Adobe kauft Kunden und Kanäle

14.06.1996
UNTERSCHLEISSHEIM: Die Softwareindustrie wandelt sich von einer mittelständisch und kleinunternehmerisch geprägten Innovationsplattform zum Boxring für Großunternehmen. Neben den Giganten IBM und Microsoft hat sich Stück für Stück ein weiterer großer Player in die vordere Reihe der Anbieter-Phalanx eingekauft: Adobe. Mit 762,3 Millionen Dollar Umsatz ist der kalifornische Hersteller dritter unter den unabhängigen Programmanbietern. Tendenz steigend.Bis vor zwei Jahren war Adobe vor allem für zwei Dinge bekannt: eine enge Bindung zu Apple und Postscript. Die Seitenbeschreibungssprache, die den DTP-Markt in der ersten Hälfte der Achtziger erst ins Leben rief, war das Brot- und Buttergeschäft des kalifornischen Herstellers. Heute gehen Lizenzzahlungen aller namhaften Hersteller im Publishing-Business in Mountain View ein. Im letzten Jahr waren das 183,4 Millionen Dollar.

UNTERSCHLEISSHEIM: Die Softwareindustrie wandelt sich von einer mittelständisch und kleinunternehmerisch geprägten Innovationsplattform zum Boxring für Großunternehmen. Neben den Giganten IBM und Microsoft hat sich Stück für Stück ein weiterer großer Player in die vordere Reihe der Anbieter-Phalanx eingekauft: Adobe. Mit 762,3 Millionen Dollar Umsatz ist der kalifornische Hersteller dritter unter den unabhängigen Programmanbietern. Tendenz steigend.Bis vor zwei Jahren war Adobe vor allem für zwei Dinge bekannt: eine enge Bindung zu Apple und Postscript. Die Seitenbeschreibungssprache, die den DTP-Markt in der ersten Hälfte der Achtziger erst ins Leben rief, war das Brot- und Buttergeschäft des kalifornischen Herstellers. Heute gehen Lizenzzahlungen aller namhaften Hersteller im Publishing-Business in Mountain View ein. Im letzten Jahr waren das 183,4 Millionen Dollar.

Die Firma wurde als Technologieschmiede geschätzt. Kaum ein Analyst hätte ihr jedoch strategisch wichtige Bedeutung im Softwaremarkt zugemessen. Das Marktsegment Grafiksoftware, das von Adobe mit Produkten wie Photoshop und Illustrator bedient wurde, war damals nicht mehr als eine gutgehende Nische. Das hat sich gewaltig geändert. Der Softwaremarkt hat sich auf Adobe zu entwickelt. In den letzten Jahren schluckten die Kalifornier eine Firma nach der anderen. Inzwischen hat sogar das amerikanische Kartellamt (FTC) ein Argusauge auf jede Adobe-Investition.

Gezielte Kooperationen

Das Kerngeschäft klein halten und zur Diversifizierung gezielt mit starken Partnern kooperieren, hieß in den Achtzigern die Strategie der Firmengründer Warnock und Geschke. Damals waren die wichtigsten Partner Apple und Aldus. Mit Apple verband das Unternehmen der gemeinsame Grafikmarkt sowie das Image und das Flair von Exklusivität. Adobe und Apple waren die Hausfirmen der Werber und damit etwas Besonderes.

Aldus dagegen war nicht mehr und nicht weniger als ein wichtiger Geschäftspartner. Mit dem PageMaker - der wichtigsten DTP-Software - hatte Aldus ein Produkt, das für die Technologie Postscript von Adobe hervorragend als Marktöffner dienen konnte.

