Alle Teile des Unternehmens müssen mitziehen

21.10.1999

MÜNCHEN: Der Markt des elektronischen Handels steht noch am Anfang, und doch zeichnet sich nach Ansicht von Morten Steen-Jörgensen* eine Tendenz ab vom schnell eingerichteten Onlineshop hin zur strategisch geplanten und in die traditionellen Geschäftsprozesse eingebundenen E-Commerce-Lösung.Die Entscheidung, in den elektronischen Handel einzutreten und über das Internet zu verkaufen, ist für ein Unternehmen in der Bedeutung so entscheidend, wie es die Anschaffung von Computern vor gut 20 Jahren war. Dabei handelt es sich um eine strategische Entscheidung, die vom Vorstand und der Geschäftsleitung getragen und von sämtlichen Mitarbeitern akzeptiert, umgesetzt und "gelebt" werden muß. Der Hebel muß ganz oben, in den Vorstandsetagen, angesetzt werden, um das Internet-Geschäft erfolgreich zu "stemmen". Vielfach herrscht noch der Irrglaube vor, ein gutes Interface-Design und ein interessantes Produktsortiment machen den Onlineshop automatisch zum Kassenschlager. Dabei wird meist übersehen, daß Internet-Business weitreichend in die Geschäftsprozesse eingreift und alle Aspekte des unternehmerischen Handelns beeinflußt - von der EDV-Infrastruktur über organisatorische und logistische Strukturen bis zur gesamten Wertschöpfungskette.

Bevor das Internet explosionsartig gewachsen ist und auch im Geschäftsumfeld seinen festen Platz eingenommen hat, war EDI (Electronic Data Interchange) das Schlagwort, wenn es um elektronische Orderabwicklung, Versand- und Zahlungsweisen ging. EDI war die einzige Alternative, auf elektronischem Wege auftragsbezogene Prozesse verschiedener Unternehmen - klassisch beheimatet in der Automobilbranche zwischen Hersteller und Zulieferer - zu koppeln. Fehlerquellen, hervorgerufen durch menschliche Bearbeitung im Workflow, fielen fortan weg. Die jeweiligen Back-Office-Systeme kommunizierten auf Basis von Formaten wie Edifact. Dadurch wurden Optimierungspotentiale im großen Stil freigesetzt, doch hat sich diese proprietäre Lösung oft als starr, zu komplex und damit zu wartungsbedürftig und kostenintensiv erwiesen. EDI ist teuer und für kleine und mittlere Unternehmen nicht einsetzbar. Mit dem Handel im virtuellen Raum und der Vielfalt, die das Internet bietet, eröffnen sich den Unternehmen Potentiale, die alles bisher Dagewesene verändern und neu definieren werden.

Integration ist ein Muss

Alle heute am Markt bestehenden E-Commerce-Systeme verfügen über grundlegende Komponenten wie Datenbanken oder Schnittstellen zu Datenhaltungs-, Verwaltungs- und Warenwirtschaftssystemen. Die Erfah-

rung zeigt, daß der Unterschied in der Effizienz solcher Systeme im wesentlichen davon abhängt, inwieweit das Internet-Business in bestehende IT-Infrastrukturen und vorhandene Arbeitsprozesse integrierbar ist. Häufig wird der Fehler gemacht, daß elektronische Bestellungen in der Mailbox eines Mitarbeiters gesammelt werden und ab dort das gesamte System manuell wieder durchlaufen. Elektronisches Business sollte jedoch frühestens in der Produktion wieder in eine physikalische Handlung übergehen. Erst wenn Produkte und Services, die auf traditionellem Weg bestellt werden können, auch direkt dem Web und dem elektronischen Handel zugänglich gemacht werden, läßt sich von einem integrierten und flexiblen System reden. Erst dadurch zahlen sich Investionen in IT-Systeme im Sinne von Cost-of-Ownership/Return-on-Investment aus.

