Bildet Netze! - Die Zukunft von Unternehmen und Dienstleistern

12.06.1996
FRANKFURT: Wie werden in Zukunft Unternehmen und Arbeit organisiert sein? war das Thema des Frankfurter Forums Treffpunkt @rbeit. Im Mittelpunkt des zweitägigen Kongresses stand die These: Virtuelle Unternehmen, die Experten und Dienstleistungen projektweise organisieren, werden die Arbeit verrichten. Und Arbeit wird nur die sein, die Kundenwünsche realisiert.Im subtropisch wuchernden Gewächshaus des Frankfurter Palmengartens wirbt eine Dienstleister für sein Konzept, projektweise Fachleute aller Art an Unternehmen zu vermitteln, mit der Frage: "Brauchen Sie für alle Aufgaben in Ihrem Unternehmen wirklich immer eigenes Personal?"

FRANKFURT: Wie werden in Zukunft Unternehmen und Arbeit organisiert sein? war das Thema des Frankfurter Forums Treffpunkt @rbeit. Im Mittelpunkt des zweitägigen Kongresses stand die These: Virtuelle Unternehmen, die Experten und Dienstleistungen projektweise organisieren, werden die Arbeit verrichten. Und Arbeit wird nur die sein, die Kundenwünsche realisiert.Im subtropisch wuchernden Gewächshaus des Frankfurter Palmengartens wirbt eine Dienstleister für sein Konzept, projektweise Fachleute aller Art an Unternehmen zu vermitteln, mit der Frage: "Brauchen Sie für alle Aufgaben in Ihrem Unternehmen wirklich immer eigenes Personal?"

Wer glaubt, im Sinne des Anbieters mit "Nein" antworten zu können, mußte nurmehr ins dichtbesetzte Auditorium des am 17. und 18. September 1996 von Softwarehersteller Lotus, ZDF und der Süddeutschen Zeitung veranstalteten Forums "Treffpunkt @rbeit" überwechseln, um sich von hochkarätigen Referenten bestätigen zu lassen: "Unternehmen der Zukunft bestehen aus virtuellen Verbänden, die sich für ein Projekt zusammenschließen", erklärt unwidersprochen Thomas Mallone, Managementprofessor an der Bostoner Denkfabrik MIT (Massachusetts Institute of Technology) den zirka 400 Zuhörern.

Konkreter In wenigen Jahren "kooperieren ein - bis maximal zehnköpfige Unternehmen bei Projekten. Das Bündeln von Expertenwissen garantiert kundennahe Produkte zum richtigen Zeitpunkt", verheißt die Perspektive Mallones. Erst wenn "der Kunde sein Produkt in Auftrag geben kann und nicht mehr auf konfektionierte Produkte trifft, die er für seine Zwecke nachbearbeiten muß", ergänzt Ökonom Gianni Lorenzoni, Professor in Bologna und mittels Videokonferenz im Palmengarten präsent, "ist ein profitables Unternehmen zu erwarten".

Kleine Teams schließen sich für Projekte zusammen

Teams solcher Unternehmen setzen sich aus "selbständigen, über ihre Internet-Adressen akquirierten Experten zusammen", weissagt der MIT-Professor. Sie bringen als Subunternehmer mit, was eine Firma ausmacht: Etwa Logistik und Vermarktung, aber auch die reale Produktion der Konzepte, nämlic die Ware.

Das von Mallone angeführte Beispiel für ein real existierendes "virtuelles Unternehmen" lies die Zuhörer allerdings aufhorchen: Nokia Display Products, ein US-Ableger des finnischen Konzern Nokia, macht 160 Millionen Mark Umsatz mit fünf festangestellten Mitarbeitern. Das Quintett hat allein die Aufgabe, mit einem erfolgversprechenden Produkt ein profitables, von direkten lohn- und maschinengebundenen Kosten entbundenes Unternehmen zu realisieren. So kümmern sie sich als ein Superadvisorquintett um Marketing und Controlling der PC-Display-Firma; alles Andere - Herstellung, Logistik, Werbung, Verkauf und Kundenbetreuung etc. pp. - besorgen Subunternehmen und Freelancer.

