"Auf Gedeih und Verderb mit Partnern verbunden"

05.02.2004
Seit einem Jahr leitet Walter Raizner als Vorsitzender der Geschäftsführung die Geschicke von IBM Deutschland. Im Gespräch mit den ComputerPartner-Redakteuren Ulrike Goreßen und Damian Sicking zieht er eine erste Bilanz des Jahres 2003, erläutert seine Ziele und Vorstellungen für 2004 und erklärt die Bedeutung der Vertriebspartner für IBM.

ComputerPartner Ein Jahr Walter Raizner an der Spitze von IBM Deutschland. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Was waren Ihre größte Herausforderung, größter Erfolg, größte Niederlage?

Raizner Die Bilanz fällt durchwegs positiv aus. Wie das ganze Team zusammen- und mitgearbeitet hat, um IBM auch in Deutschland wieder nach vorne zu bringen, war für mich persönlich der größte Erfolg. Für meine Familie und mein Privatleben ist im vergangenen Jahr leider zu wenig Zeit geblieben.

ComputerPartner IBM begründete vor einem Jahr den Führungswechsel mit veränderten Anforderungen der Kunden, der Gesellschaft und der Politik. Welche Veränderungen haben Sie als Mann an der Spitze eingeführt? Herrschen nun im Management von IBM Deutschland amerikanische Verhältnisse?

Raizner Im heutigen Geschäftsleben, das zunehmend international ausgerichtet ist, macht die Unterscheidung Deutschland - Amerika nicht mehr viel Sinn. Das Geschäft ist international verflochten, innerhalb unseres Unternehmens genauso wie bei unseren Kunden. Von Begriffen wie amerikanisches, deutsches oder französisches Management müssen wir uns verabschieden. Mein wichtigstes Anliegen im vergangenen Jahr war, unsere interne Zusammenarbeit zu verbessern und beim Kunden stärker als Team aufzutreten und wahrgenommen zu werden. Wir bringen unsere Produkte - seien es Hardware, Software oder Services - zu Lösungen zusammen, unabhängig vom Vertriebskanal.

ComputerPartner Wie definieren Sie Lösung?

Raizner Wir sprechen heute von kundenindividuellen Lösungen. Sie beinhalten in der Regel alle IT-Komponenten: Hardware, Software und Services. Hier setzt die Integration aller Bereiche an. Marketing und Vertrieb müssen über alle Geschäftsbereiche hinweg eng zusammenarbeiten und unsere Angebote integrieren. Nur so können wir unseren Kunden vermitteln, dass wir das gesamte Portfolio anbieten - von der strategischen Beratung bis hin zum Implementieren und Warten der Lösungen. Dafür müssen wir intern grundlegend umdenken, weil wir zugegebenermaßen in der Vergangenheit beim Endverbraucher oder auch auf Partnerseite oft rein produktorientiert aufgetreten sind.

ComputerPartner Wie sieht das konkret aus? Hat der Kunde grundsätzlich nur noch einen Ansprechpartner oder geht aus jedem IBM-Bereich ein Mitarbeiter zu jedem Gespräch mit?

Raizner Es kommt natürlich auf die Situation an. Es gibt Kunden, die nur Hardware wollen. Das ist wichtig, und das wird es auch in der Zukunft geben. Und es gibt eben Kundensituationen, sei es im Mittelstand oder beim Großkunden, wo ein Kunde eine neue IT-Komplettlösung benötigt. Bei unserem umfassenden Produktportfolio kann es natürlich zu Überschneidungen kommen. Deshalb haben wir einen Gesamtverantwortlichen für das jeweilige Kundengeschäft etabliert, der entscheidet, welche Produkte und Services wir zu einer Lösung verbinden. Je nach Anforderung werden die entsprechenden Bereiche mit einbezogen.

ComputerPartner Gilt das Gleiche nun auch für die Partner?

