als Berater des Außendienstes positionieren.

Für Christoph E. Maier, Stabsreferent Organisation bei der Bayerischen Landesbank, ist CRM jedenfalls eine Frage des langfristigen Überlebens: "Es geht darum, das Kundenbeziehungs-Management zum entscheidenden Element der marktorientierten Unternehmensführung zu machen."

Auch Unternehmensberater Schwetz hält CRM vor allem für eine neue Management-Philosophie: "Hier geht es um eine kompletten Ausrichtung der Unternehmensorganisa-tion auf vorhandene und potentielle Kundenbeziehungen." CRM-Software sollte nach seiner Meinung Marketing, Vertrieb und Service integrieren, diese Bereiche eng an ERP-Systeme koppeln und das Management der Kundenbeziehungen unternehmensweit über alle Funktionen hinweg durch Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützen.

Bedauerlich sei, so Schwetz, die Vielfalt dessen, was unter CRM verstanden wird. Komponenten der Telefonie und Kommunikation, Data-Warehouse-, Data-Mining-, Dokumenten-Management-Tools und Workflow-Systeme zählten sich ebenso selbstverständlich dazu wie Handhelds, digitale Kameras, Datenprojektoren oder Frankiermaschinen.

"Alles scheint plötzlich elementarer Bestandteil eines CRM-Systems zu sein. Software-Tools, mit denen man problemlos auch Programme für das Rechnungswesen oder die Personalverwaltung realisieren kann, sind auf einmal CRM-Werkzeuge", beklagt Schwetz die Begriffsverwirrung.

Auch die Großen entdecken CRM

Seitdem Informations-Management zu einem bedeutenden Erfolgsfaktor geworden ist, investieren auch führende ERP-Anbieter wie SAP und Oracle massiv in eigene CRM-Entwicklungen. Meistens erfolgt dies durch Kauf oder strategische Allianzen mit führenden CRM-Anbietern.Mit dem bereits integrierten Supply-Chain-Management streben diese ERP-Branchengrößen eine Ergänzung ihrer Geschäftsprozesskette vom Lieferanten bis zum Kunden an. Denn möglichst komplett sollte das CRM-System schon sein, damit es sich diesen Namen wirklich verdient. Da dem einen Hersteller die Service-Komponenten, dem anderen die Call-Center-Tools und dem dritten wiederum die Marketing-Bausteine fehlen, ist die Konsolidierung des Software-Marktes derzeit in vollem Gange.

Zunehmend gefragt sind in dieser unübersichtlichen Situation System-integratoren. Die von einem oder mehreren Anbietern zertifizierten CRM-Spezialisten haben sich auf die schlüsselfertige Lösung von der Marketing-Strategie bis hin zur Schulung der Anwender spezialisiert. Zwar kostet dieser Service laut Schwetz in der Regel doppelt so viel wie die dazugehörigen Software-Lizenzen. Dafür werde aber zielstrebig an den Bereichen Personal, Technik und Organisation gearbeitet, bis alle Kundenbeziehungen und die dazugehörigen Prozesse in die Unternehmens-IT integriert sind.

www.pivotal.com

www.pointinfo.com

www.siebel.com/germany

www.update.com

*Sonja Hübner ist freie Journalistin in Dortmund.

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