Aktuelle Entwicklungen im Kauf- und Sachmängelgewährleistungsrecht

11.12.1998

BAIERSBRONN: Eine Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen - meist von Oberlandesgerichten - ist in den letzten Jahren zum Gewährleistungs- und Kaufrecht ergangen. Entscheidungen, die auch den IT-Fachhandel betreffen, erklärt im folgenden Wilfried Gaiser*.Das Fehlen eines Benutzerhandbuchs beziehungsweise einer umfassenden schriftlichen Fixierung als selbständiger Funktionsteil einer EDV-Anlage ist nach zwischenzeitlich gefestigter Ansicht kein Sachmangel, sondern stellt eine teilweise Nichterfüllung im Sinne der Paragraphen 320 ff und 326 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) dar. Die Ansprüche des Käufers beziehungsweise des Bestellers hieraus verjähren in der Frist des Paragraphen 195 BGB - so der Bundesgreichtshof (BGH) mit Urteilen vom 4.11.1992 -Aktenzeichen VIII ZR 165/91 - und vom 10.3.1998 - X ZR 70/96.

Kauf von EDV-Anlagen

Wird das Handbuch beziehungsweise das Dokumentationsmaterial in wesentlichen Teilen nicht zur vereinbarten Zeit geliefert, kann der Käufer oder Besteller unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Erwerbs der EDV-Anlage als Werk- oder Kaufvertrag nach Paragraph 326, Absatz 1, BGB vorgehen. Dabei wird die Nachfrist von zwölf Tagen für die Lieferung des Dokumentationsmaterials regelmäßig als ausreichend angesehen - so das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit dem Urteil vom 12.7.1991 - 22 U 30/91 - und das OLG Köln mit Urteil vom 3.12.1993 - 19 U 157/93.

Die Rüge der Nichtlieferung eines Handbuchs ist jedoch verwirkt, wenn der Software-Lieferant die Einweisung des Verkaufs vornimmt und der Anwender erst nach fast zwei Jahren Nutzungszeit das Fehlen eines Handbuchs beanstandet - so das OLG Köln mit Urteil vom 26.8.1994 - 19 U 278/93.

Nach einer neueren Entscheidung des OLG Köln vom 14.2.1997 - 19 U 205/96 - ist die Berufung des Käufers auf die Paragraphen 320 und 326, Absatz 1, BGB auch dann rechtsmißbräuchlich, wenn sie knapp ein Jahr nach Übergabe der Anlage und nach mehrfacher Annahmung des Kaufpreises erstmals in der Berufungsbegründung nach Unterliegen in der ersten Instanz erfolgt. Denn durch die monatelange, rügelose Benutzung oder die Vorführung der gekauften Hardware zum Zweck des gewerblichen Weiterverkaufs gibt der Käufer nach Ansicht des OLG Kölns zu erkennen, daß er auf das Handbuch nicht angewiesen ist oder darauf keinen Wert legt.

Verjährung bei qualifizierter Verkaufsberatung

Das Gleiche gilt, wenn er das englischsprachige Benutzerhandbuch entgegengenommen und quittiert hat und das Fehlen der deutschen Version erst im nachfolgenden Rechtsstreit rügt - so das OLG Köln mit Urteil vom 20.1.1995 - 19 U 115/93.

Die kurze Verjährungsfrist des Paragraphen 477, Absatz 1, BGB ist grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn der Verkäufer oder Fachhändler eine kaufvertragliche Nebenpflicht zur sachgemäßen und umfassenden Aufklärung und Beratung über zusicherungsfähige Eigenschaften der Kaufsache verletzt. Dabei ist es gleichgültig, ob die Eigenschaft einen Mangel nach den Paragraphen 459 ff BGB darstellt oder nicht.

