802.11b+ bringt oft mehr als 802.11g

19.02.2004
Die neue WLAN-Welle 802.11g wird mit mehr Speed und Abwärtskompatibilität zu 802.11b beworben - Durchsatz, Koexistenz mit bestehenden 802.11b-Geräten und Reichweite sind indes Faktoren, die den Ruf nach Alternativen wecken. Von Arno Kral

Mehr Durchsatz lautet die Devise für drahtlose Netzwerke, denn gerade im privaten Umfeld ist es nicht damit getan, ein paar Textdateien oder Kalkulationstabellen auf Arbeitsplätzen verfügbar zu machen - hier gilt es Rich-Media-Content wie Mega-Pixel-Bilder-Alben, MP3-Musikarchive und alle Arten Digitalvideo durch Netz zu wuchten.

Wer schon drahtlos genetzt hat und enttäuscht war, dass eine 11 Megabit (knapp 1,5 MByte) große Datei eben nicht in einer Sekunde am Ziel ist, sondern zwei- bis dreimal so lange dafür braucht, könnte leicht auf die vollmundigen Marketingversprechungen hereinfallen, die - wie im Fall von 802.11g satte 54 MBit/s versprechen oder gar das Doppelte.

Derzeit sind drei Methoden auszumachen, den Durchsatz im WLAN über die Standards hinaus zu erhöhen:

D-Link setzt auf die von Texas Instruments entwickelte Technologe PBCC-22 (Packet Binary Convolutional Coding), die als proprietäre Erweiterung zu 802.11 die Symbolrate gegenüber dem 802.11b-Standard auf 22 MBit/s und mit einem Software-Update gar auf 44 MBit/s verdoppeln soll.

Lancom verdoppelt durch Bündelung zweier 802.11g-Kanäle den Brutto-Durchsatz auf 108 MBit/s.

US Robotics setzt in ihren 802.11g-Produkten auf Packet Aggregation, also die Gruppierung kurzer zu langen Datenblöcken, um damit die Signalisierungsrate auf 100 MBit/s zu steigern.

So weit die Theorie. In der Praxis bleibt von diesen großen, schönen Zahlen für Signalisierungsrate, Symbolrate oder Brutto-Durchsatz nicht einmal die Hälfte für den Anwender. Für den aber zählt nur, was hinten dabei heraus kommt, also welchen Netto-Durchsatz diese schönen neuen WLAN-Technologien erzielen. So räumt der Pressesprecher der Lancom GmbH, Eckhart Traber im Telefoninterview ein, dass mit der Turbo-Technologie "der Durchsatz so an die 42 bis 44 Megabit pro Sekunde" liege.

Auch die Testergebisse von Dr. Harald Karcher, der Praxistests, die in einem Standard-Mehrfamilienhaus durchgeführt hat, sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache: Statt der 100 MBit/s liefern die Geräte von US Robotics im günstigsten Fall knapp 22 MBit/s.

Brutto - Netto

Dass das Marketing gerne mit den größten zählbaren Ziffern zaubert, verwundert ebenso wenig wie das Fehlen kritischer Selbstdistanz oder der Mangel an Verständnis für das, was man da selbst vollmundig anpreist. Beginnen wir mit der Entwirrung der Begriffe:

Die Informationsmenge, die über eine IEEE802.11-Schnittstelle gesendet wird, wird häufig wie Signalisierungsrate, Linkrate, Datenrate oder Durchsatz bezeichnet. Diese Begriffe haben jedoch unterschiedliche Bedeutung und sind untereinander nicht austauschbar. Denn nicht alles, was da über die Funkschnittstelle gesendet wird, enthält tatsächlich Nutzdaten.

