Amateur-Status: Softwarefirmen arbeiten nach "Trial & Error"-Prinzip

08.08.2002
Die Venture-Capital-Gesellschaft Innotech und die Münchener Unternehmensberatung Maisberger & Partner halten die meisten Softwareanbieter für echte Chaoten. Wie diese selbst in der aktuellen Studie zugeben, werden Vertriebsaktivitäten im Blindflug geplant, und von ihren eigenen Kunden haben sie auch kaum Ahnung.

Systematik ist nicht gerade die Stärke der meisten Softwareunternehmen. Insbesondere Startups agieren häufig nach der "Trial & Error"-Methode. Produktmanagement, Preisgestaltung, Werbung, PR und Vertrieb werden zu oft im "Blindflug" geplant. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Marketing- und Vertriebsmanagement als Erfolgsfaktor der Softwarebranche", die von der Capital-Venture-Gesellschaft Innotech gemeinsam mit der Münchener Unternehmensberatung Maisberger & Partner herausgegeben wurde. Insgesamt wurden 41 Startups (jünger als fünf Jahre) und 59 etablierte Unternehmen (älter als sieben Jahre) befragt. Die analysierten Unternehmen stellen ausnahmslos Software für Geschäftskunden her. Bei sechs Firmen existiert ergänzend auch ein Privatkundengeschäft.

Der Kunde - das unbekannte Wesen

Zwei Gruppen - ein Problem. Egal ob Neuling oder alter Hase, im Vertrieb haben alle mit nahezu identischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Beide Unternehmensgruppen sehen ihr Hauptproblem darin, beim Kunden die wichtigen Entscheidungsträger zu identifizieren. Die zweitgrößte Schwierigkeit ist nach eigenen Angaben der Zugang zu Großkunden. Gefahr erkannt - Gefahr gebannt. Die Softwareunternehmen wissen nicht nur um ihre Unzulänglichkeiten, sie haben auch schon die Lösung parat: Erweiterung des Marketings um seine eigentlichen strategischen Funktionen.

Für die meisten der IT-Unternehmen besteht Marketing in erster Linie aus Werbung und PR, obwohl eine fundierte Markt- und Wettbewerbsanalyse Voraussetzung für alle Marketing- und Vertriebsaktivitäten sein sollte. Doch diese Möglichkeit nutzen die wenigsten Softwareanbieter. Und genau das hält Bernhard Schmid, Partner bei Innotech, für sehr gefährlich: "Gerade die Preisfindung ist ein klassisches Thema in jedem Unternehmen. Insbesondere die IT-Industrie hat enorme Freiheitsgrade in der Gestaltung des Preis- und Lizenzmodells, ist aber umgekehrt besonders abhängig von einer durchdachten Preispolitik als Voraussetzung für vertrieblichen Erfolg. Umso unverständlicher erscheint es, dass nur eine Minderheit der Unternehmen die Preisgestaltung als zentrale Aufgabe begreift."

Wunsch und Realität

Die meisten Firmen verfügen nach eigenen Angaben über eine Marketingabteilung. Überdurchschnittlich gut erfüllt werden von beiden Unternehmensgruppen die Aufgaben Werbung und Public Relation. Dabei ist nach Ansicht von Innotech fraglich, inwieweit die Aktivitäten dieser Bereiche strategisch ausgerichtet sind, denn nur 58 Prozent der Startups legen ihren Aktivitäten Marktforschung und Wettbewerbsanalysen zu Grunde. Selbst bei den Etablierten verzichtet beinahe ein Drittel auf diese wichtigen Entscheidungshilfen. Im Gegenzug würden sich aber 78 Prozent der Befragten sehr wohl wünschen, dass genau diese Aufgaben von der Marketingabteilung bewältigt würden. Hier spielen wohl Kosten und Personalengpässe eine wichtige Rolle.

Klassisches Produktmanagement ist bei weniger als der Hälfte der Befragten eine Aufgabe ihrer Marketingabteilung. Noch geringer ist der Anteil bei der Preisgestaltung. Dieser liegt bei Startups bei 43 Prozent, bei den etablierten Unternehmen sogar nur bei 31 Prozent. Diese beiden Funktionen stehen auf der Wunschliste sogar noch viel weiter unten mit 33 respektive 11 Prozent, als in der Realität bereits erfüllt. Falls diese beiden Bereiche vom Vertriebsverantwortlichen oder Geschäftsführer übernommen werden, ist es nach Ansicht von Innotech fraglich, ob unter diesen Voraussetzungen alle notwendigen Facetten dieser marketingspezifischen Aufgaben abgedeckt werden können.

Wie viel Mitspracherecht hat der Kunde?