Diese Partnerschaften funktionierten bis 1994 einwandfrei, doch dann geriet der Markt plötzlich in Bewegung. Quark mit XPress und Corel mit Ventura nagten an der Vormachtstellung des PageMaker. Hinzu kam, daß Aldus Unsummen in die Entwicklung von FreeHand (Grafikprogramm) und Photostyler (Bildbearbeitung) investierte und damit frontal gegen die Adobe-Flaggschiffe Illustrator und Photoshop anging. Der Renommier-Anbieter geriet ins Trudeln. Kurzerhand schätzte Geschke das Potential von Aldus ab, übernahm das Haus und entledigte sich bald darauf des Ballasts FreeHand/Photostyler. Der Kaufpreis war mit 450 Millionen Dollar so hoch angesetzt, daß die Aldusbesitzer kaum "nein" sagen konnten. Der damalige Aldus-Geschäftsführer für Deutschland, Jesse D. Young, wurde mit dem Posten des Adobe-Geschäftsführers geködert.

Der Aldus-Kauf war nur der Anfang einer Übernahmewelle, die ihresgleichen sucht. 1995 erwarben Geschke und Warnock Ceneca, einen Hersteller von Internet-Software, sicherten sich mehrheitliche Anteile an den Technologieschmieden Cascade, Crosswise, Fractal Design, mFactory, Salon und ande-

ren und landeten ihren bisher größten Coup: die Übernahme von Frame Technology.

Für diesen Kauf hagelte es in der Fachwelt zunächst heftige Schelte, denn der Preis von über 500 Millionen Dollar schien für das Ein-Produkt-Unternehmen Frame nicht gerechtfertigt.

Das Jahr der Übernahmen

Auch die Eingliederung des FrameMaker in Adobes Portfolio schien schwierig, bedenkt man, daß sich die Kalifornier in die Marktsegmente Unix und Technische Dokumentation vorwagten, mit denen sie bis zu diesem Zeitpunkt fast nichts zu tun hatten. Ein amerikanischer Marktbeobachter unkte damals: "Adobe scheint alles kaufen zu wollen, was irgendwie nach DTP aussieht." Geschke konterte gelassen: "Wir kaufen Umsatz, eine Kundenbasis und ein Unternehmen, das den Sprung über die Gewinnschwelle geschafft hat." In der Tat hatte Frame 1994 nach zahlreichen Entlassungen - unter anderem wurde das gesamte Management ausgetauscht - erstmals 9,4 Millionen Dollar Gewinn gemacht.

Vor allem die Vertriebsstruktur und die Kundenbasis sind für Adobe Gold wert. Der FrameMaker wird nämlich vorrangig zur technischen Dokumentation eingesetzt und diese ist vor allem in den industriellen Großbetrieben Deutschlands vonnöten. Zur Referenzliste von Magirus - das Stuttgarter Unternehmen vertreibt den FrameMaker - gehören die Lufthansa, Daimler Benz und VW. Auch BMW erzeugte alle Bedienungsanleitungen, Servicehandbücher und das Schulungsmaterial für die Boxer-Motorräder mit FrameMaker. Welch ein Marktpotential für ein Unternehmen, das bisher mit Werbeagenturen und freischaffenden Grafikdesignern als Klientel umzugehen hatte.

Hinter dem Frame-Kauf steckte allerdings ein weiterer, wesentlich subtilerer Gedanke, der erst jetzt - nach der vollzogenen Umstrukturierung im Hause Adobe - offenbar wird. FrameMaker soll als Vehikel der Vermarktung von Acrobat dienen. Damit will Adobe einen zweiten Quasi-Standard nach Postscript schaffen, der zu hohen Lizenzeinnahmen führen soll: PDF.

Das funktioniert wie folgt: Acrobat ist das Werkzeug, um Dokumente in PDF (Portable Document Format) darzustellen und zu lesen. Damit sollen vor allem Systembrüche, unterschiedliche Hardwareplattformen und der elektronische Dokumentenversand auf sichere Füße gestellt werden. Durch den Reader Amber können solche Dokumente auch Bestandteil von Internet-Seiten sein. Eine ideale Plattform für den Vertrieb von Schulungsunterlagen und Dokumentationen.

Andererseits ist der FrameMaker das Werkzeug, um komplexe strukturierte Dokumente zu erstellen und zu verwalten. Die beiden bilden somit ein gutes Gespann. Adobe will bei potentiellen Kunden über den Umweg Technische Dokumentation die gesamte Dokumentenverarbeitung und -verwaltung erneuern. Ein Markt gewaltigen Ausmaßes, insbesondere da derzeit viele Unternehmen darüber nachdenken, das Internet als Kommunikationsplattform zu nutzen.