Vorteil: Kundenbindung

Oft wird eine E-Commerce-Lösung nur als Shop-in-the-Box-Lösung angesehen und der Einsatz von Internet-Business weit unterschätzt. Es wird gerne vergessen, daß es sich dabei um einen neuen Vertriebskanal handelt, der aufgebaut, gepflegt und auch beworben werden will. Es nützt niemanden, wenn eine E-Business-Lösung existiert, aber keiner in der Öffentlichkeit davon weiß oder mannur durch Zufall darauf stößt.Viele Unternehmen fragen - zu Recht - nach den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Kunden. Dabei unterscheiden sich die Bedürfnisse der Endverbraucher zunächst kaum von denen der Wiederverkäufer. Geschäftspartner wie Distributoren, Fachhändler oder die Verbraucher an ihren PCs, sie alle sind Kunden. Schnelligkeit und hohe Verfügbarkeit sind nötig, die den Austausch von Echtzeitdaten und aktuellen Informationen ermöglichen. Direktes und schnelles Reagieren gehört ebenso dazu wie die Möglichkeit, kundengerecht maßgeschneiderte Lösungen anzubieten und individuell auf Kundenanfragen zu antworten. Der Marketingbegriff "Customer Relations" steht hier für einen engeren Kontakt zum Kunden, der den Unternehmen erhebliche Wettbewerbsvorteile sichert. Nur ein zufriedener Kunde ist ein loyaler Kunde, und es ist allemal leichter, einen bestehenden Kunden zu behalten als einen neuen zu gewinnen. Der Trend im Online-Business geht dahin, einen kleineren, aber festen Kundenstamm mit einer Vielzahl von Produkten zu bedienen, und weg von dem Prinzip, wenige Produkte an viele Kunden breit zu streuen.

Neben den Prozessen der Kundengewinnung, -bindung und -services, die einen hohen Stellenwert einnehmen, vermittelt das Internet-Business den Unternehmen ungeahnte Marktkenntnisse. Werden diese richtig ausgewertet, ist es ein leichtes, Produktentwicklungen zu optimieren und schneller voranzutreiben. Marketingmaßnahmen, die sich erfolgreicher und zielgruppenorientierter gestalten lassen, machen sich Unternehmen mit professionellen Lösungen ebenso zu Nutzen wie vertriebsunterstützende Maßnahmen. Haben die Mitarbeiter im Vertrieb die entsprechenden Werkzeuge zur schnellen, detaillierten Informationsbeschaffung über die Internet-Geschäfte zur Hand, werden sie jederzeit professionell auf fachlich geschulte Einkäufer reagieren können.

Strategie dringend nötig

Neben der höheren Effizienz und den Kosteneinsparungen, die nicht zuletzt durch die Optimierung der Lagerhaltung und die kürzeren Time-to-Market-Zeiten für neue Produkte entstehen, ist ein weiterer Aspekt unter strategischem Gesichtspunkt entscheidend für die Unternehmen. Sie haben die Möglichkeit, Geschäftsprozesse und bestehende Systeme übergreifend auf Basis der neuen Technologien zu optimieren. Gleich wie unterschiedlich und komplex vorhandene Systeme in den verschiedenen Abteilungen sind, es muß eine komplette Integration in die Internet-Lösung gewährleistet sein. Wer möchte schon in einen elektronischen Handel investieren, der nicht skalierbar ist und kein Wachstum erlaubt?

Ging es vor fünf, sechs Jahren noch hauptsächlich darum, im Netz präsent zu sein und das Unternehmen darzustellen, stand in den Jahren darauf der interaktive Aspekt im Vordergrund. Elektronische Mails und die Recherche über das Internet beherrschten das Geschehen. Heute sieht die Situation schon ganz anders aus. Unternehmen nutzen das Internet für sicheres und schnelles Einkaufen und Verkaufen und stellen mehr und mehr fest, daß eine E-Commerce-Lösung strategisch durchdacht sein muß, um sie profitabel und investitionssicher einzusetzen. Jetzt ist die Phase angebrochen, in der entschieden wird, ob der Übergang von Stand-alone-Lösungen oder Back-end-integrierten Transaktionen hin zu einer wahren Internet-Business-Lösung geschafft wird, die unternehmensweit Geschäftsprozesse sowie IT- und Verwaltungssysteme einbindet. Ist ein Unternehmen nicht bereit, sich auf Managementebene mit dem Thema E-Commerce umfassend auseinanderzusetzen, es als Ganzes zu sehen und grundlegende Veränderungen herbeizuführen, wird es nicht wettbewerbsfähig bleiben und bereit für das nächste Jahrtausend sein.

*Morten Steen-Jörgensen ist Administration Director bei Catalog International A/S.

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