Als PC-Eersatz sind Thin Clients nicht gefragt

02.04.1999

MÜNCHEN: Einst als das Schreckgespenst gegen die Wintel-Allianz angetreten, bekam das Konzept des Netzwerk-Computers(NC) einige Schrammen ab. Zumindest in Deutschland ist noch keine Erfolgsstory in Sicht. Immerhin scheinen sich Banken und Versicherungen langsam für die Vorteile des NCs zu erwärmen. In dieser Branche sind für Systemhäuser noch am ehesten Kunden zu gewinnen.

Als IBM 1996 seinen plattenlosen Netzwerk-Computer (NC) vorstellte, waren Marktauguren voll des Lobes über das neue Konzept. Noch im gleichen Jahr kündigte Sun seine Javastation an. Damit sollten Office-Worker endlich ein Werkzeug in die Hand bekommen, das nicht andauernd abstürzt und sich leicht zentral warten läßt.

Doch mittlerweile ist Ernüchterung eingekehrt. Viele User wollen offenbar doch nicht auf ihre Festplatte verzichten, auch das arg strapazierte Argument der beim NC verringerten Total Cost of Ownership (TCO) scheint nicht mehr zu ziehen. So glaubt etwa Chris Jones, ein Dataquest-Analyst, daß die auch "Thin Clients" genannten Rechner Terminals ersetzen werden (siehe Grafik auf Seite 42), keinesfalls aber die voll ausgestatteten PCs. "Denn PC-Hersteller liefern die geeigneten Netzwerkmanagement-Programme für ihre Business-Rechner gleich mit aus", so Jones weiter.

USA mit neun Monaten Vorsprung

Dennoch stellt sich die Situation in den USA völlig anders dar als auf dem europäischen Kontinent. Die amerikanischen Unternehmer scheinen neuen Technologien weit aufgeschlossener zu sein als etwa die deutschen. Diese Ansicht vertritt Martin Van t Root, Manager Director Europe des Thin-Client-Herstellers Boundless Technologies Inc.: "Bei der Implementierung von neuen Technologien hinkt Europa zirka vier bis sechs Monate der Entwicklung in den USA hinterher. Das trifft aber nur für Großbritannien, Niederlande und die skandinavischen Länder zu", so der Europa-Chef weiter. "Deutschlands Rückstand beträgt hier schon neun Monate, da gehen sogar Österreich und die Schweiz voraus", resümiert Van 't Root die Situation hierzulande.

Die optimistischen Einschätzungen des NC-Marktes in den USA erscheinen somit in einem ganz anderen Licht. Das Markforschungsinstitut International Data Corporation (IDC) glaubt etwa, daß im Jahre 2001 NCs einen Anteil von sieben bis zehn Prozent aller verfügbaren Desktops ausmachen werden. Ein anderer US-Marktbeobachter, Zona Research, geht gar davon aus, daß im Jahre 2001 bis zu 6,8 Millionen Network-Computer verkauft werden.

Aber auch US-Unternehmen selbst zeigen dem neuen IT-Konzept nicht die kalte Schulter. Elf Prozent derjenigen, die mehr als hundert Mitarbeiter beschäftigen, nutzen bereits die neue Technik, weitere 46 Prozent planen, sie im Laufe der kommenden drei Jahre zu implementieren (Grafik 1 auf Seite 43).

Vorteile überwiegen

Für die EDV-Verantwortlichen steht die einfache Administration eines NC-basierten Netzwerks im Vordergrund. Da kann der einzelne User eben nicht mal eben so seine Netzwerkeinstellungen nach Belieben ändern und dann sogleich nach Hilfe schreien. Ohne einen eigenen Festspeicher geht so etwas nicht. Diese besseren Kontrollmöglichkeiten sind immerhin für 21 Prozent der befragten Chief Information Officer (CIO) das ausschlaggebende Argument für den NC (Grafik 2 auf Seite 43).

Hierzulande geben sich die Systemhäuser weitaus vorsichtiger. So glaubt nicht mal jeder Zwölfte, daß bei den Kunden überhaupt ein Bedarf für NCs besteht. Und mehr als die Hälfte der Systemlieferanten glaubt gar nicht an einen NC-Boom. "Die Kunden wollen die Kontrolle der eigenen Daten keinesfalls aus der Hand geben", lautet das einhellige Echo der Wiederverkäufer.