Raizner Ja. Wir haben auch im Business-Partner-Geschäft eine neue Betreuungsstruktur eingeführt. Jetzt heißt es nicht nur "One face to the customer", sondern auch "One face to the partner". Ein IBM-Mitarbeiter ist jetzt für das gesamte Lösungsportfolio zuständig. Ich bin überzeugt, das bringt eine deutliche Vereinfachung und starke Verbesserung in die Zusammenarbeit. Das neue Modell gilt erst einmal für unsere größeren Partner, also First Tier und Distribution. Aber wir wollen das Konzept mithilfe der First-Tier-Partner auf alle Partner ausweiten.

ComputerPartner 1996 hatte Lou Gerstner in San Diego die "Business Partner Charta" vorgestellt. Ein zentraler Punkt war damals der Ausbau des Partnergeschäfts auf 60 Prozent. Lebt dieses Thema eigentlich noch, oder verliert der Partnerkanal zugunsten etwa von E-Business an Bedeutung?

Raizner Der Partnerkanal verliert absolut nicht an Bedeutung. Er ist für uns essenziell. Wie beziehen wir die Partner mit ein, wie machen wir unsere Partnerbetreuung effektiver und wie können wir noch mehr Partner hinzugewinnen und mehr Geschäft machen? Dieses Thema zieht sich durch jede strategische Diskussion und jede Vertriebssituation. Das Wort der Charta mag vielleicht etwas in Vergessenheit geraten sein, die Inhalte leben nach wie vor.

ComputerPartner Dann müssten doch alle glücklich sein?

Raizner Natürlich ist nicht alles perfekt. Dass beide Partner einmal unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen haben, ist völlig normal. Da müssen wir dann eben miteinander reden. Um es ganz klar zu sagen: Am grundsätzlichen Partnergedanken hat sich nichts geändert. Heute weiß jeder IBM- Mitarbeiter, egal in welcher Stadt oder welchem Land er ist, dass es ohne Partner nicht geht.

ComputerPartner Sam Palisamo hat kürzlich erst wieder die Bedeutung von E-Business hervorgehoben. Welche strategische Bedeutung hat nun die Hardware für die IBM?

Raizner Wir sind - und daran hat sich nichts geändert - eine Technologiefirma und setzen auch in Zukunft weiterhin auf Forschung und Entwicklung. Viele dieser Entwicklungen bringen neue Hard- und Software hervor Die Anforderungen unserer Kunden an IT haben sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Immer mehr Unternehmen konzentrieren sich auf ihr Kerngeschäft und suchen IT-Dienstleister. Deshalb ist Service das Thema, das immer und überall im Vordergrund steht. Wir haben das schon früh erkannt und das Servicegeschäft seit den neunziger Jahren kontinuierlich ausgebaut. Heute steuert unsere Dienstleis-tungssparte rund 50 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Aber um es ganz klar zu sagen: Unser Dienstleistungsgeschäft steht auf einem ganz soliden Fundament aus Hardware und Software.

ComputerPartner Vor einigen Monaten wurde eine Diskussion angestoßen, welche strategische Bedeutung die IT für die Kunden habe. Manch einer behauptet, IT sei mittlerweile wie Elektrizität, Straßen oder Schienen eine Infrastruktur, die allen gleichermaßen zur Verfügung steht und somit keinerlei Wettbewerbsvorteile biete.

Raizner Das ist eine Fehleinschätzung. Es stimmt zwar, dass IT heute nicht mehr "das" strategische Differenzierungsmerkmal ist, weil jeder IT einsetzt. Ohne IT kann kein Unternehmen, egal ob groß, klein oder mittelständisch, Geschäft machen. Heute basiert jeder Geschäftsprozess auf einer gesunden Infrastruktur, auf gutem Systemmanagement und einer guten Anwendung. Wie diese integriert sind und wie die Geschäftsprozesse zusammenarbeiten, entscheidet darüber, wie erfolgreich ein Unternehmen ist. Hier liegen strategische Wettbewerbsvorteile.

