Berlin, wir haben ein Problem!

10.10.2002

Die rot-grüne Koalition hatte vier Jahre zum Üben. Jetzt, kurz nach der Wiederwahl, verlangen der Bitkom und die Initiative D21 endlich Taten, und zwar schnell. Die Regierung soll der siechenden deutschen IT-Wirtschaft mit durchgreifenden Gesetzesänderungen, Gesetzesrücknahmen und vor allem durch massive Steigerung der Inlandsnachfrage unter die Arme greifen. Die IT-Branche schrumpft nämlich. Statt, wie bisher, viermal schneller als die gesamte Volkswirtschaft zu wachsen, schrumpft sie. Da muss man doch was tun! Nur wer ist "man"?

Die Vertreter der IT-Branche haben die Regierung als "man" geoutet. Deren Aufgabe: Weg mit dem Gesetz der Scheinselbstständigkeit, weg mit Betriebsverfassungen, weg mit dem aktuellen Kündigungsschutz. Der Bitkom verlangt mehr Freiheit für die Unternehmen.

Im Klartext: Sie wollen sich nicht länger in ein soziales Korsett zwängen lassen: Wenn Mitarbeiter überzählig sind, raus mit ihnen. Wenn Mitarbeiter unqualifiziert sind, raus mit ihnen. Es sollen nicht länger soziale Gründe wie etwa alleinerziehend, schwanger, verschuldet oder langjährige Betriebszugehörigkeit über die Sicherheit des Arbeitsplatzes entscheiden, sondern harte Fakten wie Einsatz und Arbeitsqualität - sprich Produktivität. Und die Arbeitszeiten (ganztags, halbtags, Telearbeit) sowie die Gehälter sollten auch freier verhandelbar sein. Freie Verhandlungen für mündige Berufstätige statt Bevormundung durch Gewerkschaften und Betriebsräte.

Das ist aus wirtschaftlicher Sicht mehr als ein verlockender Gedanke; es ist vielmehr ein Ausweg aus der Misere für viele kleine und mittlere Unternehmen. In Zeiten des Super-Hypes mussten sehr viele Mitarbeiter eingestellt werden. Jetzt stehen die Arbeitgeber da und müssen viel zu viele Mitarbeiter behalten, die sie sich aufgrund der zurückhaltenden Nachfrage gar nicht leisten können. Dabei ist schnelle Reaktion auf veränderte Wirtschaftsbedingungen das A und O eines erfolgreichen und überlebensfähigen Unternehmens.

Aber das stringente Arbeitsrecht beschneidet die Möglichkeiten der Firmen. Im Namen der "sozialen Gerechtigkeit" sollen Arbeitsplätze von Einzelnen auf Teufel komm raus erhalten werden. Obwohl diese Beschäftigten vielleicht nicht ihre Aufgaben zufrieden stellend erledigen, können die Unternehmen diese nicht durch produktivere Mitarbeiter ersetzen, müssen vielleicht sogar andere, besser qualifizierte entlassen, wenn der Personalstamm reduziert werden muss. Ist das wirklich sozial, wenn die wirtschaftliche Absicherung Einzelner vielleicht das gesamte Unternehmen und damit alle Arbeitsplätze gefährdet?

Nein! Man kann nicht von Unternehmern verlangen, dass sie ihren Mitarbeitern immer währende Sicherheit in einer unsicheren Wirtschaftssituation bieten. Das wäre Selbstmord. Viele Mitarbeiter wollen das ja auch gar nicht. Sie sind vielmehr gerne bereit, selbst unternehmerisches Risiko zu tragen und mit mehr oder besserer Arbeit auch mehr zu verdienen. Deshalb sollten die Gesetze zur Scheinselbstständigkeit und zu befristeten Arbeitsverträgen schnellstmöglich wieder verschwinden. Dann können die deutschen Unternehmen auch schneller und besser auf Marktanforderungen reagieren, sie werden konkurrenzfähiger, erfolgreicher und wenn der nächste Boom kommt, können sie auch wieder mehr Mitarbeiter einstellen.

Ulrike Goreßen

ugoressen@computerpartner.de

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