Eine ganz gegenteilige Meinung vertritt Bernd Wagner, Director European Business Development bei der Münchner Java-Spezialistin Applix GmbH: "Außer den kleineren Firmen, die ihr Dokumentenmanagement outsourcen werden, kommen auch verstärkt Privatanwender zum Zuge. In drei bis fünf Jahren werden sie ihre eigenen Daten nicht etwa auf der heimischen Festplatte speichern, sondern auf dem Server ihres Internet-Service-Providers", umreißt Wagner ein Zukunftsszenario. "Schließlich überlassen die Menschen das kostbarste Gut, das sie besitzen, nämlich ihr Geld, auch einer Bank", so der Applix-Direktor gegenüber ComputerPartner.

Doch bis auch Endanwender sich einen Network Computer ohne Festplatte anschaffen, dürften mehr als fünf Jahre vergehen. Denn nicht einmal im Business-Bereich sehen Systemhäuser eine Notwendigkeit für plattenlose Geräte (Grafik 3 auf Seite 43). Einerseits liegt das an dem unschlüssigen Konzept von Sun, IBM, Oracle und Co., andererseits fehlen noch schlicht und ergreifend all die Anwendungen, die einen vollwertig ausgestatteten PC überflüssig machen würden.

Für diese Irritationen im NC-Markt hegt Hans Gerke, Leiter Marktentwicklung bei Sun Microsystems, ein gewisses Verständnis: "Viel Verwirrung hat hier vor allem der unklare Gebrauch des Begriffs Network Computing verursacht. Leute wie der Oracle-Chef Larry Ellison tragen hier durch nicht nachvollziehbare Äußerungen ein gerüttelt Maß an Schuld mit", beklagt sich der Sun-Manager weiter. Offenbar sind sich also die verschiedenen NC-Protagonisten selbst nicht einig, wie das neue Konzept umzusetzen ist.

Windows oder Java

Zwei Möglichkeiten, den Network Computer an das unternehmenseigene Netz anzubinden zeichnen sich ab: Einerseits über einen herkömmlichen Web-Browser, worunter dann Java-Applets ablaufen, oder der NC wird als Windows-Terminal benutzt.

Im ersten Fall müssen aber alle unternehmenskritischen Anwendungen zumindest über ein Java-Front-End verfügen, was einen enormen Programmieraufwand erfordert. Hier soll IBMs "San-Francisco"-Initiative Abhilfe schaffen. Diese soll eine Infrastruktur schaffen, über die Java-Objekte leichter verteilt werden können.

Der Windows-NC wird hingegen an einen Server angebunden, der dem Thin Client alle notwendigen Informationen zur Darstellung der bekannten Windows-Oberfläche liefert. Hierzu muß am Server bestimmte Emulations-Software installiert sein, beispielsweise "Metaframe" von Citrix.

Finanzdienstleister an vorderster Front

Zum Umstieg auf diese Art der Network-Computer hat sich beispielsweise die Versicherung LVM (Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster, www.lvm.de) entschieden. Um in dem bestehenden Wildwuchs an verschiedenen Plattformen, beispielsweise Nixdorf 8870, MVS, OS/390, RS/6000 und OS/2, wieder Ordnung zu bringen, hat sich der Vorstand dazu durchgerungen, den Zugang zum 8870-System einheitlich über den Browser zu gestatten. Hierzu wurden 380 Mitarbeiter mit IBM-NCs ausgestattet.

Nach dem Einschalten dieser plattenlosen Geschöpfe erhalten die User eine RS/6000-Oberfläche angeboten und damit automatisch Zugriff auf alle darunter liegenden Anwendungen wie Vertrags- und Schadensbearbeitung sowie Buchhaltungs- und Controlling-Systeme. Zugleich können sie aber das Gerät auch als 3270-Terminal "mißbrauchen" oder mit Hilfe des Thin-Client/Server-Systems "Metaframe" auf Windows-Anwendungen am Server zurückgreifen. So können die Mitarbeiter weiterhin das von Windows bekannte "Smartsuite"-Paket von Lotus für ihre Office-Arbeiten nutzen, statt der reinen Java-Lösung "E-Suite".

Gearbeitet wird bei LVM mit den NCs bereits seit November letzten Jahres, dem ganzen ging eine halbjährige Vorlaufzeit voraus. "Außer einigen TCP/IP-bedingten Performance-Problemen hatten wir noch etliche Schwierigkeiten mit 'Image Plus', der Dokumentenmanagement-Software von IBM", erklärt Hans Byckar, stellvertretender Leiter der DV-Abteilung bei LVM. Doch die Kinderkrankheiten sind mittlerweile behoben, IBMs "Imageviewer" wurde durch eine Java-Lösung ersetzt. "Unser NC-Netzwerk läuft momentan ordentlich", lobte Byckar gegenüber ComputerPartner.

