Alles Europa oder was?

19.10.2000
Harry Potter und der Goldesel Preisbindung

Kaum färben sich die Blätter bunt, geht das Gezittere um die Preisgestaltung zur Hauptsaison los. Kalkulieren ist derzeit sinnlos, bestellen und hoffen passt schon eher. Bis zur diagnostizierten Schwindsucht der teileuropäischen Währungseinheit lag der Gewinn im Firmengeschäft in dem kurzen Zeitraum zwischen Angebot und Auftragsbestätigung. Besonders beliebt: die Verwaltungen, Kommunen et cetera mit einer Gewinnspanne von knapp zwei Monaten Preisverfall. Doch jetzt kann es passieren, dass plötzlich die Preise steigen wie letztens bei den Monitoren. Jubel beim Distributor und lange Nächte beim Fachhändler um die Ecke, der hoffen muss, dass sein Angebot vom letzten Monat über 25 neue Monitore für den Computerraum der Realschule nicht zum Zuge kommt.

Ganz anders im Buchladen um die andere Ecke. Voller Vorfreude wird dort die Kasse geputzt, der Sekt kaltgestellt und Kleingeld sortiert, um dem Wochenend-Boom der Harry-Potter-Fans zu begegnen. Kein Media-Markt mit Sonderangeboten wie "Harry Potter nur 19,95" und kein Bücherflohmarkt mit "krasser Zauberlehrling von Laster gefallen", kein Student mit "Ich schreib‘ dir das für die Hälfte" oder der freundliche Kollege mit "Ich kenne da einen, der kennt sich damit aus" vermiest den Staubfängerhändlern die Marge. Dann stelle ich mir in meinem jung gebliebenen Leichtsinn vor, "Tomb Raider 5" erscheint, und wir haben endlich die Preisbindung bei Software. Doch nicht einmal bei den Lexika oder der elektronischen Umsetzung von "Der kleine Prinz".

"Gesegnet sei die Preisbindung und nieder mit der Marktwirtschaft", werden auch die zahllosen Ärzte, Anwälte und Architekten jeden Abend vor dem Einschlafen beten. Von wegen Dienstleistung! Warum dürfen Architekten, Statiker, Anwälte, Notare preisgebunden oder mit Mindesthonorar berechnen? Warum kann ich beim Arzt keine Prozente aushandeln? Wieso sind Handwerkerrechnungen sofort und ohne Abzug zahlbar und meine nicht? Diese maroden Systeme sind Existenzgrundlage für die Gelegenheitsabmahner, für Abrechnungsbetrug und Dienstleistungsnepp privilegierter Sonderlinge. Weg damit, der billigste Arzt bekommt den Auftrag. Und wir? Dank Europa haben wir uns vom PC-Konstrukteur über den Verkäufer zur unbezahlten IT-Auskunft entwickelt. Es fehlt an einem Konzept für die Zukunft des Fachhandels, das den Kaufmann und seine Erfüllungsgehilfen ernähren kann. Es gibt kein Ziel, keinen Weg dahin.

Mein Fazit: Wir sind die Grundversorgung der Informationsgesellschaft, doch was passiert, wenn der Dollar im Dezember auf eine Mark achtzig fällt?

Bis demnächst, Euer Querschläger!

Der ComputerPartner-Autor "Querschläger" ist ein Fachhändler aus Rheinland-Pfalz.

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