Unter ganz besonderen Voraussetzungen kann nach Ansicht des BGH ein "selbständiger Beratungsvertrag" zwischen den Parteien des Kaufvertrags zustandekommen, wenn die Beratung des Verkäufers eindeutig über das hinausgeht, was im allgemeinen seitens des Verkäufers für eine sachgemäße Anwendung oder den Einsatz des Kaufgegenstandes in beratender oder empfehlender Weise geleistet wird.

Ein solcher Beratungsvertrag tritt dann selbständig neben den Kaufvertrag. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung (PVV) wegen Schlechterfüllung eines selbständigen Beratungsvertrags verjähren nach Paragraph 195 BGB in 30 Jahren. Egal ob sich die Beratungspflicht auf die Kaufsache bezieht oder nicht.

An eine solche, durch die Ausdehnung der Verjährungsfrist verschärfte Haftung des Verkäufers ist aber nur zu denken, wenn sich seine beratende Tätigkeit nach Inhalt, Umfang, Intensität und Bedeutung für den Käufer so sehr verselbständigt hat, daß sie gewissermaßen als andersartige, auf eigener rechtlicher und tatsächlicher Grundlage beruhende Aufgabe des Verkäufers erscheint, urteilte der BGH am 23.7.1997 - VIII ZR 238/96.

Kaufmännische Rügepflicht bei EDV-Anlagen

Der Fachhändler ist in seinem Interesse verpflichtet, eine gelieferte Ware unverzüglich nach der "Ablieferung" zu untersuchen, andernfalls gilt eine fehlerhafte Lieferung, aber auch eine Mehr- oder Minderlieferung als genehmigt. Unter "Ablieferung" im Sinne des Paragraphen 377, Absatz 1, HGB ist nicht erst die Ankunft der Ware am Bestimmungsort - etwa beim Endkunden - zu verstehen, sondern schon derjenige Vorgang, durch den der (Zwischen-) Käufer die Möglichkeit erlangt, sich durch einseitigen Akt den Gewahrsam an der Ware zu verschaffen und über diese tatsächlich zu verfügen. Kann ein Fehler nur dadurch ermittelt werden, daß ein Teil der Ware umgestaltet oder sogar verbraucht wird, muß der Käufer nach einem Urteil des OLG Oldenburg vom 5.9.1997 - 6 U 113/97 - auch diese Maßnahmen treffen.

Bei mehreren Mängeln muß nach Ansicht des BGH jeder Mangel gesondert gerügt werden. Auch Mängel einer Nachbesserung müssen erneut angezeigt werden. Hierfür hat der Käufer die Darlegungs- und Beweislast - so der BGH mit Urteil vom 17.12.1997 - VIII ZR 231/96.

Insbesondere beim Kauf von EDV-Anlagen ist eine "Ablieferung" im Sinne des Paragraphen 477, Absatz 1, BGB und des Paragraphen 377 HGB erst anzunehmen, wenn die Anlage nach Einweisung des Personals den Käufer mindestens einen, gegebenenfalls mehrwöchigen "Probelauf" zur Überwindung immer wieder vorkommender Anfangsschwierigkeiten absolviert hat - so das OLG Koblenz mit Urteil vom 10.7.1992 - 2 U 510/89.

Das OLG Hamburg verlangt eine vollständige Lieferung der Hard- und Software, die Einweisung des Verkaufspersonals, die Aushändigung des Benutzerhandbuchs sowie einen im wesentlichen störungsfreien Probelauf - Urteil vom 26.7.1996 - 12 U 5/96.

Das OLG Hamm hält mit Urteil vom 3.2.1997 - 13 U 153/96 - bei der erstmaligen Veräußerung eines umfangreichen Softwarepakets an einen neuen Kunden die Erstinstallation der Software als Voraussetzung einer Ablieferung nach den Paragraphen 477 BGB und 377 HGB sowie einer Abnahme nach den Paragraphen 638 und 640 BGB für erforderlich.

*Wilfried Gaiser ist Rechtsanwalt in Baiersbronn.

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