700.000 Besucher und kein Ende

04.01.1999

HANNOVER: Es war ein "Gipfeltreffen der virtuellen Welt", der "Weg zum IT-Gipfel" (Zitat BVB) sei gar beschritten, bejubelt Cebit-Veranstalter Deutsche Messe AG die diesjährige Messe und veröffentlicht wieder Rekordzahlen für Besucher, Aussteller und Fläche. Wohin man blickte: E-Commerce, das Internet beherrscht die Computerwelt.Wer auf der Messe nicht ein "völlig innovatives" oder "wirklich originelles" E-Commerce-Konzept in der Schublade hatte, war nicht up to date. Ob Software-, Hardware- oder Lösungsanbieter: Jeder flüsterte jedem ins Ohr, "Mitte des Jahres" mit dem ultimativen Onlineverkaufsmodell für "Furore im Markt" sorgen zu können. Ein Distributor will seinen Handelspartnern im Web virtuelle Läden einrichten und dabei, "völlig ohne in Erscheinung zu treten", noch die ganze logistische Abwicklung übernehmen: von der Lieferung bis zur Rechnungsstellung mit dem Briefkopf des Händlers (Anbieter will leider noch nicht genannt werden). Hersteller ziehen das amerikanische Modell vor, also beispielsweise Bestellsysteme mit ständig aktualisiertem Lagerbestand für die Handelspartner. Implementierungsbestrebungen in drei, vier oder gar fünf Schritten sind die Regel.

Der Umgangston wird immer rüder

Richtig zu sehen gab es nur wenige Lösungen, die Versprechungen allerdings wuchsen in den Himmel. Einzig Brokat Infosystems stellte bereits zur Messe ein E-Commerce-System der neueren Art vor (siehe ComputerPartner 11/99, Seite 1) - nämlich mit "Call-Button" für hilflose Kunden, die Beratung durch den Anbieter brauchen.

Sonst gab es auf der Messe viel zu bestaunen, aber wenig zu entdecken. Die Gerüchte blühten, wie immer, besonders in der zweiten Hälfte hieß das Klatschthema Nummer eins CHS (siehe Titelgeschichte). Die wahre Attraktion aber war dieses Mal die Messe selber. 700.000 Besucher durchpflügten die Messehallen, rund 7.300 Aussteller belegten 400.000 Quadratmeter Messeplatz. Raucherecken, Ruhenischen, vielleicht eine "Dealers Corner" - keine Spur. Statt dessen verkaufter Raum bis in die letzte Ecke. Kein Wunder, daß die Messegesellschaft im Umgang mit ihren Ausstellern zunehmend vom hohen Roß aus agiert. "Der Ton ist allgemein rüder geworden", bemängelte so manch ein langjähriger Aussteller. So hatte im Vorfeld der Messe beispielsweise Logitech den Veranstaltern genauestens dargelegt, mit welchen Produkten der Mausspezialist erscheinen wollte. Aber: Kaum war der Stand aufgebaut und die Messe eröffnet, kam Order von oben: Die Exponate entsprächen nicht dem geforderten Programm, der Hersteller solle sie "sofort abbauen". Wenn nicht, so ein Logitech-Manager, habe man ihm eine Sperrung bis 2001 angedroht.

Solcherlei Anschreiben sollen dem Vernehmen nach einige Aussteller zugestellt bekommen haben. Entsprechend gereizt waren denn auch die Reaktionen der Hersteller auf die Frage nach den Veranstaltern (siehe auch Artikel Seite 38).

Insgesamt aber war die Stimmung auf den Verkaufsständen prächtig. Vom ersten Messetag an schoben und drängelten sich die Massen durch die Hallengänge, machten sich durch die immer noch zunehmende Jagd nach "Mitbringseln" zwar nicht beliebt - schlossen aber dem Vernehmen nach lukrative Verträge für die Aussteller ab. "Eine Million Händler-Umsatz auf der Messe!" begeisterte sich beispielsweise Aparis Software. Der Sage-KHK-Konkurrent war von seinem ersten Messeauftritt begeistert. "Sie müssen sich vorstellen: 450 Fachhändler-Gespräche haben wir hier geführt", ist Aparis-Marketier Kurt Tennstädt noch immer völlig hingerissen. Und kann sich den Zusatz natürlich nicht verkneifen: "Davon übrigens 200 Sage-KHK-Händler." Daß der große Softwarehersteller den Nachwuchs mittlerweile ernst nimmt, will er daran sehen, daß er aus dem Hause Sage bereits seine erste einstweilige Verfügung während der Messe auf den Tisch bekam.

Natürlich ist er heilfroh, in der vielumworbenen Softwarehalle 5 ein Plätzchen für sein Unternehmen ergattert zu haben. Denn die Warteliste ist lang - ähnlich wie für den Bereich Telekommunikation. "Speziell in diesen beiden Bereichen können wir uns vor Anfragen kaum retten", weiß auch eine Messesprecherin zu berichten. Aber das während der Messe immer wieder aufkeimende Gerücht, die Telekommunikation solle demnächst ausgegliedert und unter ein eigenes Messedach geschoben werden, wischt sie vorerst vom Tisch. "Gerade die beiden Bereiche Informationstechnologie und Telekommunikation wachsen derart zusammen, daß eine solche Trennung ungeschickt wäre." Natürlich laufen derzeit Gespräche "in viele Richtungen", mit einer endgültigen Lösung sei aber in den nächsten beiden Jahren nicht zu rechnen. (du)

Die Stimmung der Aussteller war trotz diverser Streitereien mit dem

Veranstalter gut: Das Messepublikum hat nach Kräften gekauft.

Am ersten Messetag herrschte Frühlingsstimmung, danach waren wieder Schirme und Papiertaschentücher als "Give-aways" gefragt.

Zur Startseite