Ganz entscheidend ist dabei auch zu differenzieren, wie wichtig die einzelnen Geschäftsprozesse sind: Gibt es Geschäftsprozesse, die ich an Dritte auslagern kann? Das kann Prozess- oder Infrastruktur-Outsourcing bedeuten. Dadurch werden die Prozesse und die Infrastruktur flexibel und können so schnell an Marktanforderungen angepasst werden. Ein praktisches Beispiel: Wenn die Nachfrage hoch ist, muss ich schnell darauf reagieren können. Andererseits, wenn die Nachfrage nachlässt, muss ich meine Kosten schnell genug abbauen können. Ansonsten sitze ich auf einem riesigen Fixkostenberg. Hier ist IT als originärer Bestandteil der Unternehmensprozesse absolut wichtig und kritisch.

ComputerPartner Viele Hersteller klagen seit längerem über die Investitionszurückhaltung der deutschen Kunden. Hat IBM ebenfalls Grund zu klagen?

Raizner Zugegeben: Die Dotcom-Euphorie und die damit verbundenen teilweise überzogenen Erwartungen haben das Image der IT-Branche negativ beeinflusst. Inzwischen hat sich das Blatt wieder gewendet. Wir unterhalten uns heute mit unseren Kunden über strategische Projekte, über Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung, weniger über Kostenreduzierung. Die Vorbehalte lösen sich auf. Deshalb bin ich optimistisch, dass es mit der Branche wieder aufwärts geht.

ComputerPartner Wie spiegelt sich diese positive Einschätzung in den Zahlen von IBM Deutschland wider?

Raizner Wir geben grundsätzlich keine Stellungnahme zu den Deutschland-Zahlen.

ComputerPartner Sehen Sie in der deutschen IT-Landschaft das Potenzial, in bestimmten Bereichen europaweit oder gar weltweit eine Führungsrolle zu übernehmen?

Raizner Wie das deutsche IBM-Entwicklungszentrum in Böblingen beweist, können wir auch in Deutschland sowohl im Hardware- als auch Softwarebereich sehr erfolgreich sein. Mit rund 1.700 Mitarbeitern ist es das größte außerhalb Nordamerikas. Zwei Drittel der Mitarbeiter sind im Softwarebereich tätig, ein Drittel im Hardwarebereich. Wir sind in Deutschland gut ausgebildet und kreativ. Fraglos können wir in Forschung und Entwicklung eine führende Rolle spielen.

Was wir lernen müssen, ist, nicht einfach nur Grundlagenforschung zu betreiben, sondern auch zu überlegen, was schnell in Produkte umgesetzt werden kann. Telefon oder Fax sind großartige Erfindungen aus Deutschland. Aber am Ende des Tages haben sich andere Nationen den Markterfolg gesichert. Und deshalb müssen wir als Unternehmen in Deutschland ganz intensiv darauf achten, dass mindestens 75 bis 80 Prozent der Entwicklungskosten in marktfähigen Produkte aufgehen.

Ein Beispiel ist Linux: Ein Großteil dieses Produkts ist im Böblinger IBM-Entwicklungszentrum entstanden. Und wenn Sie sich anschauen, wie viele Arbeitsplätze um Linux und Services herum in der Zwischenzeit hier in Deutschland auch durch die Unterstützung der Bundesregierung entstehen, dann ist das der Beweis dafür, dass man ganz praxisnah viel tun kann. Wir sind in allen IT-Bereichen Spitze. Allein in der Nanotechnologie gibt es weltweit nur sehr wenige Länder, die uns den Rang ablaufen können.

ComputerPartner Wo sehen Sie für IT-Hersteller im Jahr 2004 die wichtigsten Themen?

