Abenteuerlich: So akquiriert der Neue Markt

17.05.2001
Die Unternehmen des Neuen Marktes kaufen Firmen, die gar nicht zu ihnen passen, und verzichten von Haus aus auf externe Fachleute, um sich nicht von Tatsachen irritieren zu lassen. Das sagen jedenfalls die Unternehmensberater.

Keine nachvollziehbare Akquisitionsstrategie, weit gehender Verzicht auf externe Beratung und Schwierigkeiten bei der Integration der gekauften Unternehmen sind kennzeichnend für den Neuen Markt. Das sind die Kernergebnisse einer breit angelegten Studie der Beratungsfirma Ap-con Business Consulting und des Corporate-Finance-Magazins "Fi-nance". Für die Studie wurden 112 Unternehmen am Neuen Markt - repräsentativ nach Branchen ausgewählt - zu ihren Akquisitions-aktivitäten seit ihrem Börsengang befragt.

Durchschnittlich 2,5 Firmen übernommen

Die Bilanz: Gekauft wurde schnell und reichlich. So haben sich mehr als drei Viertel der befragten Unternehmen seit dem Börsengang überwiegend in der eigenen Branche "bedient": Insgesamt wurden 275 Firmen ganz oder anteilig erworben, das bedeutet, man ging im Durchschnitt 3,24 Beteiligungen ein.

Jeder vierte Deal ging dabei auf das Konto von Software-Dienstleistern. Überwiegend hatte man kleine Firmen mit einem Transaktionsvolumen von unter zehn Millionen Mark im Visier. Gerade einmal sechs Prozent aller Beteiligungen haben mehr als 100 Millionen Mark gekostet. Im Gegensatz zu der von den Unternehmensberatern allseits gepredigten Verlängerung der Wertschöpfungskette war die Diversifizierung des Produktportfolios das entscheidende Motiv für den Zukauf. Eine wichtige Rolle spielte auch die Vertriebsstärkung. Trotz Fachkräftemangels wurde die Übernahme des Mitarbeiterstammes hingegen nur selten als Kaufgrund angeführt.

Beim Einkaufen zählt die Geschwindigkeit

Insgesamt verfolgen nur die Wenigsten der Befragten eine klare Akquisitionsstrategie, glauben die Unternehmensberater. Diese Schlussfolgerung lasse auch die Geschwindigkeit zu, mit der Deals durchgezogen werden: "Die meisten Unternehmen ließen nichts anbrennen." Jede zehnte Akquisition wurde innerhalb von 30 Tagen getätigt, bei 60 Prozent dauerte die Verhandlungsphase weniger als drei Mo-nate. "Kein Wunder, dass nicht genügend Zeit blieb für eine ordentliche Due Diligence durch einen Berater", resümieren die Experten. "Das können wir am besten alleine" sei bei 65 Prozent der Deals die Devise gewesen. Die Firmen verzichteten meist auf einen externen Berater.

Ein Grund für die "beinahe blinde Kauflust" sei sicherlich die Notierung im Wachstumssegment Neuer Markt gewesen: Viele Vorstände wurden von den eigenen Wachstumsversprechen getrieben, das unzureichende interne Wachstum durch Akquisitionen zu ergänzen. Apcon-Berater Klaus Blettner: "Unter altgedienten Industriekapitänen gelten Firmenübernahmen schon geraume Zeit als ,letztes großes Abenteuer‘. Dass aber auch die New Economy so abenteuerlich - weil konzeptlos - einkauft, überrascht. ,Schluckbeschwerden‘ sind dann eben unvermeidlich." Für weitere Fragen zur Studie steht Klaus Blettner unter blettner@it-corporatefinance.com zur Verfügung.

www.it-corporatefinance.de

ComputerPartner-Meinung:

Wir haben es ja schon immer geahnt: Geld verdirbt halt doch den Charakter. Dass es sich auch auf den gesunden Menschenverstand negativ auswirken kann, haben wir dank Apcon nun auch noch schriftlich. Für eine "Beweisführung" vor der Börsenkrise hätte sich sicher auch so mancher Aktionär bedankt. (mf)

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