Auch WEB-User wollen individuell betreut werden

22.10.1998

WIESBADEN: Das Informationsangebot auf den Websites großer Unternehmen wird für den Nutzer immer unübersichtlicher. Er braucht jedoch nicht durch immer verzweigtere Datenlabyrinthe zu irren. Denn durch personalisierte Websites kann er sich maßgeschneiderte Informationen präsentieren lassen. Gleichzeitig verbessert sich dadurch die Kundenbindung. Wie der Internetauftritt effizienter gestaltet werden kann, erläutert der Beitrag von Volker Tietgens*.Das gegenwärtige Marketingumfeld ist durch eine zunehmende Sättigung und partielle Schrumpfung vieler Märkte sowie eine starke Internationalisierung der Konkurrenz gekennzeichnet. Daraus resultiert ein sich verschärfender Verdrängungswettbewerb. Hinzu kommt das kritischere Verhalten der Kunden, ihr zunehmendes Interesse und Wissen. Diese Faktoren führen zu einer anspruchsvolleren Nachfrage sowie Leistungssensibilität.

Vor diesem Hintergrund kommt es darauf an, durch umfassende Kunden-

orientierung die Zufriedenheit zu steigern und eine langfristige Kundenbindung zu schaffen. Nur so lassen sich Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erzielen.

Dieses Ziel der verbesserten Kundenbindung kann mit Hilfe individualisierbarer und flexibel gestalteter Kommunikation erreicht werden. Dabei läßt sich genau auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen.

Anfang der 90er Jahre wurde die Strategie des One-to-One-Marketing von Don Peppers und Martha Rogers in den USA entwickelt. Dieser Ansatz wendet sich gegen die eingefahrenen Bahnen des Massen-Marketing. In letzter Konsequenz bedeutet dieses Konzept, jeden Kunden als eigenständiges "Marktsegment" zu begreifen und seine individuellen Interessen und Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen.

Allerdings ist es nicht primäres Ziel des One-to-One-Marketing, möglichst viele neue Kunden zu finden. Vielmehr sollen bereits gewonnene Kunden umfassender bedient und so die Umsätze erhöht werden.

Nachlassende Wirkung der Massenmedien

Trotz zunehmender Differenzierung klassischer Medien in den letzten Jahren hat die Kommunikationseffizenz und Werbewirksamkeit insbesondere der Massenmedien erkennbar nachgelassen. Das Hauptaugenmerk gilt daher immer mehr den neuen Kommunikationstechnologien, die aufgrund ihrer Struktur individualisierte und dialogorientierte Kommunikationsformen ermöglichen.

Das Internet mit seinen verschiedenen Diensten wie insbesondere WWW und E-Mail ist dabei das wichtigste neue Medium. Denn es verfügt über eine Reihe von Merkmalen und Möglichkeiten, die es besonders geeignet machen, Konzepte zur individuellen Kommunikation und Kundenansprache zu realisieren.

Die Basis für eine kundenindividuelle Ausrichtung des Marketing und des Verkaufs bildet eine Kundendatenbank. Sie dient dazu, den gesamten Marketing-Mix auf die Bedürfnisse der jeweiligen Kunden auszurichten. In ihr werden alle verfügbaren Kundeninformationen gespeichert, analysiert und für die Kommunikation bereitgestellt.

Die marketingrelevanten Informationen über bestehende und mögliche Kunden gelangen dabei aus verschiedenen Bezugsquellen in die Datenbank. So zum Beispiel aus unternehmensinternen Systemen wie Buchhaltung und Vertrieb. Sie können aber auch vom Kunden direkt, beispielsweise aus Beratungsgesprächen oder von Reklamationen, stammen.

Wertvolle Daten lassen sich ebenfalls aus externen Quellen, zum Beispiel von Informationsbrokern, beziehen. Das Internet ist jedoch geradezu dafür prädestiniert, neue Kundendaten zu gewinnen. Es ermöglicht direkte Antworten ohne Medienbruch.

Intelligente Agenten sind Kerntechnologie

Eine Kerntechnologie des neuen Eins-zu-Eins-Marketing im Internet sind die sogenannten "Intelligenten Agenten". Ursprünglich wurden diese Programme Mitte der 90er Jahre als persönliche Helfer von Internet-Usern entwickelt. Doch inzwischen hat die Software ihren Platz gewechselt: Statt Informationen im Internet, wie ursprünglich geplant, sammeln die Programme nun Informationen über die User.

Intelligente Agenten befinden sich heute nicht in den Browsern der Anwender, sondern auf den Servern der Informationsanbieter. Hinter diesen stehen wiederum Unternehmen, die mehr über ihre gegenwärtigen und potentiellen Kunden erfahren wollen.