Die Auslieferung der NCs an den LVM hat die Behrens Datensysteme GmbH vorgenommen. Dies war der erste große NC-Auftrag für das Systemhaus in Münster. Momentan lotet man dort noch die Marktlage aus. Man ist sich eben nicht ganz sicher, ob mit NCs ein großes Geschäft winkt, oder ob es sich hier eher um einen Nischenmarkt handelt. Deswegen plant die Behrens GmbH unter dem Motto "Single-Server-Computing" eine eintägige Veranstaltung, zu der alle potentiellen Kunden aus dem Münsteraner Raum eingeladen werden sollen.

"NCs sind für all die Firmen interessant, die eine zweiteilige PC-Strategie fahren; auf der einen Seite die vollständig ausgerüsteten Rechner, auf der anderen die Terminals", meint Andreas Aulker, ein Behrens-Vertriebsmitarbeiter. Für NCs sieht er vornehmlich Einsatzmöglichkeiten im Terminal-Bereich aufkommen, an die baldige Ablösung herkömmlicher PCs durch plattenlose Geräte glaubt er hingegen nicht.

Diese Einschätzung teilt sogar Rob Veenis, European Technology-Manager bei Boundless: "Es wäre zwar technisch möglich, auch eine CAD-Workstation durch den NC zu ersetzen, ökonomisch würde dies aber keinen Sinn ergeben." Schon eher vermutet Veenis ein steigendes Potential für sogenannte Windows-Based Terminals: "Dann können die Anwender all ihre Applikationen wie vom PC gewohnt weiterhin nutzen."

Bisher haben sich seiner Meinung nach die Systemhäuser in Deutschland viel zu sehr auf Java versteift.

"Denn die neue Internet-Programmiersprache eignet sich noch nicht für unternehmenskritische Anwendungen", wirft Boundless-Chef

Van 't Root ein. "Bei Firmen ist Java lediglich in den Entwicklungsabteilungen gut verankert", pflichtet Veenis bei.

Sun-Manager Gerke muß hier natürlich vehement widersprechen: "Java-basierte NCs sind bereits im Back-End-Bereich bei einigen Lebensmittelzulieferern in den USA etabliert." Auch in Deutschland kann Sun bereits erste Kunden für seine Javastations vermelden. Namen darf das Unternehmen noch nicht nennen, doch soll es sich dabei unter anderen um einen größeren Automobilhersteller handeln.

Bekannt ist immerhin eine Modellfabrik, in der vier Javastations im Einsatz sind (www.sun.de/Unternehmen/JavaComputing/JavaSuccesses/ PDF/iao.pdf). Sie befinden sich in der Räumen des Fraunhofer-Instituts Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Die Bildschirme hängen unmittelbar an der Fertigungslinie, sie sind berührungsempfindlich, so daß man die in diesem Fall kaum geeignete Maus nicht einzusetzen braucht. Mitarbeiter, die Fragen zur Montage ihrer Einzelteile haben, tippen einfach das entsprechende Feld am Bildschirm an, und schon erhalten sie eine bildreiche Erklärung. Papier ist hier überflüssig. Systemabstürze kommen kaum vor, und auch die Software-Wartung gestaltet sich wesentlich einfacher als an Windows-PCs.

Als primäre Nutzer von NCs kommen für Gerke ohnehin nur die Mitarbeiter in Frage, die tagein, tagaus die gleiche Anwendung auf ihrem PC laufen haben. "Sei es nur die permanente Datenbankabfrage, beispielsweise bei einem Call-Center, oder gemeinsame Datennutzung, für all diese ablauforientierten Aufgaben sind NCs sicherlich sinnvoll", argumentiert der Sun-Manager. Einen vollständigen Ersatz von PCs hält jedoch auch er für wenig realistisch. (rw)

Gregory Gordon, Director Marketing bei Microsoft: "Keine Vorteile des Thin-Client-Konzepts gegenüber einem klassischen PC."

Ed Zander, leitender Manager bei Sun Microsystems: "Mit dem NC haben wir bisher keinen rechten Erfolg gehabt."

Martin Van 't Root, Boundless Europa-Chef: "Deutschland hängt der

Entwicklung neun Monate hinterher."

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