Für den Prozess der Produktentwicklung stellt sich nach Aussage der Innotech-Geschäftsführung die Frage, inwieweit der Kunde in die Entwicklung und Verbesserung des Produktes eingebunden wird. Deshalb wurden die Softwareunternehmen befragt, wann für sie der optimale Zeitpunkt sei, die Kunden erstmals mit einem neuen Produkt bekannt zu machen. Vor allem die Startups waren unsicher, ob es überhaupt einen optimalen Zeitpunkt gibt. Wenn sich aber ein Unternehmen im Klaren war, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Neulingen und den Etablierten. Unternehmen mit mehr als sieben Jahren Erfahrung beziehen den Kunden deutlich früher in die Produktentwicklung ein, als das bei den Startups der Fall ist. Fast ein Drittel der älteren Firmen beziehen die Kunden sogar schon in der Konzeptionsphase mit ein. Ebenfalls interessant: 17 Prozent der Etablierten wählten die Betaversion als idealen Zeitpunkt, um erstmalig ein Feedback vom Kunden einzuholen.

Im Vergleich dazu bindet ein Fünftel der Startups den Kunden bei der Produktentwicklung erst dann mit ein, wenn die Hauptmodule bereits fertig gestellt sind. Und Betaversionen haben fast gar keineBedeutung für sie. Hier sieht Innotech eine potenzielle Stolperschwelle. Produktentwicklung mit dem Kunden setzt voraus, dass das Unternehmen seine Zielgruppe und seine potenziellen Kunden sehr genau kennt. Nicht alle Produkte werden aber immer für exakt dieselbe Zielgruppe oder auch dieselben Zielpersonen konzipiert. Hier reicht die Erfahrung der Verantwortlichen nicht allein, es müssen andere Methoden der Zielkundenbestimmung vorgeschaltet wer- den.

Aus der Sicht der Softwareunternehmen, vor allem der jungen Firmen, scheint wohl Networking die beste Möglichkeit zu sein, ihre Zielkunden zu bestimmen. Nahezu identisch sind die Präferenzen beider Unternehmenstypen hinsichtlich der Zielgruppenbestimmungsmethode "Erfahrungen nutzen". Da jedoch die Startups in der Regel über weniger Erfahrungen verfügen als die älteren Unternehmen, erscheint diese Vorgehensweise nach Ansicht der Experten als eher riskant. Insgesamt wird jedoch die Annahme von Innotech und Maisberger & Partner bestätigt, dass sich alle Softwareunternehmen lieber auf Beziehungen und ihr "Bauchgefühl" verlassen als auf klassische Analyse-Instrumentarien.

Auf die richtigen Verkaufsstrategien kommt es an

Neben einem effizienten Marketing ist die strategische Ausrichtung des Vertriebs ein entscheidender Erfolgsfaktor für Softwareunternehmen. Denn ob und wieweit die geplanten Umsatzziele auch erreicht werden, hängt maßgeblich vom Vertrieb ab. Und genau hier lassen sich anhand der Antworten auf die Frage, wo die Vertriebsprobleme liegen, eklatante Fehler erkennen.

So kennen 83 Prozent aller Unternehmen die wirklichen Entscheider beim Kunden nicht und sprechen die falschen Leute an. Dadurch kann sich ein Projekt unnötig verzögern oder gar daran scheitern. Auch der Zugang zu Großkunden, um über eine ausreichend große Anzahl von Referenzkunden zu verfügen, bereitet massive Probleme.

Innotech empfiehlt deshalb allen Softwareunternehmen, unter Zuhilfenahme strategischer Marketinginstrumente, das eigene Angebot besser zu verstehen, die Probleme der Kunden zu erkennen, Marktanalysen zur Identifizierung von potenziellen Kunden durchzuführen und die Kaufentscheidungsprozesse beim Kunden zu analysieren. Statt auf den einen "Superman" im Vertrieb zu warten, rät Innotech zu einer engen Zusammenarbeit der Vertriebs- und Marketingmannschaften mit streng definierten Aufgaben, die sich gegenseitig unterstützen.

www.innotech.de

www.maisberger.com

ComputerPartner-Meinung:

Wer kundenspezifische Produkte anbietet, sollte schon wissen, was der Kunde will. Noch wichtiger: Er sollte wissen, wer der Kunde überhaupt ist. Ohne diese grundlegenden Informationen scheitern selbst die besten Produkte noch vor dem Markteintritt - nicht am Desinteresse, sondern an der Unkenntnis des potenziellen Kunden. Also: den Kunden finden, ihn verständlich informieren - dann klappt es auch mit der Zusammenarbeit! (go)

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