Branche macht sich Sorgen

Auto bald nur noch ein Smartphone-Zubehör?

02.06.2015
Über Jahrzehnte war die Autoindustrie ein exklusiver Club. Doch die Digitalisierung weicht die Machtposition der Platzhirsche auf. Apple und Google sind auf dem Weg ins Cockpit - und ganz neue Player glauben, auch in der Branche mitmischen zu können.

Das Auto wird sich gewaltig verändern. Selbstfahrende Fahrzeuge könnten auf lange Sicht ohne Lenkräder und Pedale auskommen, wie es Google schon jetzt bei seinen kugeligen Prototypen verspricht. Ein Umstieg auf Elektro-Mobilität wird ganze Teil-Industrien etwa in der Produktion von Benzinmotoren oder Getrieben schröpfen. Und je tiefer die Elektronik ins Auto vordringt, desto mehr Gewicht bekommen die IT-Schwergewichte aus dem Silicon Valley, allen voran Google und Apple.

Die Verbraucher werden das merken, wenn sie sich in den nächsten Monaten nach einem neuen Auto umsehen. Die Plattformen von Apple und Google zur besseren Integration von iPhones und Android-Smartphones im Auto kommen ein Jahr nach der Präsentation auf breiter Front in die Fahrzeuge. Die meisten Hersteller wollen dabei sowohl Apples "Carplay" als auch "Android Auto" unterstützen. So stellte die Opel-Mutter General Motors die Einbindung der Dienste in 14 Chevrolet-Modellen in Aussicht. Auch VW steht in den Startlöchern - vom Polo bis zum Passat.

Die hauseigenen Systeme auf den Displays der Infotainment-Anlagen verschwinden aber nicht. So wird man im neuen Q7 von Audi die neben den Welten von Apple und Google auch die Karten des Autobauers nutzen können. Man rechne damit, dass die Fahrer eher von der Audi-Lösung navigieren lassen, weil die auch offline im Tunnel funktioniere oder im Ausland - ohne hohe Roaming-Gebühren, sagt ein Mitarbeiter am Rande der Entwicklerkonferenz Google I/O. Das kolportierte Gebot von Daimler, Audi und BMW für die Here-Kartensparte von Nokia erscheint da umso plausibler.

"In der Industrie wird viel diskutiert über das Verhältnis zu Google und Apple", sagt ein gut vernetzter Unternehmensberater, der die Hersteller bei der Entwicklung eigener Systeme unterstützt. "Die Autobauer haben Angst, Daten an Google und Apple zu verlieren." Es gehe um Kontrolle: "Carplay und Android Auto sind so designt, dass das Auto zum Zubehör des Smartphones wird." Zudem vermissten die Konzerne Spielraum für Differenzierung: "Zu ihrem Geschäftskonzept gehört, dass die Bedienung in einem Maserati hochwertiger aussieht als in einem Fiat."

Der italienische Autobauer versucht bei seinem neuen Fiat 500X noch einmal, mit Infotainment aus eigener Entwicklung dagegenzuhalten. Das System im Cockpit nutzt zwar das Smartphone zur Internet-Verbindung - die gesamte Bedienoberfläche wurde aber bei Fiat unter anderem mit Hilfe des US-Konzerns Harman entwickelt. Zugleich ließ Fiat-Chef Sergio Marchionne jüngst eine kleine Schockwelle durch die Branche gehen, als er bemerkte, er sei bei seiner Suche nach einem Fusionspartner auch offen für Allianzen mit Apple und Google.

Marchionne fuhr auch ins Silicon Valley und traf sich dort mit Apple-Chef Tim Cook sowie mit dem Gründer des Elektroauto-Bauers Tesla, Elon Musk. Cook sei interessiert in Apples "Intervention im Auto", erklärte der Fiat-Chef danach etwas kryptisch. Das gießt Öl ins Feuer der seit Monaten andauernden Gerüchte, Apple arbeite an einem eigenen Elektroauto, das zum Jahr 2020 auf den Markt kommen könnte.

Die Spekulation kommt Apple - vielleicht auch mit Blick auf die Verhandlungen mit den Autoherstellern - ganz offensichtlich nicht ungelegen. So schürte Top-Manager Jeff Williams, der bei Apple für das Tagesgeschäft zuständig ist, die Gerüchte vergangene Woche sogar selbst. "Das Auto ist das ultimative Mobil-Gerät, nicht wahr?", antwortete er mit einem verschmitzten Lächeln auf die Frage nach möglichen künftigen Produktbereichen auf einer Konferenz des Tech-Blogs "Re/code".

Die Anspannung liegt inzwischen spürbar in der Luft. Volkswagen-Chef Martin Winterkorn holte vor wenigen Tagen zu einer überraschenden Attacke gegen den Apple aus. "Ein Konzern wie Apple lässt seine Produkte nahezu ausschließlich bei Zulieferern in Asien fertigen - unter teilweise fragwürdigen Bedingungen", kritisierte er bei einer Forschungskonferenz in Berlin. "Das ist nicht unsere Vision!" Das Apple inzwischen seine weltweiten Zulieferkette einer strikten Kontrolle unterzieht, ließ der Automotive-Boss dabei unerwähnt.

Und Daimler gab einen seltenen Einblick in das Feilschen mit Google um Fahrinformationen. "Wir glauben, dass Google für die Integration von Smartphones beispielsweise nicht auf die Daten der Tankfüllung zugreifen und auch nicht über das Auto die GPS-Daten abfragen muss, wenn der Fahrer diese ohnehin schon mit seinem Smartphone übermittelt, das er mit dem Auto verbindet", sagte ein Sprecher im März der "Automobilwoche".

Dabei könnten die Autokonzerne es mit noch ganz neuen Playern zu tun bekommen. An die Roboterwagen von Google haben sich inzwischen alle gewöhnt, aber selbst der Exot Local Motors, der auf Autokarosserien aus dem 3D-Drucker setzt, traut sich zu, mit der Zeit ein selbstfahrendes Fahrzeug auf die Straße zu bringen. "Warum nicht? Wir rechnen damit, dass die Technologie rasch günstig verfügbar sein wird", sagt Europachef Damien Declercq. Und Taxi-Schreck Uber holte sich auf einen Schlag 40 Forscher vom Robotik-Labor der Universität Carnegie Mellon, einem Vorreiter bei selbstfahrenden Fahrzeugen. (dpa/tc)

Zur Startseite