Der WLAN-Standard IEEE802.11b definiert die Signalisierungsrate mit 11 MBit/s, während IEEE802.11g (wie auch 802.11a und HiperLAN2) diesbezüglich mit 54 MBit/s arbeitet. Der wirklich zu erzielenden Durchsatz - der wahre Nutzen also - ist indes deutlich geringer. Signalisierungsrate (engl.: signaling rate), Linkrate, Datenrate, Brutto-Durchsatz. Die 802.11-Standards definieren die Signalisierungsrate durch diejenige Zeit, die für die Übertragung eines einzelnen Bits (Bit-Zeit) benötigt wird. Es gilt also:

Signalrate = 1 / Bit-Zeit

Die Signalisierungsrate beträgt bei 802.11b 1, 2, 5,5 und 11 MBit/s, je nachdem, welche Übertragungstechnologie zum Einsatz kommt. Bei 802.11a und 802.11g steigt sie bis zum knapp Fünffachen von 802.11b an, nämlich auf 54 MBit/s. Weil mit der Signalisierungsrate die Geschwindigkeit gemeint ist, mit der zwei (oder mehr) WLAN-Komponenten miteinander kommunizieren, sind dafür auch die Bezeichnungen Linkrate oder Datenrate üblich - griffiger ist die Bezeichnung Brutto-Durchsatz.

Der 802.11-Standard und seinen Derivaten 802.11b, 802.11a und 802.11g definiert sowohl die physikalischen Layer (PHY) als auch das Protokoll, das bei der Übermittlung zum Einsatz kommt. Mit anderen Worten beschreibt der Standard, welches Format die zu übermittelnden Information haben muss, damit sie ein Empfänger auch verstehen kann. Diese Kommunikationsprotokolle bringen jedoch einen beträchtlichen Overhead mit sich.

Als Overhead bezeichnet man jede Art von Information und Sendezeit, die nicht der reinen Datenübermittlung dienen. Dazu zählen im 802.11-Standard Protokoll-Header zur Geräte-Steuerung, von Übertragungen frei zu haltende Zeitintervalle, in denen Geräte Zugang zum Kommunikationsmedium nachsuchen können, Informationen zur Fehlerkontrolle und zur Flusssteuerung. Der Netto-Durchsatz liegt daher beträchtlich unter dem Brutto-Durchsatz, und wird darüber hinaus von Umgebungsbedingungen wie Dämpfung, Reflektionen, Vorhandensein von Störern etc. weiter gedrückt. Texas Instruments gibt für 802.11b unter idealen Bedingungen 5,5 MBit/s an, für 802.11a und 802.11g sind es 30 MBit/s.

Derzeit gibt es zum Original-802.11-Standard drei Erweiterungen: 802.11b, 802.11a, und 802.11g (in der Reihenfolge der Marktreife). Mit 802.11e soll der 802.11-Standard Echtzeitfähigkeiten erhalten und mit 802.11h - einer Ergänzung zu 802.11a - die für den unbeschnittenen Einsatz im 5-GHz-Band in Deutschland erforderlichen Merkmale DFS (Dynamic Frequency Selection) und TPC (Transmit Power Control).

802.11b mit 802.11g: Mischen impossible

Der Originalstandard war im Jahr 1997 veröffentlicht worden und definierte die Signalisierungsrate mit 2 MBit/s. Mit 802.11b wurde das Modulationsverfahren DSSS eingeführt, mit dem sich der Brutto-Durchsatz auf 11 MBit/s steigern ließ. Mit 802.11a wurde das Modulationsverfahren OFDM in den Standard aufgenommen, das den Brutto-Durchsatz auf 54 MBit/s und die Sendefrequenzen ins 5-GHz-Band hob. Weil dort aber - anders als beim weltweit frei nutzbaren 2,4-GHz-ISM-Band - regionale Restriktionen gelten (so nutzt hierzulande das zivile Luftraumüberwachungsradar bestimmte Bereiche im 5-GHz-Band) und wegen der doppelt so hohen Sendefrequenzen eine Abwärtskompatibilität zu 802.11 oder 802.11b daher grundsätzlich ausgeschlossen ist, sann man auf Abhilfe, indem die schnelle OFDM nun auch im 2,4-GHz-Band einsetzte - der Standard 802.11g war geboren.

