Arbeiten bis zum Umfallen? Weniger ist manchmal mehr!

24.02.2000
Viele erfolgreiche Manager würden gern mehr leben und weniger arbeiten. Unternehmen, die Topleute anheuern oder halten wollen, müssen diesem Wunsch entsprechen.

Erfolgreiche Manager in allen Branchen wünschen sich ein ausgeglichenes Leben. Doch wer Karriere macht, lebt meist hochgradig einseitig. Das Klischee vom gestressten Manager, der 70 oder mehr Stunden pro Woche arbeitet, ständig auf Reisen und auch noch am Wochenende für die Firma erreichbar ist, trifft die Realität in vielen Branchen bemerkenswert genau. Für Familie, Hobbys und außerberufliche Kontakte bleibt da wenig Zeit. Ein gutes Leben bringt diese Ochsentour allerdings den wenigsten. Getreu dem Motto "Wer Karriere machen will, muss härter schuften als andere" arbeitet der typische Consultant, Ingenieur oder Marketing-Manager eher 150 als 100 Prozent und zahlt dafür oft einen hohen Preis. Macht, spannende Aufgaben und ein gut gefülltes Konto werden allzu oft mit zerrütteten Beziehungen und Krankheiten aller Art erkauft. So kann heute bereits jede zweite deutsche Führungskraft beim Thema Scheidung mitreden. Jeder vierte Chef ist gesundheitlich gefährdet, warnt die IAS Institut für Arbeits- und Sozialhygiene Stiftung in Karlsruhe.

Abschied vom Ideal des Hochleistungsmanagers

Stress in der Familie und ein angeschlagener Körper sind Gift für Leistungsfähigkeit, Motivation und Zufriedenheit von Arbeitnehmern. Das wissen auch die Firmenchefs. Immer mehr Unternehmen nehmen deshalb Abschied vom Ideal des Hochleistungsmanagers, der nichts anderes als Malochen kennt. Sie sinnen auf Wege, ihren Leistungsträgern einen ausgewogeneren Lebensstil zu verschaffen.

Nehmen Sie sich Zeit, fordert etwa die Veba AG ihre Belegschaft im Rahmen einer breit angelegten Teilzeitinitiative auf. Das Unternehmen legt insbesondere auch den Führungskräften nahe, ihr Pensum zu reduzieren. Fast alles ist möglich, heißt es auch bei Siemens, Gemini Consulting oder Hewlett-Packard, wenn es um die Frage geht, wo und wann Mitarbeiter arbeiten. Schnupperteilzeit mit Rückkehrgarantie, Vollzeit light, Job-sharing, Lebensarbeitszeitkonten, mehrmonatige Sabbaticals, Arbeiten im Home-Office, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, um die Mannschaft glücklich zu machen. Diese Angebote sollen Raum schaffen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse, von Reisen oder Promotion bis hin zu Hausbau und Kinderbetreuung.

In den USA sind Konzepte, die eine bessere Work-Life-Balance gewährleisten sollen, schon deutlich weiter verbreitet als in Deutschland. Sie umfassen nicht nur flexible Arbeitszeiten und -orte, sondern auch Serviceleistungen wie firmeneigene Massagestudios, Fitnesstrainer und Einkaufsdienste, luxuriöse Betriebskindergärten, in denen Eltern ihre Kinder jederzeit besuchen können, und sogar Baupro-jekte, die Arbeiten, Wohnen und Freizeit räumlich zusammenrücken lassen. Das Engagement von Firmen wie Oracle, Cisco Systems oder Peoplesoft kommt nicht von ungefähr: Der amerikanische Arbeitsmarkt ist leergefegt. Im Kampf um die besten Köpfe und gegen steigende Fluktuationsraten haben sich Maßnahmen, die das Leben der Mitarbeiter angenehmer machen, als besonders wirkungsvoll erwiesen, wirkungsvoller oft als Geld. Auch bei deutschen Unternehmen ist die Sorge um das Wohlergehen der Leistungsträger nicht vornehmlich altruistisch motiviert. Die Firmen versprechen sich handfeste Vorteile für das Geschäft: Mitarbeiter, deren Leben sich im Gleichgewicht hält, sind motivierter, fehlen weniger und wechseln seltener den Arbeitgeber. Eine Reduktion der Arbeitszeit führt zudem oft zu einem erheblichen Produktivitätsschub, der bis zu 20 Prozent ausmachen kann, wie die Unternehmensberatung McKinsey ermittelt hat.

