Chef muss Mitarbeiter vertrauen können

Zugangsvereitelung einer Kündigung



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Die Pflicht zur Rücksichtnahme aufseiten des Arbeitnehmers als Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis gebietet es, die Entgegennahme eines Schreibens des Arbeitsgebers nicht grundlos zu verweigern.

Ein Arbeitgeber darf darauf vertrauen, einem Arbeitnehmer während einer Besprechung im Betrieb eine schriftliche Willenserklärung in Bezug auf das Arbeitsverhältnis übermitteln zu können. Die Pflicht zur Rücksichtnahme aufseiten des Arbeitnehmers als Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis gebietet es, die Entgegennahme nicht grundlos zu verweigern.

Darauf verweist der Bremer Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gewerblichen Rechtsschutz Klaus-Dieter Franzen, Landesregionalleiter "Bremen" des VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V., unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. März 2015 (2 AZR 483/14).

Entlassungsschreiben im Hausbriefkasten

Die Klägerin war als Altenpflegerin beschäftigt. Am 22. Oktober 2012 kam es zu einem Gespräch mit ihr. Im Verlauf dieses Gespräches wurde ihr gegenüber die Aushändigung einer betriebsbedingten Kündigung angekündigt. Am Vormittag des 24. Oktober 2012 fand die Klägerin ein Schreiben vom 22. Oktober 2012 in ihrem Hausbriefkasten vor, mit welchem ihr Arbeitsverhältnis zum 30. November 2012 gekündigt wurde.

Immer wieder müssen sich die Arbeitsgerichte damit beschäftigen, dass Arbeitnehmer den Zugang von Kündigungsschreiben vereiteln.
Immer wieder müssen sich die Arbeitsgerichte damit beschäftigen, dass Arbeitnehmer den Zugang von Kündigungsschreiben vereiteln.
Foto: Fotolia, RTimages

Die Beklagte trug vor, der Klägerin sei schon in dem Gespräch am 22. Oktober 2012 die Kündigung hingehalten worden. Am Nachmittag desselben Tages hätten ein Pflegedienstleiter und ein Auszubildender die Klägerin unter ihrer Wohnanschrift aufgesucht. Diese habe die Haustür zunächst nicht geöffnet. Schließlich sei sie den beiden Mitarbeitern in Dienstkleidung entgegengekommen.

Auf deren Hinweis, sie wollten ihr einen Brief übergeben, habe sie erklärt, keine Zeit zu haben, und habe das Haus verlassen. Die Mitarbeiter hätten das Kündigungsschreiben daraufhin gegen 17:00 Uhr in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen. Die Klägerin behauptete dagegen, die beiden Mitarbeiter hätten sie erst am 23. Oktober 2012 aufgesucht und dabei nichts von einem Brief gesagt.

Die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage ging am 14. November 2012 beim Arbeitsgericht ein.

Klagefrist wurde gewahrt

Das Landesarbeitsgericht Hamburg hatte der Klage stattgegeben. Die Hamburger Richter sahen die Klagefrist als gewahrt an. Die Kündigung war in der Sache unwirksam, was in der Revision auch nicht angegriffen wurde.

Damit ging es in der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht nur noch um die Fragen, wann und unter welchen Umständen eine Kündigung unter Anwesende zugehen kann und was passiert, wenn der Arbeitnehmer den Zugang treuwidrig vereitelt.

Die Antworten geben Aufschluss über die Beendigung der Klagefrist.

Gem. § 7 KSchG muss gegen eine Kündigung binnen einer Frist von drei Wochen nach Zugang Klage erhoben werden. Erfolgt die Klageeinreichung nicht fristgemäß, gilt die Kündigung als wirksam. Danach konnte der Klage nur dann stattgegeben werden, wenn die Kündigung der Klägerin erst am 24. Oktober 2012 und nicht früher zugegangen war.

Das Bundesarbeitsgericht sah jedoch einen früheren Zugang als möglich an. Es gab der Revision statt, hob das Hamburger Urteil auf und wies die Sache zur Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.

Die Erfurter Richter hielten den Zugang der Kündigung während des Kündigungsgesprächs am 22. Oktober 2012 für möglich.

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