Bei 802.11g spielte die Abwärtskompatibilität zu den rund 20 Millionen bereits verkauften 802.11b-Geräte eine wichtige Rolle. 802.11g nutzt zur Durchsatzsteigerung die gleiche Modulationsmethode wie 802.11a, sendet jedoch wie 802.11b im 2,4-GHz-Band. Und obwohl Abwärtskompatibilität zu 802.11b im 802.11g-Standard eine feste Entwicklungsvorgabe war, ist doch die Umsetzung etwas fragwürdig, unterstellt man landläufig doch, dass Kompatibilität mit Koexistenz einher gehen würde. Doch dem ist keineswegs so. Es gibt zwei Gründe für die Unfähigkeit zur Koexistenz von 802.11b und 802.11g:

Zum einen können die "alten" 802.11b-Empfänger OFDM-Daten nicht dekodieren. Folglich können diese Empfänger, gleich ob in Access Point oder in Stations eingebaut sind, nicht erkennen, dass ein 802.11g-Gerät auf dem gleichen Kanal funkt, den man selbst verwendet. Zum anderen nutzen 802.11b und 802.11g unterschiedliche "Short Preambles" - das sind spezielle Datenpakete, mit dem sich die Kommunikationspartner - gleich ob Access Point oder Station - auf gleiche Übertragungsparameter einigen. Durch das Kommunikationsprotokoll CSMA/CD, das kabelgebundene Ethernet-Geräte nutzen, ist ein sendewilliges 802.11b-Gerät gezwungen, erst einmal am "Äther" lauschen, ob der Sendekanal frei ist, bevor es überhaupt Daten verschicken darf. Da es nicht in der Lage ist, eine laufende 802.11g-Übertragung zu erkennen, erachtet es den Sendekanal fälschlicherweise als "frei" und ballert los - mit dem Ergebnis, dass es zu Kollisionen der bereits 802.11g- und der 802.11b-Datenpakete kommt. Das ist zwar nicht tragisch weil die korrupten Datenpakete erneut gesendet werden, geht aber zu Lasten des Durchsatzes - denn die Zeit ist nun einmal verbraucht.

Kompatibilität ja, Koexistenz nein

Einem 802.11g-Gerät sollten solche Fehler zwar nicht unterlaufen, denn es kann ja qua Standard 802.11b-Geräte und deren Aktivitäten "hören". Aber in Mischumgebungen wird wegen der 802.11b-Taubheit für 802.11g-Gesänge der Gesamtdurchsatz leiden.

Und das kann gravierende Ausmaße annehmen: Die testweise Ad-hoc-Vernetzung der "TrueMobile 1300 WLAN Mini-PCI-Card" - sie beherrscht 802.11g und ist fest in ein Dell-Notebook integriert - mit dem USB-802.111b-Adapter, integriert im Notebook MP-XP7250 von JVC, klappte zwar auf Anhieb. Doch die beiden konnten sich lediglich auf eine Signalisierungsgeschwindigkeit von maximal 5,5 MBit/s einigen - die sehr häufig sogar auf 2 MBit/s zusammenbrach - brutto.

Um dieses Problem zu lösen, könnte man nun den Mischbetrieb von 802.11b- und 802.11g-Netzen auf dem gleichen Funkkanal einfach nicht zulassen und stattdessen zwei Funkkanäle nutzen - einen für 802.11b und einen für 802.11g. Da jedoch im 2,4-GHz-Band nur drei der 11 Funkkanäle überlappungsfrei nutzbar sind, wären mit dieser Maßnahme bereit zwei Drittel des verfügbaren Spektrums "verbraucht". Und außerdem wäre diese Lösung denkbar teuer, schließlich müssten alle Kommunikationspartner jeweils mit ZWEI WLAN-Adaptern ausgestattet werden um den gleichzeitigen Betrieb auf zwei Funkkanälen zu gewährleisten.

Mischbetrieb bedeutet: 802.11g ausbremsen

Eine andere Lösung wäre es, eine Netzwerk-Koordinierungs-Instanz á la GSM, Bluetooth oder HiperLAN/2 zu nutzen, wie sie die 802.11-Dienstgüte-Arbeitsgruppe E am IEEE vorschlägt.

