Berlin ist eine Reise wert - die IFA nicht

06.09.2001
Die IFA, neben der Autoausstellung IAA mit 77 Jahren Deutschlands älteste Industriemesse, zeigt Alterserscheinungen. Zwar ziehen die Veranstalter, die Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (GfU) eine positive Bilanz. Doch das kann nicht über sinkende Besucherzahlen hinweg - täuschen.

Mit vielen Vorschuss-Lorbeeren bedacht eröffnete am 25. August die IFA ihre Pforten. Die gebeutelte IT-Branche setzte große Erwartungen in die diesjährige Ausstellung. Als reine Consumermesse ausgelegt, sollte sie dem Endverbraucher zeigen, was er demnächst in den Regalen des Handels vorfinden würde.

Doch schon am Mittwoch musste die Messegesellschaft bei einer Zwischenbilanz einräumen, dass die Zahlen hinter den Erwartungen zurückblieben. Rund 10.000 Besucher weniger als vor zwei Jahren hatten sich bis dahin auf der IFA eingefunden. Bis zum Ende der Messe am Sonntag konnten die Besuchszahlen von 1999 mit 380.000 Konsumenten fast wieder erreicht werden. Ob das mangelnde Interesse der Anwender am Termin - schließlich sind in Berlin noch Sommerferien - oder am zu warmen Wetter lag, ist rein spekulativ.

Allerdings zeigten sich die Aussteller mit dem Erfolg der Messe zufrieden. Nach einem unabhängigen Messe-Marktforschungsinstitut gaben drei von vier Ausstellern ihr geschäftliches Ergebnis mit sehr gut, gut oder zufriedenstelllend an. 70 Prozent berichten über neue Geschäftskontakte und gut drei Viertel (78 Prozent) erwarten ein gutes Nachmessegeschäft. Hier sollen vor allem die neuen digitalen Aufzeichnungsgeräte im Mittelpunkt stehen. 81 Prozent der Befragten signalisierten, auch auf der nächsten IFA 2003 wieder vertreten zu sein.

Evolution statt Revolution

Schöner, bunter, kleiner oder größer: Die Evolution der Produkte geht weiter. Aber wirklich neue Ideen oder innovative Produkte wurden kaum oder nur versteckt gezeigt. Was auf jeden Fall in den nächsten Monaten die Regale beherrschen wird, ist der digitale Videorekorder. Hier wächst die IT-Industrie mit der Braune-Ware-Fraktion wirklich zusammen. Allerdings halten die Hersteller der UE-Industrie immer noch an ihren hohen Margen fest. Für einen digitalen Videorekorder soll der Endverbraucher mehr als 3.000 Mark bezahlen. Dafür erhält er einen ab-gespeckten Rechner mit Festplatte und einem Tuner. Eine Einsteckkarte im PC und ein wenig Software erledigen die gleiche Aufgabe für etwa 200 Mark. Zudem lässt sich der PC noch weitaus universeller einsetzen. Dieser eklatante Preisunterschied dürfte nicht nur einem PC-Kenner unangenehm auffallen.

Einen besseren Platz in der Käufergunst werden mit Sicherheit die DVD-Rekorder einnehmen. Zwar sind auch diese Geräte erst ab rund 3.000 Mark zu haben, sie lassen aber wenigstens eine Archivierung der aufgenommenen Filme zu. Leider konnte sich die Industrie bislang noch immer nicht auf einen einheitlichen Standard einigen. So buhlen gleich mehrere Systeme (DVD-Ram, DVD (minus) RW und DVD (plus) RW) um die Gunst der Käufer. Welcher Standard sich durchsetzen wird, steht noch in den Sternen. Auch hier wird sich der Käufer abwartend verhalten, was eine Massenproduktion verhindert, und deshalb dürften auch die Preise für DVD-Rekorder in nächster Zeit noch nicht drastisch fallen.

Highend gleich Highprice?

Otto Normalverbraucher kam auf der IFA eigentlich zu kurz: Alles, was an Neuerungen in den Glasvitrinen und auf den Ständen präsentiert wurde, ist für ihn meist unerschwinglich. Der durchschnittliche Konsument kann zwar davon träumen, sich die Produkte aber kaum leisten. "Fernseher haben einfach eine zu lange Lebenserwartung", schimpfte ein großer Hersteller von Flachbildschirmen auf der IFA. Aber ob der Verbraucher sich beim Neukauf für einen seiner rund 10.000 Mark teuren Flachbildschirme entschließen wird, glaubt er auch nicht so recht.

Hifi-Enthusiasten kamen dagegen auf der IFA voll auf ihre Kosten. Von der teuersten Musik-Anlage der Welt, deren Gegenwert eine Villa inklusive Grundstück darstellt, bis hin zu den kleinen tragbaren MP3-Playern war alles vertreten.

Eine interessante Neuentwicklung im Lautsprecherbau zeigte das Möbelhaus Brinkmann. Das Unternehmen integrierte Lautsprecher in die Schranktüren seiner Produkte. Dabei dient die gesamt nur 22 Millimeter dicke Tür, die beliebig furniert werden kann, als Flächenstrahler. Ein spezieller Verstärker mit integriertem DSP (digitaler Signalprozessor) sorgt in Verbindung mit einer Chipkarte für eine gezielte Verzerrung des Signals an den Lautsprechern. Dabei fließen auch die räumlichen Gegebenheiten des jeweiligen Wohnzimmers in die Berechnungen ein. Das Ergebnis: sehr guter Klang ohne sichtbare Lautsprecher.