Ob Vordenker Mallone mit diesem Beispiel eines 60 qm Unternehmens bei Gerhard Schulmeyer, ehemals MIT-Student und seit 1994 Vorstandsvorsitzender der Siemens-Nixdorf AG, weiter als bis zum Vorzimmer käme, kann bezweifelt werden. Denn Schulmeyer ist gerade dabei, den vor sechs Jahren zur Siemens AG gekommenen IT-Konzern mit seinen zigtausend Mitarbeitern profitabel zu machen. "Alle müssen mitmachen, alle müssen Reports schreiben", beschreibt Schulmeyer das emsige SNI-Reengineering.

Sein KO-Kriterium des "Communities-Modell", das "Dezentralisierung" und "Netzwerke" zu Kernbegriffen der SNI-Generalüberholung gemacht hat, ist schlicht unternehmerischer Erfolg. "Dafür müssen wir Komplexität und Dynamik lieben lernen", fordert Schulmeyer. Das SNI-Säkulum mit langen Entscheidungswegen, mit Dutzenden von Projektanträgen und endlosen Wanderungen auf langen Fluren hat nurmehr musealen Wert. Stattdessen sind kleine mobile Projektgruppen bei SNI gefragt. Was MIT-Forscher Mallone, doch wieder zum Bruder im Geiste macht.

Unternehmerisches Leitziel: Intelligente, dienstleistungsgeprägte Produkte

Soweit herrscht Konsens unter den Referenten: In Deutschland werden Unternehmen und Handel nur eine Zukunft haben, wenn sie sich ändern. Und zwar bald. "Innovative Unternehmen zeichnen sich nicht nur durch Innovationen auf der Produktebene aus, sondern auch durch Verfahrensinnovationen und durch innovative Organisationsstrukturen", legt Referent Hans Bullinger, Leiter des Stuttgarter Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation, als zukünftige Meßlatte an Unternehmen an. Das "haben zwar 72 Prozent aller Firmen verstanden, doch nur 19 Prozent handeln danach", zitiert er aus einer hauseigenen Studie. Bei dieser Handlungsverweigerung dürfe es nicht bleiben: "Um im globalen Wettbewerb zu bestehen, müssen sich Firmen in Deutschland grundsätzlich neu ausrichten", fordert er.

Daß dafür virtuelle Unternehmen am ehesten geeignet sind, steht für ihn fest: "Das Konzept des virtuellen Unternehmens zielt auf die Reorganisation der Wertschöpfungskette durch temporäre horizontale und/oder vertikale standortübergreifende Kooperationen von unterschiedlichen Anbietern. In engem Kontakt mit der Umwelt wird ein Beziehungs- und Produktionsnetz aufgebaut, das die Chancen der informationstechnischen Integration von Leistungsbeziehungen nutzt", blickt der Arbeitswissenschaftler voraus.

Ebenso gilt für den Handel, daß er sich mit intelligenten Dienstleistungen gegenüber seinen Kunden profiliert. So rechnet Bullinger damit, daß "für den Erfolg des Handels entscheidend sein wird, in schnellstmöglicher Weise alle Art von Information, Planung und Beratung zu liefern, die für die Wahl eines Produktes ausschlaggebend ist. Der Dienstleister muß agieren und schon im Vorfeld wissen, was seine Kunden wünschen", erklärt er. Zum Beispiel sind Informationsbrokering, die Organisation von "internen und externen Dienstleistungsströmen", so Bullinger, gefragt: "Der Dienstleister tritt als Generalunternehmer gegenüber seinem Kunden auf. Er haftet für die Produktwünsche seiner Kunden."