Doch selbst wenn 802.11e Wirklichkeit würde um so das Dilemma des Mischbetriebes von 802.11b mit 802.11g zu lösen, so bliebt das Problem, dass "alte" 802.11b-Geräte auf dem e-Auge blind bleiben.

Es gibt noch einen weiteren Lösungsansatz für das Mischbetriebsproblem, der im 802.11-Standard vergraben ist: Der 802.11-Standard ermöglicht es einem Access Point, Stations schlicht dadurch am Senden zu hindern, indem er ihnen den Handschlag (engl.: handshake) verweigert.

Unter Verwendung dieses bereits im 802.11-Ur-Standard vorhandenen Mechanismus funktioniert der Mischbetrieb von 802.11b und 802.11g. Folgerichtig heißt dieser Mechanismus, der 802.11g-OFDM-Verkehr vor 802.11b-Störfeuer bewahrt, schlicht Schutzmechanismus (engl.: Protection Mechanism). Der Preis des Schutzes ist jedoch eine netwerkweite Verschlechterung des Durchsatzes, weil der RTS-CTS-Handshake mehr Overhard produziert und den Nutzen des schnelleren 802.11g-Verfahrens zunichte macht.

Fazit

Der Entwicklung der neuen 802.11g-Technologie ist zwar ihr Bemühen anzusehen, irgendwie mehr Durchsatz mit Abwärtskompatibilität zu 802.11b unter einen Hut zu bekommen, das Ergebnis ist allerdings nicht überzeugend:

Denn für die Anwender zählt nicht, wie viele Bits ein Sender unter idealen Bedingungen in den Äther bläst, sondern welchen Durchsatz sie realiter erzielen können. Und da erweist sich die 802.11+-Technologie von Texas Instruments, die etwa in den AirPlus-Produkten von D-Link zu Einsatz kommt, als vernünftiger Weg.

Daher gilt: Bei Neuinstallationen ist 802.11g interessant - auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, bis die dort angewendeten +- und Turbo-Technologien tatsächlich halten, was die Ankündigungen versprechen. Beim Upgraden respektive Erweitern bestehender 802.11b-WLANs hat sich indes die 802.11+-Technologie bereits heute schon als stabil und durchsatzstark erwiesen.

Mehr Durchsatz ist auch für mehr Sicherheit wünschenswert: Nach heuristisch ermittelten Werten von 1stWAVE verringert die Verschlüsselung der Funkstrecke mit 64 Bit WEP den Durchsatz um 6 bis 10 Prozent, die zeitgemäße 128-Bit-Verschlüsselung kostet 15 bis 25 Prozent.

Über Tom's Hardware Guide

Das Onlinemagazin www.tomshardware.com wurde 1996 von Dr. Thomas Pabst gegründet und anfangs ausschließlich in englischer Sprache publiziert. 1998 kam der deutsche Dienst www.tomshardware.de hinzu. Mittlerweile firmiert Tom's Hardware Guide unter dem Dach der TG Publishing AG und veröffentlicht seine Artikel in Englisch, Deutsch, Französisch, Russisch, Türkisch, Chinesisch, Polnisch und Ungarisch.

Heute erreicht Tom's Hardware Guide über 700.000 deutsche Leser und mehr als 4 Millionen Leser weltweit, die über 60 Millionen Seitenabrufe pro Monat tätigen.

Kernkompetenz der internationalen Redaktion sind die unabhängigen und kritischen Produkttests anhand eigener oder anerkannter Industrie-Benchmarks. Neben regelmäßigen Produktvergleichen finden sich bei Tom's Hardware Guide auch Grundlagenberichte über Digitales Video, Monitortechnologien und 3D-Grafik. Tom's Hardware Guide wendet sich an alle Hardware-Interessierten, egal ob Computerfreak oder Einsteiger. Die Ratgeber werden stets aktualisiert und sind ein ideales Nachschlagewerk vor dem PC- oder Komponentenkauf.

Zur Startseite