FrameMaker soll Acrobat den Weg ebnen

Der FrameMaker soll für Acrobat die Rolle spielen, die der PageMaker für Postscript einnahm. Zu diesem Zweck hat Adobe den Vertrieb der Produkte neu geordnet. Unter Strukturierte Dokumente fassen die Münchner jetzt FrameMaker und Acrobat zusammen und unter Graphics Arts die klassische Adobe-Software. Das neu eingeführte Authorized Partner Program soll dazu dienen, die Händler auszudifferenzieren und ihnen die Produkte an die Hand zu geben, die sie am besten verkaufen können.

Nebenkriegsschauplätze

Kaum war diese Umstrukturierung abgeschlossen, hielt sich Adobe nicht lange auf und griff bereits den nächsten Markt an, das Internet selbst. Mit seinen Produktionstools PageMill und SiteMill adressiert Adobe den Standardanwender. Die PageMill ist das Werkzeug, das der Erstellung von Seiten dient. Die SiteMill verwaltet diese. Mit dieser Produktkombination schießt Adobe frontal gegen Microsoft und dessen Neueinkauf Frontpage. Ein Gegner, den Adobe bisher sorgsam mied. Beide Produkte - sowohl FrontPage als auch PageMill/SiteMill - leisten ungefähr das gleiche. 30000 Pakete der PageMill will Adobe im ersten Monat bereits verkauft haben. Das anvisierte Ziel lautet dementsprechend: Die Marktführerschaft im Internet-Publishing. Um den großen Konkurrenten aus Redmond aber nicht zu sehr zu verärgern, dehnt Adobe diesen Begriff auch auf die Publishing-Produkte wie PageMaker und Photoshop aus. Damit ist dem Konkurrenzkampf die Schärfe genommen.

Vorstoß ins Druckergeschäft

Gleichzeitig bildet das Konsortium Apple, Netscape und Adobe eine Allianz, die das PDF-Format zum Dokumentenstandard im Internet erheben möchte. Damit würde dann auch endlich Schriftenvielfalt im World Wide Web zu finden sein. Die True Type Standards stehen schon Gewehr bei Fuß. Apple klammert sich an den starken Strohhalm Adobe, der wiederum die momentane Schwächeperiode des Mac-Herstellers dafür nutzt, alle neuen PowerMacs mit Adobe-Software zu bündeln.

Diese Stärke nutzt Adobe zur Zeit für ein weiteres ehrgeiziges Projekt. Der Markt, den sich die Kalifornier ausgesucht haben, heißt Druckvorstufe. Dieser Markt befindet sich derzeit in Abwartehaltung: Der Analogdruck leidet unter einem starken Kostenproblem, der Digitaldruck bringt noch nicht die gewünschte Qualität. Und der Druckmaschinenhersteller Heidelberg, der die meistbegehrte digitale Druckmaschine anbietet, kommt mit der Produktion nicht nach. Lieferzeiten von zwei Jahren sind hier die Regel.

Genau auf diesen Markt stürzt sich jetzt auch Adobe. Allerdings zur Risikominderung im Verbund mit 26 OEM-Partnern. Zusammen will man unter dem Namen Supra eine Druckarchitektur für den High-End-Bereich definieren. Basis dieser Architektur sind - wer hätte das gedacht - Postscript und das PDF-Format. Auch wenn Jesse D. Young sich gegen Mutmaßungen wehrt ("Für uns ist die Druckvorstufe nur ein Zusatzgeschäft"), ein zweiseitiger Grundsatzartikel in der Adobe-Hauszeitung stimmt die Mitarbeiter schon auf die Zukunft ein. Zitat: "Supra wird einen dramatisch erweiterten Durchfluß beim Drucken bringen." Die Zukunft hat also schon begonnen. Und wen kauft Adobe als nächstes?

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