Michael Rosenau kann solche Ergebnisse aus eigener Erfahrung bestätigen. Seit vier Jahren arbeitet der Leiter Altersversorgung und Personal-Controlling bei der Veba-Tochter Viterra nur noch 25 bis 30 Stunden pro Woche. Anders als seine Arbeitszeit hat sich sein Verantwortungsgebiet nicht vermindert, ganz im Gegenteil: Den Bereich Controlling hat er sogar zusätzlich übernommen. "Heute ist mein Arbeitstag deutlich straffer organisiert. Ich konzentriere mich auf das Wesentliche und nutze meine Zeit viel effizienter als früher", fasst der Personal-Manager seine Erfahrungen zusammen. Wann er ins Büro geht, hängt von den Arbeitserfordernissen und den Bedürfnissen von Sohn und Tochter ab, die er seit seiner Scheidung betreut. Morgens Personalgespräche und Rententabellen, nachmittags Dreisatz und Kindergeburtstag. Rosenau bekommt das gut unter einen Hut und schätzt sein vielseitiges Leben.

Dass Manager ihren Alltag als langweilig empfinden, ist eher selten. Doch auch der spannendste Job macht dauerhaft nicht glücklich, wenn sich die Batterien leeren und die innere Ruhe flöten geht. Ehe es zum Burn-Out oder Herzinfarkt kommt, schicken Unternehmen ihre Leistungsträger neuerdings in den Langzeiturlaub. Sabbaticals, meist zwischen drei bis zwölf Monate lang, bieten mittlerweile rund drei Prozent der deutschen Firmen an, schätzt die Berliner Arbeitszeitberatung Dr. Hoff, Weidinger und Partner.

Sozialer Druck zur langen Arbeitszeit

Die Offerte macht für die Unternehmen Sinn: Wer sich einen langgehegten Traum erfüllt, sei es die Weltreise, das Buchprojekt oder der Schauspielkurs, kommt meist voller Energie zurück. Wie auch Wolfgang Männel, Principal bei der Unternehmensberatung Gemini Consulting. Nach sechs Jahren Arbeiten unter Dampf und ständiger Erreichbarkeit stellte der Consultant vor zwei Jahren eine gewisse Ermüdung bei sich fest. Auch seine Ehe hatte unter dem Stressjob gelitten. Da kam ihm die Möglichkeit eines Sabbaticals gerade recht. Er nahm drei Monate frei, reiste um die Welt, las, trieb Sport und kümmerte sich intensiv ums Privatleben. Nach seiner Rückkehr übernahm der 34-Jährige einen neuen Verantwortungsbereich und zeigte wieder vollen Elan.

Positive Beispiele wie diese sind nicht ungewöhnlich. Die meisten Spitzenkräfte, die beruflich kürzer treten, stellen fest, dass die Leis-tungsfähigkeit im Job steigt und ihr Leben eine neue Dimension gewinnt. Trotzdem bleiben sie bislang die Ausnahme. Lebensentwürfe abseits der ausgetretenen Karriere-pfade rufen bestenfalls ungläubige Bewunderung hervor, nachvollzogen werden sie bislang selten.

"Die meisten Kollegen finden zwar toll, was ich mache. Ein Vorbild bin ich für sie deshalb noch lange nicht", hat auch Patrice Garnier festgestellt, der neben seinem Job als Sales-Support-Engineer bei Agilent Technologies in Böblingen als Künstler tätig ist. Vor fünf Jahren stellte der Informatiker sein Leben völlig um. "Mir wurde plötzlich klar, dass ich nicht bis zur Rente warten will, um meine Träume zu realisieren", erinnert sich der 43-jährige Franzose. Er bat seinen Chef um ein Teilzeitarrangement und schrieb sich als Kunststudent ein. Mittlerweile macht er eigene Ausstellungen, gibt Malunterricht und hat auch wieder mehr Zeit für die Familie. Mehr Freiraum neben der Arbeit wünschen sich viele, vom Gruppenleiter bis zum Vorstandschef. So würden nach einer Studie der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik rund 30 Prozent der männlichen und 40 Prozent der weiblichen Manager ihre Arbeitszeit gern reduzieren. Von einem temporären Totalausstieg träumen sogar 72 Prozent der deutschen Arbeitnehmer, wie das Meinungsforschungsinstitut Gewis ermittelt hat. Doch den Schritt zu wagen, davor schrecken die meisten zurück.

Gründe für die Zurückhaltung gibt es viele. Angst vor dem Karriereknick, Druck von Kollegen oder Vorgesetzten und ein auf Höchstleistung getrimmtes Selbstverständnis sind wirksame Barrieren. Bei Siemens beispielsweise ist seit dem Start der Teilzeitinitiative vor zwei Jahren die Teilzeitquote von 5,5 auf fast 8 Prozent gestiegen, und auch das Interesse der Manager nimmt langsam zu. "Ein Selbstläufer ist das Konzept aber noch lange nicht. Nach wie vor gibt es bei einem Teil der Führungskräfte und Mitarbeiter Vorbehalte, das Angebot in Anspruch zu nehmen, in bestimmten Berufs- und Lebensphasen die Arbeitszeit zu reduzieren oder einen längeren Freizeitblock einzuschieben", weiß Heiko Brockbartold, Experte für Arbeitszeitflexibilisierung beim Münchener Konzern.

