Digital Leader Award 2016 – Würth

1PLUS - eine Position mehr im Auftragskorb

31.07.2016
Von 
Yvonne Göpfert ist als freie Journalistin in München tätig.
Vom Verkaufsgespräch zum Kundenerlebnis: Eine App revolutioniert die Arbeit von 3.000 Außendienstmitarbeitern im Direktvertrieb.

Würth ist eine weltweit agierende, vornehmlich im Großhandel mit Produkten der Befestigungs- und Montagetechnik tätige Unternehmensgruppe. Ihre Produkte und Produktkataloge sind komplex. Der Verkaufsprozess im Direktvertrieb über Außendienstmitarbeiter ist bei Würth über Jahrzehnte gewachsen. Doch nie in der Firmengeschichte gab es so einschneidende Veränderungen im Verkaufsprozess wie seit der Einführung der App "1PLUS". Der Wegfall des Verkäuferkatalogs sowie dessen monatliche Updates im Zuge der "1PLUS"-Einführung stellten eine Zäsur im Unternehmen dar.

Mit seinem Projekt "1PLUS" ist Würth Finalist des Digital Leader Award 2016 in der Kategorie Spark Collaboration.
Mit seinem Projekt "1PLUS" ist Würth Finalist des Digital Leader Award 2016 in der Kategorie Spark Collaboration.
Foto: Würth

Die Folge: keine umständliche Katalogpflege mehr. Und noch viel wichtiger: Produkte werden jetzt anders verkauft, da Außendienstmitarbeiter ihren Fokus weg von Einzelprodukt-Abfragen hin zu Anwendungen und Produktketten verlagern können. Kunden werden dabei eingeladen, mit dem Verkäufer aktiv in die App zu schauen und auch selbst am Beratungs- und Verkaufsprozess mitzuwirken. Im Zuge der Einführung von "1PLUS" erhielten die Außendienstmitarbeiter zudem deutlich mehr Entscheidungsspielräume, z.B. hinsichtlich Lieferzusagen, veränderten Zahlungsbedingungen etc. Die so frei werdenden Ressourcen im Innendienst werden für eine qualifizierte Kundenpflege genutzt.

Insgesamt gibt es nahezu keinen Bereich im Unternehmen, der von der Einführung von "1PLUS" nicht berührt wird. Das Spektrum reicht von vertriebsnahen Bereichen wie Kundenmanagement, Vertriebssteuerung, Personalentwicklung und Marketing hin zu Logistik, Einkauf, Produktmanagement und Buchhaltung. Entsprechend hoch ist die Komplexität des Projekts. Mit dem Projekt "1PLUS: Vom Verkaufsgespräch zum Kundenerlebnis" ist die Adolf Würth GmbH & Co. KG Finalist des Digital Leader Award 2016 in der Kategorie Spark Collaboration.

Projekt-Steckbrief

  • Finalist: Würth

  • Kategorie: Spark Collaboration

  • Projekttitel: 1PLUS: Vom Verkaufsgespräch zum Kundenerlebnis

  • Zeitraum des Projekts: Idee & Konzept: 2011/2012; Umsetzung und Tests: ab 2013; Projekt-Phase: Rollout für 3.000 Außendienstmitarbeiter im Direktvertrieb ist abgeschlossen. Der Fokus liegt aktuell auf der Weiterentwicklung der App sowie der Integration in Telefonvertrieb und Niederlassungen.

  • Größe des Projekt-Kernteams: 10 Personen

Die Digitalisierungsstory

Bis zur Einführung von "1PLUS" arbeiteten die Verkäufer im Kundengespräch mit Ringbuch-Katalogen. Aufgrund eines Sortiments von über 100.000 Produkten hatte ein solcher Katalog im Schnitt 2.000 Seiten und ein Gewicht von über 3 Kilogramm. Die Aktualisierung erfolgte monatlich mit sogenannten Produktinformationen, die von den Außendienst-Kollegen händisch an den richtigen Stellen eingefügt werden mussten. Wertvolle Verkaufszeit fiel unproduktiver Büroarbeit zum Opfer - ganz abgesehen davon, dass die Aktualität der gedruckten Produktinformationen von Natur aus permanent der Realität hinterher hinkte.