Schöne neue digitale Welt

Digitalkameras wurden auf der Messe von vielen Aussteller gezeigt. Dabei zeigte sich aber eine Trendwende. Weg von der Pixel-Gigantomanie hin zur einfachen Bedienung hieß die Devise. Zwar lassen sich schon lange keine Kameras mehr unter einer Million Pixel an den Mann oder die Frau bringen, aber zwei bis drei Millionen Pixel reichen für den Heimgebrauch vollständig aus. Eine Digitalkamera soll einfach und leicht zu bedienen sein, so will es der Endverbraucher. Besonders der Verbindung PC/Kamera kommt große Bedeutung zu. Wenn man erst umständlich mehrere Programme öffnen und anschließend die Bilder mühsam manuell in eigene Verzeichnisse schieben muss, spricht das nicht für Anwenderfreundlichkeit. Kodak setzt mit seinem Sys-tem "Easyshare" auf eine einfache und gleichzeitig schnelle Übertragung der Bilddaten. Die Kamera wird dazu in einen Adapter gesteckt, der per USB mit dem Rechner verbunden ist. Bilder werden so automatisch von der Kamera in den PC transferiert und die Akkus der Kamera gleichzeitig geladen. Karsten Eggert, Vertriebsdirektor Deutschland Kodak Consumer Digital Cameras, sieht im Digitalkameramarkt eines der am stärksten wachsenden Segmente der ITK-Industrie. Und die Zahlen geben ihm recht. In der Periode Februar bis Mai 2001 stieg die Anzahl der verkauften Digitalkameras um 92 Prozent gegenüber der gleichen Periode im Vorjahr. "Die Abdeckung mit Digitalkameras in Privathaushalten liegt zur Zeit gerade mal bei fünf Prozent. Und orientiert man sich an der aktuellen Stern-Umfrage zu diesen Kameras, dann planen zehn Prozent der deutschen Gesamt-Bevölkerung, das sind immerhin rund sechs Millionen Bürger, sicher oder vielleicht die Anschaffung eines digitalen Fotoapparates", so Eggert. "Und da zum Betrieb einer Digitalkamera fast zwingend ein PC erforderlich ist, dürfte auch der IT-Handel vom Boom der Digitalkameras profitieren. Der Computerhandel besitzt für Kodak ein großes Wachstumspotenzial und das nicht nur beim Verkauf von Digitalkameras. Ebenso bedeutsam sind Inkjet-Fotopapiere, die auf Fotodruckern für fotorealistische Ausdrucke sorgen."

Damit ist das Ende der analogen Fotoapparate aber noch lange nicht eingeläutet. Denn eines darf man bei aller Euphorie für die neue Technik nicht vergessen: Analoge Fotografie ist noch konkurrenzlos preiswert. Fujifilm präsentierte deshalb auf der Messe eine analoge Kamera, die unter 100 Mark kostet, Super-Fotos schießt und dabei noch sehr leicht zu bedienen ist. Die Kamera ist in drei trendigen Farben (Orange, Blau oder Silber) erhältlich und soll auch als Accessoire dienen.

Erstmals auf der Messe präsentierte Sony den neuen Clié, einen Organzier mit Farbbildschirm und Palm OS als Betriebssystem. Das Gerät soll in den nächsten Wochen für etwa 1.200 Mark auf den deutschen Markt kommen. Ausgerüstet ist der Organizer natürlich mit dem Memory Stick, einer Art Smart Media Card. Außerdem hat es Sony endlich geschafft, den proprietären Standard Memory Stick zu etablieren. Mehr als 160 Hersteller haben sich inzwischen als Lizenznehmer für diese Technologie eingetragen. Darunter befinden sich auch Samsung und HP.

Reges Zuschauerinteresse auf der Messe fanden die Roboter-Hunde "Ibo" von Sony. In der neuesten Version lassen sich die "Tiere" auch per Funk fernsteuern. Dieser Stand war ständig umlagert.

Die Zukunft der IFA

Den Höhepunkt des Publikumsinteresses hatte die IFA im Jahr 1969 mit rund 730.000 Besuchern erreicht. Danach musste die Messe mit ständig schwindenden Besucherzahlen kämpfen. In diesem Jahr wollten sich nur noch 376.522 Consumer über die Neuheiten der Unterhaltungselektronik und des ITK-Sektors informieren. Nun werden Stimmen laut, die nächste IFA im Jahr 2003 auf sechs oder sieben anstelle von neun Tagen zu beschränken.

Nachdem sich vor zwei Jahren schon die großen Privatsender aus Kostengründen von dieser Messe zurückgezogen haben, wollen auch ARD und ZDF ihre Aktivitäten für die nächste IFA überdenken. "Die Zeit der großen Open-Air-Shows auf Messen ist vorbei", erklärt ZDF-Programmdirektor Markus Schächter. (jh)

Zur Startseite