AIST: Ein Videospezialist erliegt der Versuchung Internet

04.06.2000
Werkzeuge für die Videonachbearbeitung sind ein echtes Fachhandelsthema. Nicht (mehr) für den Softwarespezialisten AIST. Das Ampfinger Unternehmen kehrt dem Handel den Rücken und setzt künftig fast ausschließlich auf den Vertrieb über das Internet.

Wie schafft man es als Startup-Unternehmen, sich möglichst schnell in das Bewusstsein des Kunden zu bringen? Man schenkt dem Kunden was Tolles. Zu diesem Schluss kam die erst 1995 gegründete Animated Image Systems Technology GmbH (AIST). Der bayerische Spezialist für Softwarelösungen zur digitalen Bild- und Videobearbeitung will ab Sommer den Kunden ein hochwertiges Multimediawerkzeug namens "Movie Explorer" zum kostenlosen Download zur Verfügung stellen. Das Tool dient in der Grundstufe vor allem zum Betrachten, Archivieren und Bearbeiten von Bildern und soll sich durch zusätzliche (teilweise kostenpflichtige) Plug-ins deutlich erweitern lassen. Ralf Schäfer, Geschäftsführer der AIST GmbH in Ampfing, peilt eine Million Downloads bis zum Jahresende an.

Schäfer sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass das Kerngeschäft des Unternehmens, hochwertige Software zur Videonachbearbeitung, durch die zunehmende Integration von Videoschnittlösungen in Standardrechner bedroht ist. Die Preise für die dafür notwendigen Firewire-Boards gehen weiter in den Keller, so dass Heim-PCs, wie etwa ein I-Mac von Apple, heute schon hard- und softwareseitig mit einer kompletten Grundausstattung zum Schneiden von Videofilmen ausgestattet sind. Hier besteht für den Kunden wenig Handlungsbedarf, sich weitere Software zu diesem Zweck zu kaufen.

Zwar konnte AIST vor kurzem einen OEM-Bundling-Vertrag mit Electronic Design unterzeichnen, wonach die Produktpalette des Videokartenherstellers mit der "Movie Pack"-Bearbeitungssoftware (siehe ComputerPartner 36/99, Seite 34) ausgeliefert wird. Allerdings könnte das für AIST schon der letzte Deal in diese Richtung gewesen sein. "Ich weiß gar nicht mehr, ob ich noch in das OEM-Bundlegeschäft will", sagt Schäfer dazu. Zu gering seien die dadurch zu erwartenden Margen und die Marktdurchdringung. Die Marktführer Pinnacle Systems und Fast Multimedia haben sich zudem seit langem auf die Produkte von Adobe und Ulead festgelegt.

Das in Kürze auch als separate Software erhältliche Movie Pack vertreibt das Unternehmen auch direkt im Internet. Den 45.000 registrierten Beta-Testern wird die Vollversion zum Spezialpreis von 499 statt 1.799 Mark offeriert.

Der Fachhandel wird ins Highend-Segment gedrängt

Die rund 400 registrierten Fachhandelspartner schauen dabei mit dem berühmten Ofenrohr ins Gebirge. Auch im Folgegeschäft mit Plug-in-Erweiterungen soll sich der Kunde die Tools weiter gegen Bezahlung von der AIST-Homepage downloaden. "Unsere Profi-Line-Partner haben mit den kommenden "Cinegy"-Produkten eine gute Möglichkeit, ihre Beratungsqualität auszuspielen", versucht Schäfer zu beschwichtigen. Das zum vierten Quartal lieferbare Profi-Tool (Preisbereich um 3.500 Mark) wird sich jedoch kaum in großen Stückzahlen vermarkten lassen. Zu stark ist dieser überschaubare Markt von semiprofessionellen und hauptberuflichen Cuttern bereits mit Konkurrenzprodukten etwa von Fast oder Avid besetzt.

Schade eigentlich, denn mit einer durchgehenden Produktlinie, angefangen vom günstigen Bildbearbeitungstool bis hin zur voll skalierbaren Videoschnittlösung für anspruchsvolle User, hätte AIST für den Fachhandel eine echte Sortimentserweiterung darstellen können. So bleibt am Ende ein Unternehmen, das der Versuchung des Direktgeschäftes unter Umgehung des Wiederverkäufers nicht widerstehen konnte. (akl)

www.aist.de

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