Deshalb sollte das Projekt "1PLUS" eine moderne Point-of-Sale-Lösung werden, die das Verkaufsgespräch der 3.000 Kollegen im Außendienst ideal unterstützt. Dabei ging der Anspruch weit darüber hinaus, lediglich schnelleren Zugriff auf Katalogdaten zu ermöglichen oder eine vereinfachte Auftragserfassung zu erreichen. Die Interaktion zwischen Kunde und Verkäufer sollte mit digitalen Hilfsmitteln auf ein neues Level gehoben werden. Dazu entwickelte man neue Anwendungswelten und strukturierte den Artikelstamm aus dem Blickwinkel des Anwenders. Die Kommunikation mit dem Kunden wird damit qualitativ unterstützt und es entstehen neue Bedarfsimpulse.

"1PLUS" war von Beginn an als interdisziplinäres Projekt verschiedenster Fachabteilungen im Haus konzipiert. Auch Kollegen im Außendienst waren konsequent eingebunden und brachten ihren Input ein. Bereits sehr früh nach dem Rollout von "1PLUS" im Jahr 2014 zeigten sich die Effekte der "1PLUS" App: Kundengespräche wurden individueller, zielgerichteter, verbindlicher und somit für beide Seiten effizienter. Prozesse wurden angepasst und kundenfreundlich modifiziert.

Die Umsetzung

Von Beginn des Projekts an traf sich das interdisziplinäre "1PLUS"-Kernteam je einen kompletten Tag im Monat zum Jour Fixe. Die Kernteammitglieder wurden für diese Termine von ihren eigentlichen Tätigkeiten freigestellt. Hinzu kamen viele situativ notwendige Abstimmungsmeetings. Über Sharepoint wurde der Projektstatus abgebildet, die Kernteam-Mitglieder nutzen Sharepoint parallel auch als Kommunikationsmittel. Die Auswahl der Technologien als auch der externen Partner fiel immer entlang der Maßgabe, wo bzw. mit wem sich die App an das "leading edge" des aktuell Machbaren heranführen lässt.

Darüber hinaus mussten externe Partner in der Lage sein, sich in die komplexen Strukturen eines Multikanalunternehmens mit einem enorm breiten Produktsortiment und heterogener Kundenlandschaft hineindenken zu können. Die IT-Basis der "1PLUS" App bildet das PIM-System STEP. Die Erstprogrammierung erfolgte auf iOS. Hier zeigten sich nach wenigen Monaten Grenzen hinsichtlich Systemanbindungen, Weiterentwicklungsmöglichkeiten etc. Deshalb erfolgte im laufenden Projekt und in enger Abstimmung mit Microsoft der Umstieg auf Windows 8. Doch nun stand man vor der Herausforderung, bei Nutzerfreundlichkeit, Funktionalität und Ergonomie in der Anwendung ein adäquates, mit iOS vergleichbares Level zu erreichen.

Zudem gab es hardware-technische Hürden zu nehmen: Zum Feldtest von "1PLUS" waren auf dem Markt noch keine geeigneten Windows-Tablets verfügbar. Auch beim Rollout standen lediglich drei Endgeräte zur Auswahl. Neben der qualitativen Komponente war von vornherein die schiere Dimension, das über Jahrzehnte eingeübte Verhalten von über 3.000 Außendienstkollegen zu ändern, eine der ausgewiesenen Herausforderungen.

Der Business-Nutzen

Aktuell werden dreiviertel der Verkäuferumsätze über "1PLUS" erfasst, in Kürze werden es 100 Prozent sein. Im Pilotbetrieb der App zeigte sich, dass die betroffenen Außendienstmitarbeiter über "1PLUS" die durchschnittliche Anzahl der Positionen pro Auftrag um 0,96 steigerten. Zugleich führt "1PLUS" nachweislich zu einer Sortimentsverbreiterung beim Kunden. Bestellungen lassen sich während des Verkaufsgesprächs im Online-Betrieb übermitteln.

Dies führt in vielen Fällen zu deutlich verkürzten Lieferzeiten. Durch das per Digitalisierung mögliche Monitoring der App werden Verkaufsprozesse transparenter und Marketing-Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin überprüfbar. Darüber hinaus können vielfältige Services wie beispielsweise eine Recommendation-Engine, lückenlose Kundenhistorien, Konfiguratoren, Routenplanungs-Tools etc. angebunden werden.

Ferner kann Würth über "1PLUS" kostenlose Serviceleistungen mit hohem Kunden-Mehrwert transparent darstellen und somit notwendige Renditen argumentativ untermauern. "1PLUS" wird inzwischen auch an anderen Kundenkontaktpunkten wie dem Telefonvertrieb oder dem stationären Handel bzw. in den Niederlassungen erfolgreich eingesetzt.