Nur das lernende Unternehmen hat Zukunft

Dafür, ergänzt Manfred Broy, Professor für Informatik an der TH in München, müssen Unternehmer sich von der Vorstellung frei machen, "Ausgelernte" auf dem Arbeitsmarkt zu finden. "40 Prozent der Inhalte, die Informatikstudenten vermittelt bekommen, sind veraltet, wenn diese ins Berufsleben eintreten", gibt Broy zu bedenken.

Statt also auf den Input von Diplomierten ohne Praxis zu vertrauen, müssen Unternehmen sich als "lernende Organisationen verstehen", die ihre Mitarbeiter anregen, "aktives und lebendiges Lernen zu lernen. Lernen ist eine Lebensaufgabe, nicht auf Schule, Ausbildungsplatz oder Universität beschränkt", unterstreicht Broy. Damit das nicht nur Papierweisheiten bleiben, verlangt der Professor von Unternehmen "mehr Mut zum Experiment und Eigeninitiative". Denn "das Gelernte kommt dann zur Wirkung, wenn es sich positiv entfalten kann", weiß er sich mit Lernforschern einig.

Dienstleistung ist, wenn der Kunde das Produkt bestimmt

Daß die propagierte neue Qualität der produzierenden und Dienstleistungsunternehmen den traditionellen Wertschöpfungsprozeß grundlegend verändert, steht für Bullinger absolut fest. "Im Mittelpunkt kreativer Unternehmen steht der Kunde. Er signalisiert durch verschiedene Informationen exakt, was er will. Nur das Unternehmen, das diese Informationen aufnimmt und bei seinem Produkt berücksichtigt, kann dem Kunden bieten, was er verlangt", erklärt er gegenüber ComputerPartner.

So sind zum Beispiel die technischen Möglichkeiten, wie Kundeninformationen gewonnenen werden können, längst vorhanden. "Sie umzusetzen, sowohl im Ablauf der Produktion als auch in Form kundennaher Dienstleistungen anzubieten, ist die kommende Aufgabe für Unternehmen", so Bullinger.

Dafür müssen sich aber alle Anbieter von Produkten und Dienstleistungen ernsthaft mit den Kunden auseinandersetzen. "Den meisten Unternehmen ist der Kunde nicht bekannt. Das muß sich schnell ändern", fordert er. "Stellen Sie ins Zentrum ihres Handelns: Was sind Kundenanforderungen sind und können diese von Unternehmen als Leistungen den Kunden angeboten werden", so Bullinger.

Als Weg dorthin schlägt er wie Broy die "lernende Organisation" als kreativen Unternehmenstypus vor. Diese werden seiner Meinung nach für die Zukunft der Unternehmen maßgebend sein. "Wie wollen Sie als Unternehmen Ihre Kunden zufrieden stellen, wenn Sie nicht ein intelligentes Produkt mit einem kreativen Organisationsmodell vertreiben?" fragt er.

Intelligente Dienstleistungen machen erfolgreiche Unternehmen aus

Dabei denkt er zum Beispiel an das Auslagern von Prozessen, die ein Unternehmen nicht als seine eigentliche Kernkompetenz erkennt, aber auch an die zeitkritischen Vernetzung von verschiedenen Unternehmensleistungen mittels Verdichtung von Kommunikation und Information.

Daß sich dadurch eine "Telegesellschaft als Gesellschaft der Innovation" bildet, wie Telekom-Vorstand Hagen Hultsch sie voraussieht, stört Arbeitswissenschaftler Bullinger nicht: "Mit dem keineswegs reibungslosen Übergang von an Standorten und Arbeitsplätzen gebundenen Unternehmen und Dienstleistern zu Organisatoren hochqualifizierter Arbeitskräfte tun wir den notwendigen Schritt von der Gesellschaft der Massenproduktion zu Produzenten differenzierten Dienstleistungen. Das ist die Zukunft aller Unternehmen, die Produkte herstellen und/oder verkaufen", ist sich Arbeitswissenschaftler Bullinger sicher. (wl)

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