So wertet das Programm "Learn Sesame" der Beratungsfirma Charles River Analytics aus Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts die User-Bewegungen auf einer Website aus. Das System begleitet zudem den Anwender auf seinem Weg durch die einzelnen Angebote. Es hält fest, wie lange er sich in welcher Unterseite aufhält und registriert Downloads oder E-Mail-Anfragen ("Click-Stream-Analyse"). Der große Vorteil dieser Lösung: Interessenten und Kunden müssen keine umfangreichen Fragebögen wie bei anderen Lösungen ausfüllen.

Grundsätzlich gibt es heute zwei Ansätze, eine Website zu individualisieren. Zum einen ist die Individualisierung durch Selbstselektion möglich, zum anderen die Personalisierung aufgrund eindeutiger Identifizierung. Beide Ansätze schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern können sich ergänzen.

Bei der Individualisierung durch Selbstselektion erschließt der Nutzer aktiv die Informationen und Angebote, die seinen persönlichen Bedürfnissen entsprechen. Hierzu bedarf es eines Informationsangebots, das auf die Interessen des Anwenders zugeschnitten ist. Ausgehend von den Informationen, die in der Kundendatenbank gespeichert sind, lassen sich die verschiedenen Ziel- beziehungsweise Kundengruppen und deren Interessensprofile definieren.

Für sie sind adäquate inhaltliche und darstellungsbezogene Informationsalternativen zu implementieren, die dem Nutzer zur Auswahl angeboten werden. Möglich wird dies durch komplexe Regelwerke, die im Hintergrund dynamische Zuordnungen herstellen.

Individualisierung durch Selbstselektion

Ein typisches Beispiel ist das Internet-Angebot eines Reiseveranstalters: Entsprechende Angebote oder Kataloge sind meist nach verschiedenen Reisezielen strukturiert. Um den unterschiedlichen Interessen der Nutzer entgegenzukommen, ließe sich das Angebot um eine Reihe weiterer Auswahlmöglichkeiten ergänzen. So zum Beispiel Reisen für junge Leute, für Familien, für Singles, Club-Reisen, Abenteuerreisen, Sportreisen, Kulturreisen, Kurztrips, Städtereisen, Lastminute-Angebote etcetera.

Außerdem könnte zusätzlich nach persönlichen Kriterien wie gewünschtes Reisedatum, maximale Kosten der Reise, gewünschter Komfort, bevorzugtes Verkehrsmittel selektiert werden. Die einzelnen Kriterien sollten dabei in Kombination miteinander ausgewählt werden können Angebote dieser Art lassen sich durch verschiedene Auswahloptionen soweit differenzieren, daß nahezu jeder Nutzer die Möglichkeit hat, sich sein persönliches Reiseangebot zusammenzustellen. Entscheidend für den Erfolg einer Individualisierung durch Selbstselektion ist allerdings die treffende Auswahl interessensgerechter Kategorien und Auswahlkriterien. Wichtig ist auch eine übersichtliche und benutzerfreundliche Systemnavigation. Sie soll es dem jeweiligen Nutzer ermöglichen, schnell und direkt die Informationen und Angebote abzurufen, die seinen Interessen entsprechen.

Eindeutige Identifizierung

Präziser und effektiver ist jedoch die Individualisierung aufgrund eindeutiger Identifizierung. Die Auswertung der IP-Adresse des Anwender-Computers oder das Setzen von sogenannten "Cookies" auf der Festplatte des Users ist dafür allerdings ungeeignet.

Eine eindeutige und verläßliche Identifizierung ist derzeit nur möglich, wenn sich der Nutzer aktiv beim Besuch der Website registriert. So zum Beispiel mit Benutzername, Paßwort und/oder Kundennummer. Es kommt daher vor allem darauf an, Anreize zu schaffen, die den Nutzer dazu veranlassen, sich beim Besuch der Website zu identifizieren.

Dabei gilt der Grundsatz: Je höher der zu erwartende Nutzen einer Registrierung ist, desto größer ist die Bereitschaft des Users, sich zu erkennen zu geben. Ein Anreiz kann zum Beispiel die Bereitstellung von exklusiven Informationen oder speziellen Angeboten sein.

Auch ein Online-Spiel mit attraktiven Preisen trägt dazu bei, Hemmschwellen zu überwinden. Gleichzeitig muß aber auch aktiv die Frage der Sicherheit im Netz und des Datenschutzes vom Betreiber der Website angegangen werden. Ein offensives Angebot zur - ohnehin gesetzlich vorgeschriebenen - Offenlegung der gespeicherten Daten kann das Vertrauen der Kunden wesentlich erhöhen.

Weniger problematisch als in der direkten Ansprache der Endkunden stellt sich diese Frage in der Busi-ness-to-Business-Kommunikation. Denn meist sind die Geschäftspartner ohnehin genau bekannt, und der Nutzen einer Anmeldung auf der Website läßt sich relativ einfach vermitteln.

