Anleiten - eine vernachlässigte Führungsaufgabe

Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist u.a. Autor des "Change Management Handbuch" und zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence und der Technischen Universität Clausthal.

Lernprozesse anstoßen und begleiten

Ein weiterer Grund: Die Funktion des Anleitens wird heute weitgehend mit dem Bereich Ausbildung assoziiert. Zu unrecht, denn was tut ein "Anleiter"? Er kaut seinen Schützlingen, wenn sie vor einer neuen Aufgabe stehen, nicht die Lösung vor. Er fragt sie vielmehr: Wie würdet ihr diese Aufgabe angehen? Er motiviert sie also, eigene Lösungsvorschläge zu entwerfen. Und zeigt sich dabei, dass sie Unterstützung brauchen, dann gibt er ihnen Hilfestellungen, bevor er sich schließlich mit ihnen auf einen Lösungsweg verständigt. Doch damit ist sein Job nicht beendet. Vielmehr fragt er beim Umsetzen immer wieder nach "Gibt es Probleme?", "Was habt' Ihr zwischenzeitlich erreicht?", um bei Bedarf korrigierend und unterstützend einzugreifen. Denn ansonsten ist weder sichergestellt, dass die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, noch dass bei den Schützlingen die gewünschten Lernprozesse stattfinden.

Eine solche Unterstützung beziehungsweise Wegbegleitung brauchen nicht nur Azubis, sondern auch erfahrene Arbeitskräfte - zumindest dann, wenn
- sie neue Aufgaben übernehmen, mit deren Lösung sie noch keine Erfahrung haben, oder
- ihre Arbeit für das Erreichen der Ziele des Bereichs oder gar des Unternehmens von fundamentaler Bedeutung ist.

Und diese ihnen zu gewähren, ist eine Führungsaufgabe, da es ansonsten weitgehend dem Zufall überlassen bleibt, welche Arbeitsergebnisse erzielt werden. Und die Führungskraft kann am Ende nur noch konstatieren: Die Ziele wurden oder wurden nicht erreicht.

Das sei an einem Beispiel illustriert. Nehmen wir an Vertriebsmitarbeiter Schulz, der bisher im Innendienst arbeitete, soll künftig im Außendienst primär Neukunden akquirieren. Dann genügt es nicht, wenn sein Chef - nennen wir ihn Vertriebsleiter Schmidt - zu ihm sagt "Herr Schulz machen sie das mal" und ihm eventuell noch das Ziel vorgibt: "Bis Ende Dezember, also in den nächsten drei Monaten, müssen sie mit zehn Neukunden Verträge abschließen2. Denn dann ist nicht sicher gestellt, dass Herr Schulz seine neue Aufgabe adäquat wahrnimmt und das definierte Ziel erreicht. Das kann Vertriebsleiter Schmidt im Extremfall die Stelle kosten. Denn seine Leistung wird von seinen Chefs an der Leistung seiner Mitarbeiter gemessen. Ausflüchte wie "Mein Mitarbeiter Schulz war überfordert" akzeptieren sie nicht, wenn Schmidt's Bereich das Vertriebsziel verfehlt.

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