Aus erster Hand

14.10.1999

SCHÖNBERG: Seit dem Erdbeben am 21. September 1999 in Taiwan gibt es täglich neue Gerüchte und ständig steigende Preise. Michael Thedens, Marketingleiter von NMC, versucht mit diesem Bericht, die aktuelle Lage so darzustellen, wie es NMC von seriösen Quellen aus Taiwan bestätigt bekommt und ständig aktuell berichtet wird.Selbstverständlich erhebt Thedens dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern kann die Informationen nur aus dem Blickwinkel von NMC schildern.

Versorgungsengpässe sind das Problem

Das größte Problem stellt die Versorgung der Haushalte und Industriebetriebe mit Strom dar. Bis auf weiteres werden die Produktionsbetriebe in der Nacht mit Strom versorgt und die privaten Haushalte am Tag. Unternehmen können deshalb nur etwa vier Stunden pro Tag produzieren.

Daraus folgt eine Verknappung aller Produkte, welche in Taiwan produziert werden. Dazu zählen zum Beispiel Motherboards, Speichermodule, Speicherchips, Chipsätze, Grafikkarten, TFT-Displays und CRT Monitore, Notebooks und so weiter.

Die meisten dieser Produkte werden im "Hsinchu Science Park" hergestellt. Der "Hsinchu Science Park" liegt zirka 50 Kilometer südlich von Taipeh und somit dichter am Epizentrum als die Hauptstadt (siehe Grafik). Das Epizentrum lag ziemlich genau in der Mitte von Taiwan (nahe Nantou) und somit zirka 150 Kilometer von Taipeh entfernt. Wie groß der Grad der Zerstörung bei einzelnen Betrieben im "Hsinchu Science Park" ist, läßt sich derzeit noch nicht sagen. Jedoch liegt hier der Hauptfokus der taiwanischen Regierung, da dieser eine Schlüsselrolle für den Export spielt. Deswegen ist zu vermuten, daß hier der Aufbau am schnellsten vonstatten geht.

Fehlende Informationen

Leider gibt es keine genauen Berichte über den Grad der Zerstörung von Produktionsstätten im beziehungsweise um das Epizentrum. Aufgrund der begrenzten Stromzufuhr gibt es nur wenig oder gar keine Telefonverbindungen speziell zu diesem Teil von Taiwan. Fakt ist, daß viele Zulieferbetriebe ihre Fabriken dort haben. Ohne diese Zuliefererbetriebe können zum Beispiel Motherboardshersteller nichts produzieren. Die Zauberformel lautet "JIT". Alle Mainboardhersteller beziehen die Einzelkomponenten wie Layer, Transistoren, Kondensatoren, Chipsätze "Just in Time".

Ein kurzfristiger Produktionsausfall führt ergo zum Stop der Produktion. Dazu ein Beispiel:

TSMC gibt an, zum 30. September 1999 wieder zu 80 Prozent produzieren zu können. TSMC stellt unter anderem Chipsätze für Via her (wie zum Beispiel die 686A). Daher dauert die Allokation bei Chipsätzen wohl nicht mehr allzu lange. Was jedoch haben die Mainboardhersteller davon, wenn Via liefern kann und andere Zulieferer wiederum ausfallen? Dank "JIT" führt der Ausfall auch nur eines Zulieferers zum sofortigen Produktionsstop. Diese Problematik läßt sich auf alle anderen Produkte (Speicher, Grafikkarten, Notebooks, Displays und so weiter) übertragen. Ein weiterer Grund für die Verknappung ist die Zerstörung der Infrastruktur. Viele Straßen und Brücken sind beim Erdbeben zerstört worden. Eine Reparatur ist derzeit sehr schwierig, da mittelschwere und starke Nachbeben an der Tagesordnung sind. Laut taiwanischen Seismologen sollen die Nachbeben noch bis zu zwei (!) Monate dauern. Wie der Transport der Waren per LKW erfolgen soll, wenn die Straßen zerstört sind, ist fraglich.

Ausfuhrschwierigkeiten

Die Ausfuhr der Waren bereitet auch Probleme, da das EDI-System (Electronic Data Interchange) ausgefallen ist. Alle Waren, die derzeit ausgeführt werden, werden manuell abgefertigt. Logischerweise beschleunigt dies nicht gerade den Export.

Diese Gründe zusammen führen zu der derzeitigen Allokation. Eine kurzfristige Entspannung der Lage ist daher extrem unwahrscheinlich. Dadurch kann man in den nächsten Wochen von weiter steigenden Preisen ausgehen. Fast alle Produkte sind hiervon betroffen, speziell Grafikkarten, Speicher sowie Motherboards. Dabei muß festgestellt werden: Die Preise steigen, beziehungsweise werden steigen, weil die Verfügbarkeit der Produkte sehr schlecht ist. Keinesfalls "nutzen" die Hersteller und Händler die aktuelle Lage aus, um die Marge zu erhöhen. Denn in diesem letzten Quartal des Jahrtausends geht Verfügbarkeit vor Marge. Aufgrund der aktuellen Lage haben wir jedoch eine schlechte Verfügbarkeit. Hierbei eine gute Marge zu erzielen ist sehr schwer. Wie soll der Händler derzeit beurteilen, ob der Einkaufspreis für ein 64-MB-Modul nächste Woche auch zu einem Profit führt? Wie soll man sich ein Lager einrichten, wenn die Preise in einer Woche um 50 Prozent steigen? Deswegen kaufen viele Händler nur noch tagesweise ein und verzichten dabei lieber auf eine eventuell höhere Marge. Ungleich problematischer ist die Situation für einen Hersteller, der ja aufgrund seiner Stellung immer in der Lage sein muß, liefern zu können. Wenn der Hersteller A seine "geforecasteten" Kontrakte nicht zu 100 Prozent von seinen taiwanischen Lieferanten bekommt, muß er auf dem Spotmarkt einkaufen. Die Konsequenz: Der Endverbraucher kann sich schon mal auf eine "magere" Ausstattung seines neuen PCs einstellen oder gar auf eine Preiserhöhung. Alle Anbieter, die schon von einem "Free-PC" sprachen, müssen jetzt wohl neu kalkulieren.

Michael Thedens

Michael Thedens, Marketingleiter bei NMC, glaubt nicht, daß die angespannte Lage in Taiwan sich nicht so schnell ändern wird.

Taiwan hat eine Länge von nur 450 Kilometern. Der Industriepark Hsinchu mit den Halbleiterfabriken liegt nur etwas über 100 km vom Epizentrum des Erdbebens entfernt.

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