9 Szenarien für 2025

Balance zwischen eCommerce und stationärem Handel

Ronald Wiltscheck widmet sich bei ChannelPartner schwerpunktmäßig den Themen Software, KI, Security und IoT. Außerdem treibt er das Event-Geschäft bei IDG voran. Er hat Physik an der Technischen Universität München studiert und am Max-Planck-Institut für Biochemie promoviert. Im Internet ist er bereits seit 1989 unterwegs.
Wird der Online-Handel die Ladengeschäfte in unseren Städten verdrängen? Das EHI Retail Institute ist dieser Frage nachgegangen.

Insgesamt 31 Logistikentscheider aus zehn Handelsunternehmen der Marktsegmente Lebensmitteleinzelhandel, Heimwerkerbedarf und Bekleidung sowie aus neun Dienstleistungsunternehmen der Bereiche Strategie-Beratung, IT- und Logistik haben in drei eintägigen Workshops zusammen 22 Schlüsselfaktoren für die Handelslogistik der kommenden zehn Jahre identifiziert.

EHI-Szenarien zur Rolle der Logistik im Handel von morgen

Die EHI-Mitglieder kamen dabei zum folgenden, nicht wirklich überraschenden, Fazit: Der Handel muss den Digitalisierungsprozess aktiv mitgestalten. Denn nur auf diese Weise können Fachhändler den Digitalisierungsprozess entscheidend mitprägen und schlussendlich auch dazu beitrage, dass die heute vorhandenen Logistikstrukturen in einer veränderten Form auch in Zukunft Bestand haben werden.

In einem anderen, für den heutigen Fachhandel unerfreulichen Szenario, werden sich laut dem EHI Retail Institute neue Player zwischen Handel und Endkunde drängen und das Heft in die Hand nehmen. Das ist das Kernergebnis der EHI-Studie "Handelslogistik 2025", deren Grundlage die 22 bilden, die die 31 Entscheider aus den 19 befragten Logistikunternehmen eruiert haben.

Demnach sind 2025 insgesamt neun unterschiedliche Szenarien in der Handelslogistik möglich. Sie spiegeln aktuelle Trends in der Handelslogistik wieder, die sich bis 2025 mit unterschiedlichen Tempi entwickeln könnten. Daraus erhalten Handelsunternehmen eine gewisse Orientierungshilfe für ihre zukünftigen Geschäftsmodelle in die Hand. Die unterschiedlichen Szenarien sind vom Grad der Aktivität der Rolle des Handels und der Ausprägung der Digitalisierung geprägt.

Showroom

Die 9 Szenarien zur Zukunft des stationären Fachhandels
Die 9 Szenarien zur Zukunft des stationären Fachhandels
Foto: EHI Retail Institute

Bei diesem Szenario (links oben in der Grafik) wird der Digitalisierungsprozess im Handel in den kommenden zehn Jahren zum Stillstand kommen, ein Sättigungseffekt tritt ein. Begünstigt wird das Ende des eCommerce-Booms durch eine fortschreitende Urbanisierung: Markenträger und Hersteller "bepflastern" die Innenstädte mit zahlreichen Flagship-Stores.

Diese Flagship-Stores bieten dem Kunden durch Showrooming-Konzepte ein besonderes Einkaufs- und Produkterlebnis. Der Erlebnischarakter des Shoppens sorgt dafür, dass der Kunde die Ware bevorzugt im stationären Handel begutachtet und sich die Ware durch die Logistikpartner des Handels direkt nach Hause liefern lässt. Die Handelslogistik nimmt folglich eine sehr aktive Rolle im Digitalisierungsprozess ein. Allerdings verstärkt sich die Komplexität in der Logistik des Handels, etwa durch die Zunahme an Retouren.

Parallel-Szenario

Zu einer Verschmelzung der On- und Offline-Welt kommt es in dem Parallel-Szenario (in der Grafik ganz oben) nur in geringem Maße, sodass eCommerce und stationärer Handel nicht aufeinander abgestimmt sind und quasi isoliert nebeneinander fortbestehen. Durch die parallele Existenz beider Welten erhöht sich die Komplexität in der Handelslogistik in Form eines höheren Aufwands bezüglich der Organisation und der Prozessabläufe innerhalb der unterschiedlichen Lieferketten.

Gleichzeitig wollen sich immer mehr Hersteller und Anbieter aus der Logistikbranche in der Handelswelt durchsetzen. Indem sie auf ein breites Portfolio an Dienstleistungen zurückgreifen und dadurch effizienter als die Logistik des Handels agieren können, drängen sie sich zwischen Handel und Endkunde und treten in Konkurrenz zu den etablierten Strukturen der Handelslogistik, so EHI.

Szenario "Vorwärtsintegration"

Zu einer stärkeren Verschmelzung von eCommerce und dem stationären Handel kommt es hingegen in dem EHI- Szenario "Vorwärtsintegration". Diese Handelslandschaft präsentiert sich im klassischen Omnichannel-Gewand, der durch kleinere Verkaufsflächen und die Nähe zum Kunden gekennzeichnet ist.

Durch den Zuwachs an Auslieferungspunkten (Paketshops, Packstationen und ähnliches) sowie durch die Fokussierung der Logistik auf das reine Supply Chain Management zum Endkunden hin, kommt es zu einer stärkeren Automatisierung in den Logistikprozessen im Handel. Dabei stehen die Unternehmen der Handelslogistik im starken Wettbewerb zu den Hersteller-eigenen Logistikabteilungen. Beide Faktoren - Automatisierung und Wettbewerb - sogen dafür, dass sich die Komplexität in der Handelslogistik massiv erhöht.

Das Ende des stationären Fachhandels

In diesem Worst-Case-Szenario (in der Grafik ganz unten) prognostiziert EHI das Ende des stationären Handels, weil der mit der fortschreitenden Digitalisierung Kundenwünsche nicht mehr befriedigt. Läden verschwinden vielerorts ganz von der Bildfläche, während der Online-Handel eindeutig dominiert. Die Logistikstrukturen haben sich vollständig vom Handel gelöst, denn Online-Pure-Player schaffen eigene hochautomatisierte Logistiklösungen, wodurch sie dem Handel die Kontrolle über die Wertschöpfungskette aus der Hand genommen haben.

Ihren Platz in diesem Szenario versucht die Logistikbranche über die Einbettung von IT-Systemen und -technologien in existierende IT-Landschaften und die Supply Chain-Steuerung zu sichern. Distributoren werden also zu reinen IT-Dienstleistern.

Zwischen diesen Extremen gibt es noch Übergangsszenarien, in denen der Handel und dessen Logistik eine mehr oder weniger wichtige Rolle im Wertschöpfungsprozess "Versorgung des Kunden mit Gütern aller Art" spielt.

Fazit

Der Fachhandel sollte aus dieser Prognose die richtigen Schlüsse ziehen und auf die unterschiedlichen Entwicklungen - massive Urbanisierung und Belebung der Verkaufsflächen oder die Verödung der Innenstädte - vorbereitet sein. Erste Maßnahmen in der Optimierung der Logistikstrukturen gilt es schon jetzt zu ergreifen, um in allen möglichen Zukunftsszenarien zu den Siegern zu gehören.

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