éhnlich wie bei der Individualisierung durch Selbstselektion müssen auch im Falle der eindeutigen Identifizierung Daten, die in der Database vorhanden sind, segmentiert und Nutzerprofile zugeordnet werden. Anhand dieser Nutzerprofile ist ein Regelsystem zur Individualisierung zu erstellen. Dieses definiert, welche Informationen und Angebote in welcher Form und an welcher Stelle der Website den jeweiligen Kunden präsentiert werden.

Die Nutzerprofile und die entsprechenden Individualisierungsregeln müssen dynamisch und entwicklungsoffen angelegt sein. Insbesondere die Möglichkeit einer Umgruppierung und weitergehenden Differenzierung aufgrund neuer und zusätzlich erhobener Daten sollte möglich sein. Die Individualisierung durch eindeutige Identifizierung ermöglicht im Vergleich zur Selbst-selektion zusätzliche Effekte. So kann der Nutzer beim Besuch der Website beispielsweise persönlich begrüßt werden. Auf der individuell gestalteten Eingangsseite erhält er die für ihn wichtigen und aktuellen Informationen. Im Rahmen des Cross-Sellings kann der Kunde mit Promotionfeldern auch auf Angebote aufmerksam gemacht werden, die seine zuletzt erworbenen Produkte sinnvoll ergänzen. Per Klick auf den Werbebanner erhält er außerdem detaillierte, auf ihn zugeschnittene Informationen zu dem Produkt, das er online direkt ordern kann.

Ereignisorientierte Kommunikation

Ein besonderer Individualisierungseffekt ist durch die ereignisorientierte Kommunikation mit dem Kunden ("event triggered communication") möglich. Die Grundlage für diesen Ansatz bilden Regeln, die die Zuordnung von online-gestützten Marketingmaßnahmen zu den einzelnen Kunden nach bestimmten Ereignissen steuern. Diese Maßnahmen werden kundenspezifisch ausgelöst, sobald beim Kunden ein bestimmtes, vorher definiertes Ereignis eintritt.

Ein solches Ereignis kann zum Beispiel der Kauf eines Produkts, der Ablauf eines Servicevertrags, die Fälligkeit eines Wartungstermins oder auch der Geburtstag sein. Sobald es zu dem Ereignis kommt, startet automatisch die dafür definierte Aktion.

So wird dem Kunden zum Kauf des Produkts gratuliert, ihm wird ein neuer Servicevertrag angeboten oder er erhält Terminvorschläge für die Wartung, einen Hinweis auf eine Veranstaltung in seiner Nähe oder einen Geburtstagsglückwunsch. Anläßlich des Geburtstags kann ihm auch ein Sonderrabatt für ausgewählte Produkte gewährt werden.

Diese ereignisorientierte Kommunikation ermöglicht einen automatisierten und dennoch auf den individuellen Anlaß abgestimmten Kontakt mit vielen unterschiedlichen Kunden. Das Ergebnis: Trotz der Allgemeingültigkeit der Individualisierungs-regeln fühlt sich der einzelne Kunde individuell behandelt und registriert die persönliche Betreuung.

Höhere Beratungsqualität, größere Angebotstransparenz und eine bessere Unterstützung der Kaufentscheidung sind wesentliche Vorteile für ihn. Statt der bisher auch im Internet üblichen Einbahn-Kommunikation findet nun ein echter Dialog statt, der beiden Seiten nutzt. Die Personalisierung der Web-Angebote wird deshalb künftig ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg des Electronic commerce sein.

Für den Automobilhersteller Opel hat die Düsseldorfer Multimedia-Agentur IQ Interactive Quality GmbH die "Personal Expo Page" (PEP) zur Begleitung von Automobilmessen entwickelt. Bei der Registrierung (www.expo.opel.com) können Nutzer entweder die Standardprofile "Action", "Family", "Sport", "Technik" und "Mix" auswählen oder ein persönliches Profil erstellen. Beim nächsten Besuch werden sie dann mit ihrem Namen begrüßt und erhalten nur die jeweils zu dieser Vorgabe passenden Seiten auf dem Bildschirm angezeigt.

Einer der ersten Finanzdienstleister mit einer personalisierten Website ist die Toronto Bank in Kanada. Voraussetzungen für eine solche maßgeschneiderte Website sind die eindeutige Identifizierung des Users und die Koppelung mit einer Datenbank, in der gesammelte Informationen abgelegt sind.

* Volker Tietgens ist Geschäftsführer der Concept Gesellschaft für Multimedia-EDV-Anwendungen GmbH in Wiesbaden. Daneben leitet er die Arbeitsgruppe Multimedia/Internet im Deutschen Kommunikationsverband BDW.

Zur Startseite