Raizner Ich kann nur für IBM sprechen. Für uns gibt es sehr wichtige Geschäftsfelder wie Life Science oder der öffentliche Bereich. Dazu kommt eine Reihe anwendungsspezifischer Bereiche, die wir uns auf die Fahnen geschrieben haben und die sicherlich auch für andere interessant sind. Eines der größten Marktsegmente in Deutschland ist weiterhin der Mittelstand. Hier haben wir in den vergangenen drei, vier Jahren intensiv investiert und werden das auch weiterhin tun. Das ist auch ein wichtiger Markt für unsere Partner. Wir suchen gerade im Bereich der Lösungspartner für den Mittelstand, der in Deutschland ja besonders breit aufgestellt ist, Partner, mit denen wir lösungs-, kunden-, und industriesegmentspezifisch zusammenarbeiten können. Da ist noch viel Nachholbedarf. Mit einem eigenen Team wollen wir diese Partner akquirieren.

ComputerPartner Sie wollen neue Partner akquirieren. Ist die Zahl der bereits bestehenden Partner oder deren Qualifikation nicht ausreichend genug, um den veränderten Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden?

Raizner Das sind verschiedene Dinge. Da ist zum einen das Thema Integration. Die Zusammenarbeit der bestehenden Partner mit IBM soll durch dieses Team vereinfacht und verbessert werden. Wir wollen mit diesen dedizierten Betreuern, die für den gesamten Partner zuständig sind, neue Geschäftsfelder eröffnen, also Geschäftsentwicklung betreiben. Dazu gehört natürlich auch, dass die großen Partner mit uns gemeinsam ein so genanntes Value-Netz aufbauen, um andere, kleine Partner aufzubauen, auszubilden und zu unterstützen. Das können weder die Partner noch wir allein.

Und dann gibt es ein großes, schlagkräftiges Team, das sich bemüht, Partner der Wettbewerber für uns zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, lieber IBM-Produkte zu verkaufen als andere. Das war schon voriges Jahr sehr erfolgreich, und das wollen wir fortsetzen. Das heißt nicht, dass wir mit den bestehenden Partnern nicht zufrieden sind. Aber wir haben gerade mal einen Marktanteil von zwölf Prozent. Da ist noch ein enormes Potenzial. Und wenn wir diese überzeugen können, mit IBM zu arbeiten, umso besser.

ComputerPartner Haben Sie gute Argumente?

Raizner Absolut: Wir haben die besten Produkte, hervorragende Kunden. Wir sind berechenbar und loyal gegenüber unseren Partnern. Das sind gerade in der heutigen Zeit überzeugende Argumente, mit IBM zusammenzuarbeiten.

ComputerPartner Dieses Jahr haben viele kleinere, aber auch große Unternehmen die Cebit-Teilnahme abgesagt. IBM wird in Hannover vertreten sein. Warum?

Raizner Die Cebit ist für uns nach wie vor eine ganz wichtige Messe. Zum einen ist sie ein Marketinginstrument, ganz klar. Wir investieren aber auch viel Geld in unseren Cebit-Auftritt. Und das tun wir nur, wenn wir auch ein gutes Geschäft machen können. Und wir machen ein sehr gutes Geschäft auf der Cebit. Wir generieren neue Interessenten, neues Zusatzgeschäft. Sicher, es ist nicht mehr so wie vor zehn Jahren, dass man nach Hannover fuhr, um Abschlüsse in Millionenhöhe zu machen. Aber es ist eine sehr gute Plattform, gerade für Mittelständler, um Kontakte und Geschäfte anzubahnen. Wenn sich die Cebit jedoch mehr und mehr zur Consumer-Messe entwickelt und sich alles hauptsächlich um Handys dreht, wird es irgendwann für uns auch nicht mehr interessant. Aber für uns und unsere Partner, mit denen wir in Hannover sind, hat sich die Messe in den vergangenen Jahren immer noch gerechnet.

STECKBRIEF

Walter Raizner

Seit 1984 bei IBM in verschiedenen Managementfunktionen im In- und Ausland tätig. Zuletzt als General Manager der Storage Products Division in Somers für das weltweite Speichergeschäft von IBM zuständig. Seit Januar 2003 Vorsit- zender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH.

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