Diese Skepsis verwundert nicht. Das Bild vom Manager, der jederzeit und ohne Abstriche zur Verfügung steht, haben die Unternehmen selbst lange Zeit gepflegt. Daran zu rütteln, betrachtet so mancher als Angriff auf seine Arbeitsweise und Position. "Wer über Jahre täglich 12 bis 14 Stunden geackert hat, lässt sich nicht gerne sagen, dass es auch mit weniger geht", weiß Viterra-Manager Rosenau. Mehrere Monate auszusteigen oder die Arbeitszeit auf 90, 80 oder gar 50 Prozent zu reduzieren, ohne dass der Betrieb zusammenbricht, halten viele für schlechterdings unmöglich. Und auch dass die Abstinenz vom Büro keinen negativen Einfluss auf die Karriere haben soll, will nicht jeder ohne weiteres glauben.

Dazu kommt erheblicher sozialer Druck. Auch wenn Führungskräfte formal nach Leistung und nicht nach Arbeitsdauer beurteilt würden, sei der kollektive Wettbewerb um die höchste Wochenarbeitszeit weit verbreitet, befindet Georg Jungkamp-Streese, der als Personalleiter bei so unterschiedlichen Unternehmen wie dem Designmöbelhersteller Wilkhahn und dem Bauunternehmen Schöck tätig war. "Wenn alle Kollegen die halbe Nacht durcharbeiten, fällt es schwer, als Einziger um 18 Uhr das Büro abzuschließen", sagt er realistisch. Und wer gar in Teilzeit oder von zu Hause aus arbeite, werde von Kollegen und Vorgesetzten oft nicht für voll genommen.

Männer sind besonders gefährdet

Sich gegen solche Zwänge zu behaupten, ist nicht leicht. Viele Führungskräfte arbeiten lieber bis zum Anschlag und kommen erst zur Besinnung, wenn sie in einer tiefen Krise stecken. Die drohende Scheidung, ein Herzinfarkt oder das Gefühl, ein Kind vernachlässigt zu haben - Thomas Scheskat vom Göttinger Institut für Männerbildung & Persönlichkeitsentwicklung kennt die Folgen ungebremster Arbeitswut aus zahlreichen Beratungsgesprächen und Seminaren. Männer hält er für besonders gefährdet. Aufgrund von Stolz und tradiertem Rollendenken zögen sie die Notbremse oft viel zu spät. Dann allerdings bauen viele ihr Leben radikal um, beobachtet der Psychotherapeut, Sie werfen ihre bisherigen Einstellungen über Bord, fordern vom Chef flexiblere Lösungen oder suchen sich einen Arbeitgeber, der mehr Freiräume bietet.

An anspruchsvolle Arbeitnehmer werden Unternehmen sich in Zukunft wohl gewöhnen müssen. Wer sich nicht intensiv um Wünsche und Bedürfnisse seiner Mitarbeiter kümmert, hat auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft nur noch wenig Chancen, warnen Experten wie der Frankfurter Personalberater Heiner Thorborg. Denn Lebensgewohnheiten und Arbeitsweisen ändern sich rasant. Für berufstätige Eltern und freizeitorientierte Singles ist das starre Vollzeitmodell wenig attraktiv. Projektarbeit unter Zeitdruck oder Jobs, die mit ständigen Kontinentalreisen verbunden sind, lassen sich auf Dauer nur bewältigen, wenn genug Zeit zum Verschnaufen bleibt.

Kein Wunder, das viele Firmen an neuen Arbeitsmodellen arbeiten. Das Thema Work-Life-Balance kommt auf alle Unternehmen in großen Schritten zu, meint auch Barbara David, Personalreferentin bei der Commerzbank. Im Frankfurter Geldhaus gehören familienpolitische Maßnahmen und Arbeitszeitflexibilisierung schon seit langem zum Repertoire, doch dabei soll es nicht bleiben. David: "In Zukunft werden wir den Ansatz deutlich erweitern, beispielsweise um das Thema Gesundheitsvorsorge."

Wer nicht auf die Initiative seines Arbeitgebers warten will, dem bleibt nur, selbst aktiv zu werden. Arbeitsbedingungen, die den eigenen Bedürfnissen entsprechen, sind genauso verhandelbar wie Gehalt und Firmenwagen.

(Leicht gekürzter Beitrag aus der "Wirtschaftswoche" 49/99.)

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